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Lesesaal am Brandenburger Tor. Am Montag konnten TTIP-Interessierte die Papiere einsehen.

© dpa

TTIP-Enthüllungen von Greenpeace: Was steht in den Geheimpapieren - und was folgt daraus?

Seit drei Jahren verhandeln die USA und Europa vertraulich über das TTIP-Abkommen. Greenpeace machte nun Inhalte bekannt. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum TTIP-Leak.

Bislang galten die Verhandlungspapiere zum transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP als streng geheim, seit Montag sind sie es nicht mehr. Die Umweltschutzorganisation Greenpeace hat 250 Seiten der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. „Demokratie braucht Transparenz“, begründete die Organisation ihre Aktion.

Was steht Neues in den Papieren?

Glaubt man CDU-Generalsekretär Peter Tauber, „nichts bahnbrechend Neues“. „Ich verstehe einen Teil der Aufregung nicht“, sagte Tauber. Tatsächlich sind viele der Konflikte, die in den Dokumenten auftauchen, bekannt. Die Amerikaner wollen, dass die Europäer mehr Agrarprodukte aus den USA kaufen, und halten weiter an den privaten Schiedsgerichten fest. Die EU-Kommission möchte dagegen die europäischen Bauern schützen und will Klagen von Investoren vor einem öffentlichen Handelsgericht verhandelt wissen.

Die Papiere dokumentieren allerdings, wie intensiv gefeilscht wird. Die USA verknüpfen die Aufhebung von Zöllen für die europäische Autoindustrie mit Zugeständnissen bei den Agrarzöllen. „Damit picken die Amerikaner in die empfindliche Stelle der deutschen Wirtschaft“, sagt Stefan Krug, Leiter der politischen Vertretung von Greenpeace Deutschland.

Welche Streitpunkte gibt es?

Die Dokumente zeigen auch: Obwohl die USA und die EU seit drei Jahren verhandeln, liegen beide Seiten in grundsätzlichen Fragen weit auseinander. Zum Beispiel beim Verbraucherschutz. In Europa gilt das Vorsorgeprinzip, Lebensmittel und andere Produkte sind nur dann erlaubt, wenn sie für Menschen und Tiere nachweislich unschädlich sind. Die Amerikaner hingegen wollen lediglich solche Produkte verbieten, deren negative Gesundheitsfolgen wissenschaftlich nachgewiesen sind. Das kann zu Konflikten bei gentechnisch veränderten Lebensmitteln oder beim Hormonfleisch führen, die in den USA erlaubt sind.

Brisant ist auch, dass künftige Regulierungen von vorneherein verhindert werden könnten, weil der Handelspartner informiert und geprüft werden muss, ob die Regulierung mit TTIP im Einklang ist. Das wäre ein Einschnitt in die Regulierungsfreiheit der Europäischen Union.

Was versprechen sich die USA und Europa von TTIP?

Durch TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) soll der größte Wirtschaftsraum der Welt entstehen. 800 Millionen Verbraucher leben in den USA und in der EU. Sie sollen vom Freihandel profitieren, weil der Abbau von Zöllen und Regulierungen die Preise sinken lässt. Den Unternehmen stellen die TTIP-Verhandler einen Abbau von Bürokratie in Aussicht und den leichteren Zugang zum jeweils anderen Markt. Das soll die Umsätze erhöhen und Arbeitsplätze schaffen.

Wie kam Greenpeace an die Papiere?

Die knapp 250 Seiten in 13 Kapiteln repräsentieren den Verhandlungsstand aus dem April. Die Ergebnisse der letzten Verhandlungsrunde, die in der vergangenen Woche stattgefunden hat, sind noch nicht enthalten. Greenpeace macht mit seinem Leak nach eigenen Angaben 75 Prozent der „konsolidierten Dokumente“, die sowohl die Position der Amerikaner als auch die der Europäer widerspiegeln, öffentlich.

Über die Quelle, die ihnen die Dokumente zugespielt hat, wollte die Organisation am Montag keine Angaben machen – und betreibt auch sonst einen aufwendigen Quellenschutz. Weil an den Originaldokumenten durch sprachliche Details und veränderte Zeichen erkennbar ist, wer sie besessen hatte, fertigte Greenpeace Abschriften an und passte offensichtliche Kennzeichnungen an. „Wir hoffen, wir haben gute Arbeit gemacht“, sagte Krug. Die Dokumente wurden dem Rechercheverbund aus „Süddeutscher Zeitung“, NDR und WDR zur Verfügung gestellt, am Montag stellte Greenpeace die Dokumente auch im Internet unter ttip-leaks.org zum Download bereit.

Wie reagiert die Politik auf die Veröffentlichungen?

Die zuständige EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström hat sich umgehend zu Wort gemeldet. Ihre Strategie ist klar: Sie will den Kritikern eines Abkommens nicht die Deutungshoheit überlassen. „Es ist normal, dass beide Seiten in einer Verhandlung möglichst viele ihrer Positionen durchsetzen wollen“, sagte Malmström. Das heiße aber noch lange nicht, dass die eine Seite solchen Forderungen nachgebe. Es bedeute ebenso wenig, dass man sich auf die Mitte einigen werde. „In Bereichen, in denen wir zu weit auseinanderliegen, werden wir uns schlicht nicht einigen.“ Sie halte den Wirbel, den die Papiere verursacht haben, für einen „Sturm im Wasserglas“.

