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Der erst 40-jährige Berat Albayrak bemüht sich seit seinem Amtsantritt den Eindruck zu zerstreuen, die Präsidentenfamilie regiere die Türkei nach Gutsherrenart.

© imago/Depo Photos

Türkei: Erdogan schickt Schwiegersohn nach Berlin

Finanzminister Albayrak will Aussichten auf deutsche Wirtschaftshilfe ausloten. Ankara ist außen freundlich, aber hart im Inneren.

Mit einem neuen Wirtschaftsprogramm kommt der türkische Finanzminister Berat Albayrak diese Woche nach Deutschland, um den Staatsbesuch seines Schwiegervaters Recep Tayyip Erdogan in der kommenden Woche vorzubereiten. Mit dem mittelfristigen Wirtschaftsplan, den Albayrak am Donnerstag in Ankara vorstellen und am Freitag in Berlin erläutern will, möchte Ankara um neues Vertrauen der Investoren werben. Zudem will Albayrak in Berlin die Aussichten auf deutsche Wirtschaftshilfe ausloten. Die türkische Regierung zeigt sich in den Beziehungen zu Deutschland derzeit nach außen versöhnlich; im Innern geht sie aber weiter hart gegen mutmaßliche Gegner vor.

Die Türkische Lira hat seit Jahresbeginn etwa 40 Prozent gegenüber US-Dollar und Euro verloren. Türkische Unternehmen schleppen Schulden von mehr als 200 Milliarden Dollar mit sich herum, die wegen des Kursverfalls der Lira von vielen Firmen nicht mehr bedient werden können. Der Verkauf von Neuwagen ist eingebrochen, der Bau von Wohnungen ging im August im Vergleich zum Vorjahresmonat um 12,5 Prozent zurück. Mehrere bekannte Einzelhandelsunternehmen haben Gläubigerschutz beantragt.

Ein wichtiger Grund für die Verunsicherung internationaler Anleger ist Erdogans Anspruch, in der Wirtschafts- und Finanzpolitik alle Kompetenzen an sich zu ziehen. Albayraks Ernennung zum Finanzminister kam deshalb bei den Märkten nicht gut an.

Regieren nach Gutsherrenart

Der erst 40-jährige Minister bemüht sich seit seinem Amtsantritt vor zwei Monaten, den Eindruck zu zerstreuen, die Präsidentenfamilie regiere die Türkei nach Gutsherrenart. So soll es Albayrak gewesen sein, der Erdogan – einen erklärten Anhänger niedriger Zinsen – vorige Woche überredete, eine kräftige Leitzinserhöhung durch die Zentralbank zuzulassen. Laut Medienberichten wird Albayrak sich in seinem Wirtschaftsprogramm deutlich zu Ausgabenbegrenzungen und finanzpolitischer Disziplin bekennen.

Erdogan-Kritiker sind allerdings skeptisch, was die Bereitschaft zu wirklichen Reformen in Ankara angeht. Denn marktwirtschaftliche Neuordnungen würden Erdogans Macht zugunsten anderer Akteure schmälern. Von Deutschland erwartet Ankara dennoch wirtschaftliche Unterstützung. Die Bundesregierung hat zwar mehrfach ihr strategisches Interesse an einer stabilen Türkei bekundet, fordert dabei aber jene politischen Reformen, die von Ankara abgelehnt werden. Darüber soll in den nächsten Tagen und Wochen intensiv zwischen beiden Regierungen gesprochen werden: Nach den Besuchen von Albayrak und Erdogan in Berlin wird Ende Oktober Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier in der Türkei erwartet.

Die anhaltende Krise in den Beziehungen zwischen der Türkei und US-Präsident Donald Trump hat Erdogans Interesse an Europa neu belebt. Die hochrangigen Kontakte zwischen der Türkei und Deutschland sind so zahlreich wie schon lange nicht mehr. Vor zwei Wochen war Bundesaußenminister Heiko Maas in Ankara und Istanbul zu Gast.

Erst vor einigen Tagen betonte Erdogan im Gespräch mit türkischen Reportern, wie wichtig ihm der Besuch in Berlin sei. So strich er die Tatsache heraus, dass er mit Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht nur zu einem Abendessen zusammenkommen will, sondern auch zu einem Arbeitsfrühstück, für das keine bestimmte Dauer festgelegt worden sei. Er könne mit Merkel deshalb viele Themen besprechen.

Türkei ist leiser als noch vor Monaten

Wesentlich leiser als noch vor Monaten fordert die Türkei von den Deutschen die Auslieferung von mutmaßlichen kurdischen Extremisten und Anhängern der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen, der für den Putschversuch im Juli 2016 verantwortlich gemacht wird. Deutschland nehme den Kampf gegen den Terrorismus sehr ernst, betonte Erdogan – der die deutsche Einstellung bei diesem Thema nicht immer so positiv beschrieben hat. Er gehe mit Hoffnung in das Gespräch mit Merkel, sagte Erdogan.

Zusammen mit den Europäern will die Türkei eine Art Anti-Trump-Front ausbauen. Das gilt beispielsweise für das amerikanische Verhalten bei den Vereinten Nationen. Mit Deutschland, Japan, Schweden und der EU will die Regierung in Ankara das finanzielle Loch stopfen, das durch die Einstellung der US-Zahlungen für die UN-Flüchtlingshilfe für die Palästinenser entstanden ist.

Anders als in der Außenpolitik fährt die türkische Regierung im Innern einen kompromisslosen Kurs. Vor wenigen Tagen wurden Arbeiter festgenommen, weil sie gegen gefährliche Arbeitsbedingungen beim Bau des neuen Istanbuler Großflughafens protestiert hatten. Seit Wochen unterbindet die Polizei friedliche Frauendemonstrationen in Istanbul. Zudem laufen die Festnahmen von mutmaßlichen Gülen-Anhängern weiter: Allein in dieser Woche nahm die Polizei insgesamt rund 30 Soldaten und Lehrer fest.

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