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"Oberbefehlshaber" wird der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in Schulbüchern genannt.

© Adem Altan/AFP

Türkei: Mehr Islam in den Schulen

In türkischen Schulen sinkt die Schülerzahl - doch religiöse Gymnasien verzeichnen starken Zulauf. Das neue Schuljahr beginnt mit schrillen Tönen.

Die Schulglocken läuten in der Türkei am kommenden Montag zum ersten Mal wieder für die meisten der 18 Millionen Kinder und Jugendlichen. Doch im Land des Ausnahmezustands und der Massensäuberungen kündigt sich das neue Schuljahr schon seit Tagen mit schrillen Tönen an. Religiöse und Säkulare streiten über neue Schulbücher, fehlgeschlagene Reformen oder über eine Kantine in einer Istanbuler Mittelschule, wo Mädchen und Jungen nun getrennt Schlange stehen sollen. Die Eltern wollten es so, erklärt der Direktor.

Die neuen Lehrpläne lobte Bildungsminister Ismet Yilmaz – er führte bis vor Kurzem das Verteidigungsressort – als die „demokratischsten, wissenschaftlichsten, modernsten, die gemacht worden sind“. Darwins Evolutionstheorie ist aus den Lehrbüchern verschwunden, zum Leidwesen der Anhänger des Republikgründers auch das Kapitel „Ich lerne das Atatürk-Wesen und die Atatürk-Reformen“ in einem Sozialkundebuch für die Mittelschule. Zehnjährige befassen sich dafür künftig mit den Vorzügen des neuen Präsidialsystems von Staatschef Tayyip Erdogan, „unserem Oberbefehlshaber“.

Den Protest gegen eine Passage in einem anderen Lehrbuch wiegelte ein führender Vertreter des Bildungsministeriums derweil ab. Die Frau habe sich in der Familie dem Mann unterzuordnen, lernen türkische Schüler in einem neuen Geschichtsbuch über das Leben des Propheten Mohammed. Nicht zutreffend, erklärte Alparslan Durmus, Vorsitzender des Gremiums im Ministerium, das die Lehrpläne entwirft. „Ehepartner schulden einander Gehorsam und Loyalität“, stünde in dem Buch. Wenn sich die Rolle des Haushaltsvorstands von Mann zu Frau ändere, dann änderten sich auch die Verpflichtungen, sagte Durmus dieser Tage vor türkischen Journalisten. Dann müsse der Mann der Frau gehorchen.

Auch Erdogan ging auf ein Imam-Hatip-Gymnasium

Das Geschichtsbuch ist in erster Linie für den Unterricht an den Imam-Hatip-Schulen gedacht, religiösen Gymnasien, die eigentlich der Ausbildung zum Imam dienen. Erdogan ging in Istanbul in den 1960er Jahren auf eine solche Schule, zu einer Zeit, wo Imam-Hatip-Gymnasien ein Randdasein fristeten. Das hat sich im Lauf der Regierungszeit der konservativ-islamischen AKP unter Erdogan gründlich geändert. Die Zahl der Schüler an den religiösen Imam-Hatip-Schulen ist vom Schuljahr 2015/16 zum Jahr 2016/17 um 76.000 auf 1,2 Millionen gestiegen. 1002 neue Schulen kamen in dieser Zeit dazu. Im Verhältnis ist die Zahl der offiziell religiösen Schulen immer noch klein: Von derzeit rund 28.000 Schulen der Mittel- und Oberstufe in der Türkei sind 4112 Imam-Hatip-Schulen.

Obwohl die Bevölkerung in der Türkei jung ist und weiter wächst, sinkt die Einschulungsrate laut der nun bekannt gemachten Zahlen für das vergangene Schuljahr. Fast zwei Millionen Kinder sind laut Bildungsministerium nicht eingeschrieben worden. Die Lehrergewerkschaft macht für den Rückgang die umstrittene Schulreform der AKP-Regierung von 2012 verantwortlich, aber auch die Erschütterungen im Bildungsbereich nach der Verhängung des Ausnahmezustands.

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