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Blick zurück nach vorn: So harmonisch wie anno 2013, als das Foto entstand, sollte es möglichst schnell wieder werden zwischen den USA und Deutschland.

© picture alliance / dpa

Transatlantisch? Traut euch!: „Wir brauchen eine neue Übereinkunft!“

Partnerschaft braucht Taten, nicht Beschwörungen. 18 Vertreter aus Politik, Wissenschaft und Militär haben fünf Forderungen an die Bundesregierung. Ein Gastbeitrag.

- Ellen Ueberschär ist Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. Patrick Keller ist Vizepräsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik. Beide geben ihre persönliche Meinung wieder.

Ambitionslosigkeit ist der größte Feind einer Wiederbelebung der transatlantischen Partnerschaft. Das gilt für Europa insgesamt, aber vor allem für Deutschland. Deswegen sollte die Bundesregierung unverzüglich auf die neue US-Regierung zugehen und eine „Neue Übereinkunft“ erzielen, die weit über die nächsten vier Jahre hinaus trägt.

Eine „Neue Übereinkunft“ ist notwendig, weil Europa seine Handlungsfähigkeit nur transatlantisch abgesichert erhalten und ausbauen kann. Und eine Neue Übereinkunft ist möglich, weil Joe Biden weiß, dass Amerika nur durch die enge Zusammenarbeit mit einem handlungsfähigen Europa die eigene Weltmachtrolle erhalten kann. Europäische Idee und atlantische Orientierung gehören zusammen.

Aber die transatlantische Erzählung braucht frische Impulse. Ihre Grundlage muss der Zusammenhalt der Demokratien sein, die Stärkung von Menschenrechten, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit, auch von Nachhaltigkeit. Dazu kommt das geschärfte Bewusstsein, dass eine freiheitliche Ordnung nicht vom Himmel fällt, sondern stets aufs Neue durchgesetzt werden muss. Das verbindet die Menschen auf beiden Seiten des Atlantiks, heute und in Zukunft.

[Der Text beruht auf "Transatlantisch? Traut Euch!", einer Agenda zur Erneuerung der deutsch-amerikanischen Partnerschaft: https://anewagreement.org/ - erarbeitet und in persönlicher Kapazität gezeichnet haben die Agenda: Benjamin Becker, AmerikaHaus NRW, Deidre Berger, Außenpolitische Beraterin, James Bindenagel, Center for Advanced Security, Strategy and Integration Studies, Universität Bonn, Heinrich Brauss, Generalleutnant a.D., Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik, David Deißner, Atlantik-Brücke, Eric W. Fraunholz, Deutsch-Amerikanisches Institut Sachsen, Thomas Kleine-Brockhoff, German Marshall Fund, Anna Kuchenbecker, European Council on Foreign Relations, Rüdiger Lentz, Aspen Institute Deutschland, Rainer Meyer zum Felde, Brigadegeneral a.D., Institut für Sicherheitspolitik Kiel, Stormy-Annika Mildner, Aspen Institute Deutschland, Lena Ringleb, German Marshall Fund, Andrea Rotter, Hanns-Seidel-Stiftung, Boris Ruge, Münchener Sicherheitskonferenz, Oliver Schmidt, Amerikanist und Experte für auswärtige Kulturpolitik, David Sirakov, Atlantische Akademie Rheinland-Pfalz, Constanze Stelzenmüller, Brookings Institution. ]

Tragfähig wird die Neue Übereinkunft nur dann, wenn mehr zivilgesellschaftliche Querverbindungen geschlagen werden, jenseits etablierter Eliten. Soziale Bewegungen vor allem junger Menschen und vielfältiger Minderheiten - beispielsweise zur Bekämpfung des Klimawandels und der Überwindung von Rassismus und Sexismus, aber auch zu Themen wie dem Wandel der Arbeitswelt - bieten sich dafür an.

Annäherung an ein demokratisches Ideal

Denn sie repräsentieren in ihrer emanzipatorischen Ausprägung das Herz dessen, was den Westen schon immer attraktiv und stark gemacht hat: die ständige, umkämpfte Annäherung an ein demokratisches Ideal.

Als ersten Schritt zur Neuen Übereinkunft sollte die Bundesregierung jetzt eine G-7-Initiative zur Covid-Bekämpfung starten, die von der italienischen G-20-Präsidentschaft aufgegriffen werden kann. Dies wäre ein guter Start, um die tägliche Zusammenarbeit mit den USA neu einzuüben und ihre Nützlichkeit - auch für den Präsidenten, der schnelle Erfolge braucht - unter Beweis zu stellen.

Darüber hinaus sollte Deutschland ein Ideenpaket vorlegen, das um fünf Themen kreist:

Klima: Herzstück der Neuen Übereinkunft ist, dass Amerikas neue Ambition im Klimaschutz auf verstärkte Anstrengungen Deutschlands und Europas trifft. Nach dem Wiedereintritt der USA in das Pariser Klimaabkommen muss die Koordination auf den Glasgower Klimagipfel zielen. Gemeinsame Initiativen sollten den ökologischen Strukturwandel voranbringen, von einer transatlantischen Batterieallianz bis zu einer Clean Energy Bank, die Investitionen in klimafreundliche Technologie fördert.

