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Tschetscheniens Machthaber Ramsan Kadyrow

© imago images/ITAR-TASS/Yelena Afonina/TASS PUBLICATION

Tschetschenische Kämpfer: Welche Rolle spielt Putins „Bluthund“ in Butscha?

Kämpfer des Tschetschenen Ramsan Kadyrow sollen in Butscha gemordet haben. Ihnen eilt ein grausamer Ruf voraus. Doch das Image ist auch Teil des Psycho-Kriegs.

Welche Gräueltaten sind auf den Straßen von Butscha begangen worden? Wer genau waren die Täter? Und wer trägt die Verantwortung? Der Bürgermeister der ukrainischen Kleinstadt geht davon aus, dass auch tschetschenische Kämpfer eine Rolle gespielt haben. Vor Ort zeigte er Reportern der Nachrichtenagentur Reuters zwei Leichen von Zivilisten, die mit den Händen auf dem Rücken gebunden durch einen Schuss durch den Mund exekutiert worden sein sollen. Und zwar von Tschetschenen.

Die Behauptungen lassen sich derzeit nicht unabhängig überprüfen. Reuters hatte einen Sprecher des tschetschenischen Staatschefs Ramsan Kadyrow um eine Stellungnahme gebeten – aber keine Antwort erhalten.

Auf seinem Telegram-Kanal hatte Kadyrow am Montagmorgen geschrieben, seine Kämpfer nähmen in der Ukraine „an allen Fronten auf aktivste Weise teil“. Auch die „New York Times“ berichtet unter Berufung auf Augenzeugen in Butscha, Einheiten tschetschenischer Kämpfer seien von Tür zu Tür gezogen. Die bärtigen Männer in schwarzen Uniformen hätten nach ukrainischen Kämpfern und Waffen gesucht – und dabei mehrere Türen eingetreten.

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Laut russischen Angaben sollen derzeit 10.000 bis 70.000 tschetschenische Kämpfer die Hauptstreitkräfte Moskaus unterstützen. Unabhängig sind diese Angaben kaum zu überprüfen.

Klar erscheint indes, dass die Propaganda-Erzählung von den in die Schlacht ziehenden Tschetschenen zumindest teilweise ein weiterer Schritt der psychologischen Kriegsführung von Russlands Präsident Wladimir Putin ist: Es soll vor allem Angst in der ukrainischen Bevölkerung verbreitet werden: Kadyrow eilt der grausame Ruf als „Putins Bluthund“ voraus, als „Fußsoldat“ des Kremlchefs.

Gestärkt worden ist das furchteinflößende Image durch Putins wiederholten Einsatz tschetschenischer Spezialeinheiten in seinen Kriegen. Dabei konnte er sich stets auf Kadyrow verlassen, der seine Streitkräfte etwa zur Unterstützung von Militäroperationen des Kremls nach Syrien und Georgien schickte. Auch jetzt gehörte er zu den lautstärksten Befürwortern nicht nur des Einmarschs in Kiew, sondern der Annexion der gesamten Ukraine.

„Hier geht es darum, die Menschen glauben zu machen, dass das, was in Tschetschenien passiert ist, auch in der Ukraine passieren wird – dass sie in der Stadt randalieren, plündern, vergewaltigen und töten werden“, sagte Kaukasus-Experte Jean-François Ratelle von der Universität von Ottawa kürzlich dem US-Magazin „Foreign Policy“.

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Die Tschetschenen seien dafür berüchtigt, dass sie „bei der Aufstandsbekämpfung äußerst brutal vorgehen und sich nicht an das Völkerrecht halten“, erklärt Ratelle, der einige Zeit im Kaukasus mit islamistischen Aufständischen verbracht hat. „Sogar noch mehr als russische Söldner.“

Doch das Bild von blutrünstigen tschetschenischen Kämpfern ist auch ein – zudem von Russland gerne gepflegtes – Klischee. Es ist geprägt durch den brutalen Krieg zwischen moskautreuen Kräften und tschetschenischen Separatisten, der von Mitte der 1990er Jahre bis 2009 immer wieder aufflammte.

Seitdem hat Moskau riesige Geldsummen in die muslimische Region im Süden Russlands gepumpt, um sie wiederaufzubauen. Kadyrow wiederum ist ein treuer Gefolgsmann Putins geworden. Im Gegenzug hat er ein hohes Maß an Autonomie in Tschetschenien eingeräumt bekommen. Doch nach Einschätzung des Kaukasus-Experten Ratelle stehen nicht alle Tschetschenen hinter der russischen Linie. Er geht von einer tiefen innenpolitischen Spaltung über die russische Herrschaft in Tschetschenien aus.

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