zum Hauptinhalt
Zum Tod von Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle im Januar 2005 gibt es viele Fragen.

© Steffen Schellhorn/imago

Toter Asylbewerber in Dessau: Beamte unter Verdacht

Die Staatsanwaltschaft Halle setzt sich im Fall des verbrannten Oury Jalloh über die Mordthese ihrer Dessauer Kollegen hinweg.

Von Frank Jansen

Heike Geyer leitet die Staatsanwaltschaft Halle und muss in diesen Tagen viele Fragen beantworten. Sie macht das in einem leicht ermüdeten Ton, als müsse sie etwas Selbstverständliches immer wieder aufs Neue erklären. „Wir sehen keinen Anfangsverdacht auf Mord, weil wir nach wie vor nicht ausschließen können, dass es eine Selbsttötung war“, sagt die Leitende Oberstaatsanwältin, als der Tagesspiegel sie zum Fall Oury Jalloh befragt. Der Mann aus dem afrikanischen Staat Sierra Leone war am 7.Januar 2005 in einer Zelle des Polizeireviers Dessau, an Händen und Füßen gefesselt, auf einer feuerfesten Matratze liegend, verbrannt. Der Verdacht, Polizisten hätten Jalloh getötet, ist nie verstummt.

Der Fall ist eine der großen skandalträchtigen Geschichten aus dem Spektrum deutscher Strafverfolgungsbehörden. Auch zwei Prozesse gegen Polizeibeamte brachten keine Klärung. Letztlich wurde ein Ex-Dienstgruppenleiter wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er den Feueralarm aus der Zelle zunächst missachtet hatte.

Demonstranten protestieren vor dem Justizzentrum in Halle

Nun ist womöglich auch die Staatsanwaltschaft Halle ein Teil des Problems. Am 12. Oktober habe sie das Ermittlungsverfahren eingestellt, sagt Geyer. Im Juni hatte ihre Behörde den Fall auf Geheiß der Generalstaatsanwaltschaft von Sachsen-Anhalt von der Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau übernommen. Deren Leiter, Folker Bittmann, hatte am 4. April in einem Aktenvermerk einen Mordverdacht gegen Dessauer Polizisten geäußert und Namen von Verdächtigen genannt. Das wurde jetzt durch Recherchen des WDR-Magazins „Monitor“ bekannt. In Medien und Politik ist reichlich Empörung zu hören. Die Dessauer Polizei fürchtet am Freitag sogar Übergriffe auf öffentliche Gebäude und stellt sie unter Schutz. Vor dem Justizzentrum in Halle skandieren Demonstranten „Oury Jalloh – das war Mord“.

Weil ein "Anfangsverdacht" fehlt, wird nicht weiter ermittelt

Es gibt nun jedenfalls noch mehr Fragen als schon zuvor. Eine lautet: hat Geyer mit Bittmann über seinen Vermerk gesprochen, bevor sie die Ermittlungen einstellte? „Nein, dazu habe ich keine Veranlassung gesehen.“ Warum nicht? Wäre es nicht naheliegend gewesen, über einen derart brisanten Vermerk mit dem Verfasser zu reden? Zumal Bittmann sogar, wenn auch erfolglos, versucht hatte, den Fall Oury Jalloh wegen besonderer Bedeutung dem Generalbundesanwalt zu übergeben? Geyer räuspert sich. „Theoretisch ist das ja richtig.“ Aber sie habe ihren erfahrenen Dezernenten vertraut, die das Material aus Dessau, sechs Umzugskartons mit Akten, gesichtet hatten.

Geyer gibt zu, der Verdacht auf eine „Beteiligung Dritter“ am Tod von Oury Jalloh sei nicht verschwunden. Aber es habe sich kein Anfangsverdacht gegen eine bestimmte Person ergeben. Dass Bittmann offenkundig andere Erkenntnisse hat, bewertet Geyer so: „Man kennt das ja: zwei Juristen, drei Meinungen.“

Staatsanwalt wurde nach Brandgutachten stutzig

Bittmann hatte allerdings nicht fabuliert. Der Leitende Oberstaatsanwalt, dessen Behörde lange nicht an einen Mord glauben wollte, wurde nach einem neuen Brandgutachten stutzig. Die antirassistische „Initiative zum Gedenken an Oury Jalloh“ hatte 2013 einen irischen Sachververständigen beauftragt, die Umstände des Feuertodes zu untersuchen. Der Gutachter kam zum Ergebnis, es müsse Brandbeschleuniger eingesetzt worden sein, weil die Leiche des Afrikaners in der Polizeizelle stark verkohlt war. Bittmann entschloss sich, den Fall Jalloh trotz der zwei schon gelaufenen Prozesse erneut aufzurollen.

Im April 2016 wurde am Institut für Brand- und Löschforschung im sächsischen Dippoldiswalde mit mehreren Tests das mutmaßliche Brandgeschehen rekonstruiert – in einem Nachbau der Dessauer Zelle. Ein Jahr später war die Auswertung abgeschlossen. Bittmann schrieb seinen Vermerk. Zwei Monate danach nahm ihm die Generalstaatsanwaltschaft den Fall weg und gab ihn nach Halle. Die Staatsanwaltschaft Dessau Roßlau sei überlastet, hieß es. Am Freitag sagt nun ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft, die in Halle eingestellten Ermittlungen könnten jederzeit wieder aufgenommen werden, sollten neue Erkenntnisse auftauchen. Bittmanns Vermerk ist allerdings schon ein halbes Jahr alt. Der Leitende Oberstaatsanwalt selbst ist derzeit nicht zu sprechen. Seine Behörde verweist auf Halle.

Eine Beamtin belastete einen Kollegen und wurde unter Druck gesetzt

In Sicherheitskreisen gibt es eine Theorie, was am 7. Januar 2005 in der Polizeizelle geschah. Oury Jalloh könnte – etwa durch einen „Mord zur Vertuschung einer Straftat“ – schon tot gewesen sein, bevor er angezündet wurde. Ein Polizeibeamter könnte den alkoholisierten, widerspenstigen Jalloh geschlagen haben. Rechtsmediziner in Frankfurt am Main stellten bei einer Obduktion einen Nasenbeinbruch und weitere Kopfverletzungen fest. Eine Beamtin, heißt es in Sicherheitskreisen, habe einen Kollegen belastet. Sie sei unter Druck gesetzt worden und habe die Aussage geändert.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false