Nato: Angesichts der neuen geostrategischen Lage braucht die Sicherheitspartnerschaft, der Glutkern des transatlantischen Verhältnisses, eine Neue Übereinkunft: Die europäischen Nato-Staaten - mit Deutschland an erster Stelle - erhöhen ihre Fähigkeiten zur konventionellen Verteidigung erheblich. Dadurch entlasten sie die USA in Europa und erleichtern es ihnen, im Indo-Pazifik die Interessen der liberalen Demokratien zu schützen.

Im Gegenzug bekräftigen die USA ihr Bekenntnis zur Verteidigung des Bündnisgebietes. Sie untermauern dies durch ihre dauerhafte militärische Präsenz in Europa sowie durch ihre nukleare Schutzzusage, die Deutschland durch die Nukleare Teilhabe unterstützen sollte, solange es Nuklearwaffenstaaten außerhalb der Nato gibt.

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Europa muss politisch und militärisch handlungsfähig sein. Nicht, um Amerika loszuwerden (wie es bisweilen in der Rede von "strategischer Autonomie/Souveränität Europas" mitschwingt), sondern im Gegenteil, um Amerika in Europa zu halten - mit allen Vorteilen, die das für die politische Stabilität des Kontinents und damit für Deutschland bringt.

Das erfordert von Deutschland die vollständige und beschleunigte Umsetzung der vereinbarten Nato- Planungsziele. Dazu braucht es den Konsens innerhalb der Bundesregierung, dass eine einsatzbereite Bundeswehr von höchster Priorität ist, weil sie der Diplomatie Gewicht verleiht und einen unverzichtbaren Beitrag zur Freiheit der Bürgerinnen und Bürger Deutschlands erbringt.

China: Zukünftig wird die China-Politik der archimedische Punkt der transatlantischen Beziehungen sein. An ihr wird sich entscheiden, ob die USA ihre europäischen Verbündeten als Partner bewerten - mit allen Konsequenzen für ihr Engagement und Entgegenkommen. Denn auch wenn europäische, speziell deutsche Interessen gegenüber China nicht immer identisch mit amerikanischen sind, bleibt doch das vitale Bündnis mit Amerika im Zweifel von übergeordnetem Interesse.

Chinesische Machtpolitik ist zielgerichtet und langfristig angelegt; sie bestraft Naivität. Abgestimmtes Handeln ist das Gebot der Stunde, und deswegen braucht es auch hier eine Neue Übereinkunft: Biden sollte Trumps Versuch der wirtschaftlichen Abkopplung von China beenden. Deutschland und Europa hingegen werden Konsequenzen aus der Einsicht ziehen müssen, dass der Handel mit China sicherheitspolitischen Vorbehalten unterliegt. Gemeinsam sollten die Partner in ihrer China- Politik menschenrechtspolitische mit ordnungspolitischen Überzeugungen verknüpfen und so chinesisches Dominanzgebaren einhegen.

Handel: Die Bundesregierung sollte zusammen mit der EU-Kommission darauf drängen, dass die USA ihre Strafzölle gegenüber Europa beenden und die Blockade im Streitschlichtungsausschuss der Welthandelsorganisation WTO aufgeben. Im Gegenzug geht die EU auf amerikanische Vorstellungen zur Reform der WTO weiter ein. Diese Neue Übereinkunft schärft das Instrument gegen Chinas Missachtung der internationalen Handelsordnung und ihrer Prinzipien.

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Und auch wenn dies nicht der Moment für ein umfassendes transatlantisches Freihandelsabkommen ist, bieten sich doch sektorale Übereinkommen an, etwa zu Umweltgütern oder E-Commerce. Auch gemeinsame Regeln zur Exportkontrolle neuer Technologien wären ein erfolgversprechender Verhandlungsgegenstand.

Technologie: Europa und Amerika verschenken ihre Chance, die Zukunft zu gestalten, weil sie in Fragen der Digitalpolitik und neuer Technologien unzureichend zusammenarbeiten. Dabei geht es um den Schutz der Werte offener Gesellschaften gegenüber chinesischem Führungsanspruch. Deswegen sollten EU und USA rasch Einigkeit über den transatlantischen Datenaustausch erzielen, gemeinsame Leitlinien zum Umgang mit Fake News und Propaganda vereinbaren und die Regulierung von Künstlicher Intelligenz harmonisieren.

Die transatlantische Partnerschaft muss auf vielen gesellschaftlichen Ebenen in gemeinsamem Geist und mit neuer Energie vorangetrieben werden. Dieser Geist entsteht nicht durch Beschwörung. Er entsteht durch Taten. Durch gemeinsame politische Projekte, die Wirkung zeigen, damit Bürgerinnen und Bürger auf beiden Seiten des Atlantiks sicherer, wohlhabender und selbstbestimmter leben können. Die Bundesregierung sollte diese Projekte nun bündeln und damit auf den amerikanischen Präsidenten zugehen.

Ellen Überschär, Patrick Keller

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