Malmström schickte ihren Chefunterhändler, Ignacio Garcia Bercero, zu den Brüsseler Korrespondenten. Sein Auftrag: Dinge richtigstellen und transparent über den Verhandlungsstand informieren. Der Spanier machte deutlich: „Die Kritiker stellen in mehreren Bereichen handfeste Falschbehauptungen auf.“ Es sei schlicht falsch, dass die EU bereit sei, das Vorsorgeprinzip über Bord zu werfen und der Industrie neue Möglichkeiten zu eröffnen, Einfluss auf den Gesetzgebungsprozess zu nehmen.

Die Kommissarin Malmström stellt zudem klar, dass die Absenkung von Standards nicht zur Debatte steht: „Kein EU-Handelsabkommen wird das Schutzniveau für Verbraucher und Umwelt oder bei der Lebensmittelsicherheit absenken.“ Ein Handelsabkommen mit den USA ändere „nicht unsere Gesetze, wie etwa sicheres Rindfleisch produziert wird“. Der Chefunterhändler der EU, Bercero, unterstreicht: „Die USA haben inzwischen akzeptiert, dass wir kein Abkommen unterschreiben werden, mit dem die EU-Gesetzgebung unterlaufen werden würde.“

Was sagt die Wirtschaft?

Der Maschinenbau-Verband VDMA warnt die TTIP-Kritiker vor voreiligen Schlüssen: Sie dürften die Veröffentlichungen nicht als Bestätigung ihrer ablehnenden Position verstehen. „Tatsächlich zeigen die veröffentlichten Dokumente, dass die EU-Kommission die im Verhandlungsmandat festgelegten Vorgaben befolgt.“

Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) warf den TTIP-Kritikern Foulspiel vor: Die Indiskretionen zielten darauf ab, „Misstrauen in der Bevölkerung gegen TTIP zu schüren“. Mit politisch fairen Spielregeln habe dies nichts zu tun, erklärte VCI-Hauptgeschäftsführer Utz Tillmann.

Ähnlich sieht das der Präsident des Verbandes der Autoindustrie, Matthias Wissmann. Mit der Veröffentlichung von Verhandlungszwischenständen würden bewusst Ängste geschürt, sagte er. Natürlich gebe es schwierige Fragen. „Aber wer das Abkommen als solches infrage stellt, erweist Verbrauchern und Wirtschaft einen Bärendienst.“ Es gebe keine Alternative zur Globalisierung. „Wer ihre Chancen nicht rechtzeitig erkennt oder gar bewusst ignoriert, verbaut sich selbst den Weg zu mehr Wachstum, Beschäftigung und Wohlstand.“

Belasten die Veröffentlichungen die Verhandlungen?

Das Weiße Haus kommentiert die Veröffentlichung bisher geheimer Details zu den TTIP-Verhandlungen demonstrativ gelassen. Man sei darüber „nicht beunruhigt“, sagte US-Präsident Barack Obamas Sprecher Josh Earnest am Montag in Washington. Er glaube nicht, dass die Details einen „materiellen Einfluss“ auf das Abkommen hätten. „Wir konzentrieren uns darauf, die Verhandlungen bis zum Jahresende abzuschließen“, sagte Earnest. Zum Wahrheitsgehalt der von Greenpeace veröffentlichten Dokumente wollte sich Earnest nicht äußern. Er sagte, Obama wolle ein Abkommen schließen, das strenge Standards absichere.

Die EU macht sich aber Sorgen, dass die Enthüllung der als geheim eingestuften Dokumente das Verhandlungsklima vergiften könnte. Die US-Seite habe stets Vertraulichkeit erwartet, sagt der EU-Chefunterhändler Bercero: „Ich möchte jetzt nicht darüber spekulieren, welche Folgen die Veröffentlichung bei unseren Gesprächspartnern hat.“

Steht das Handelsabkommen bereits vor dem Aus?

Das hängt von den Amerikanern ab. Respektieren sie die „roten Linien“ der Europäischen Union beim Verbraucher- und Investorenschutz oder nicht? Wirtschaftsstaatssekretär Matthias Machnig (SPD) will das Abkommen notfalls scheitern lassen. Die Absenkung von Standards werde es nicht geben und auch „kein Zurück zu privaten Schiedsgerichten“, betonte Machnig, der am Montag den erkrankten Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel vertrat. Ob es zu einem guten Abkommen kommen werde, könne man zum heutigen Zeitpunkt „nicht mit letzter Sicherheit sagen“, betonte Machnig.

Auf jeden Fall gibt es noch zahlreiche Hürden. Zum einen drängt die Zeit, bislang hat man erst 13 von 25 Kapiteln verhandelt. Das Abkommen sollte noch unter der Präsidentschaft von Barack Obama verhandelt werden, weil Obamas potenzielle Nachfolger Hillary Clinton oder Donald Trump von Freihandel deutlich weniger halten als er. Obama scheidet aber im Januar aus dem Amt. Zudem reicht es nicht, wenn sich die USA und die EU-Kommission einig sind. Auch der Deutsche Bundestag muss zustimmen – auch hier ist der Widerstand groß.

Greenpeace fordert einen Stopp der Verhandlungen. „Ob Schutzstandards, Verbraucherrechte oder Arbeitnehmerrechte: Wenn TTIP so kommt, leben wir in einer anderen Welt. Das wird gravierende Konsequenzen haben“, sagte Krug. In den Augen der Umweltlobbyisten ist TTIP nicht mehr zu retten. Greenpeace-Handelsexperte Jürgen Knirsch sagt, die Europäische Kommission müsse sich eingestehen, dass sie einen Fehler gemacht habe – und von vorne anfangen. (mit dpa)

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