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Migranten protestieren im Lager Lipa mit Plakaten gegen die schlechten Bedingungen. Nach der gescheiterten Verlegung von Hunderten Flüchtlingen in feste Unterkünfte im Landesinneren hat die bosnische Armee damit begonnen, in dem Elendslager im Nordwesten des Landes Zelte zu errichten.

© Kemal Softic/AP/dpa

Tragödie im bosnischen Lager Lipa: Hunderte Flüchtlinge schutzlos der Kälte ausgesetzt

Ihr Lager ist abgebrannt, in anderen Regionen Bosniens will man sie nicht - die Flüchtlinge von Lipa werden zum Spielball der Politik.

Wie schon zu Weihnachten haben hunderte Flüchtlinge in Bosniens abgebranntem Skandal-Lager Lipa auch den Jahreswechsel bei eiskalten Temperaturen unter freiem Himmel verbracht. Ihre Verlegung in beheizbare Notaufnahmelager ist weiter nicht in Sicht.

Übermüdet und mit Decken über den Schultern reihten sich die verbliebenen 900 Bewohner des Lagers, das 25 Kilometer südöstlich der Stadt Bihac liegt, am Neujahrsmorgen vor der Essensausgabe des Roten Kreuzes auf. Zwar haben die Regierungen in Österreich und Italien 1,5 Millionen Euro an Soforthilfe zugesagt.

Doch obwohl Armeeangehörige am Freitag mit dem Aufbau neuer Zelte in dem zerstörten Lager begonnen haben, ist der Umzug in ein beheizbares Notaufnahmelager weiter genauso wenig absehbar wie ein generelles Ende von Bosniens Flüchtlingstrauerspiel.

Das Drama von Lipa ist eine vermeidbare Katastrophe mit Ansage: Vergeblich hatte die Internationale Organisation für Migration (IOM) seit Monaten darauf hingewiesen, dass das provisorische, im April eröffnete Lager ohne Beheizung, Strom- und Wassseranschluss keineswegs winterfest sei. Die Behörden auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene schoben sich zwar hernach fleißig gegenseitig die Verantwortung zu, allerdings blieb der Ausbau des Lagers aus.

Sie saßen schon in Autobussen - und mussten sie wieder verlassen

Am Tag seiner geplanten Schließung ging das vermutlich von aufgebrachten Insassen in Brand gesetzte Lager kurz vor Weihnachten in Flammen auf. Seitdem biwakieren rund 900 Menschen bei eiskalten Temperaturen in provisorischen Verschlägen unter freiem Himmel – und sind in Bosniens dysfunktionalem Staatslabyrinth zum Spielball menschenunwürdiger und erfolgloser Verschiebemanöver geworden.

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Versuche, sie zeitweise in dem vor wenigen Monaten geräumten Lager Bira im Stadtgebiet von Bihac oder in Kasernen in anderen Landesteilen unterzubringen, sind am Widerstand lokaler Würdenträger gescheitert: 24 Stunden lang harrten 500 Flüchtlinge zum Jahresende in abfahrbereiten Autobussen aus, bevor sie diese wieder verlassen mussten.

Die Kommunen im Teilstaat der Föderation sperren sich mit Verweis auf Widerstände in der Bevölkerung gegen die Eröffnung neuer Notaufnahmelager. Der Teilstaat der Republika Srpska, die immerhin 49 Prozent des bosnischen Territoriums ausmacht, verweigert sich seit Jahren generell der Einrichtung von Flüchtlingslagern. Mit der Begründung, es seien schließlich die bosniakischen Muslime, die die Migranten „ins Land geholt“ hätten. Die zahnlose Zentralregierung in Sarajevo vermag sich gegenüber den regionalen Parteifürsten nicht durchzusetzen. Die EU mahnt – und schaut schon seit Jahren eher tatenlos zu.

Die EU befürchtet Sogwirkungen von neuen Aufnahmelagern

Bereits seit 2017 ist Bosniens Nordwestzipfel wegen seiner Nähe zur Schengen-Grenze zum Brennpunkt und Flaschenhals der Balkanroute geworden. Zwar übertreffen sich nun auch die EU-Politiker mit hehren Appellen, den in Lipa gestrandeten Menschen ein Obdach zu verschaffen. Doch genauso wie die Tolerierung des ebenso illegalen wie brutalen Push-backs der Transitmigranten durch Kroatiens Grenzpolizei scheint das sehr verhaltene EU-Engagement für deren menschenunwürdige Unterbringung in dem grenznahen Kanton seit Jahren unausgesprochener Teil von Brüssels Entmutigungsstrategie zu sein. Der Einrichtung von Aufnahmelagern in der Nähe ihrer Außengrenzen steht die EU wegen der befürchteten Sogwirkung generell skeptisch gegenüber.

Doch humanitäre Appelle können das Dilemma der zwischen Abschreckung und Mitgefühl schwankenden Migrationspolitik der uneinigen EU-Mitgliedsstaaten auch nicht lösen. Ob im griechischen Moria oder in Lipa: Humanitäre Katastrophen an den keineswegs so fernen EU-Außenrändern scheinen angesichts der widersprüchlichen, vor allem an der Entlastung der eigenen Asylstatistiken orientierten Politik der Zielländer auch in Zukunft unausweichlich.

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