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Sicherheitskräfte patrouillieren nach einer Bombenexplosion in der Nähe eines Wahllokals in Kabul

© dpa/Massoud Hossaini/AP

Update

Tote und Verletzte: Explosionen und Verzögerungen stören Wahlen in Afghanistan

Gewalttätige Störungen erschwerten die Stimmabgabe bei der Parlamentswahl in Afghanistan. Mindestens 28 Menschen kamen ums Leben, Dutzende wurden verletzt.

Die Parlamentswahl in Afghanistan ist von organisatorischem Chaos und Gewalt überschattet worden. Bei Angriffen islamistischer Extremisten kamen am Samstag landesweit mindestens 28 Menschen ums Leben, mindestens 102 weitere wurden verletzt, wie Innenminister Wais Barmak im Fernsehen berichtete. Wähler gingen unverrichteter Dinge wieder nach Hause, weil Wahllokale auch Stunden nach offiziellem Beginn nicht öffneten. Die Wahlkommission kündigte eine Verlängerung der Wahl in den betroffenen Stimmbezirken an.

Besonders betroffen war demnach die afghanische Hauptstadt Kabul. Allein dort seien bei mehreren Explosionen 19 Menschen getötet und dutzende weitere verletzt worden, erklärte Ministeriumssprecher Muhibullah Seer. Auch von außerhalb der Hauptstadt wurden am Samstag Anschläge mit Toten und Verletzten gemeldet. Die radikalislamischen Taliban hatten zuvor alle Bürger zum Boykott der Abstimmung aufgefordert und mit Angriffen gedroht.

Mehrere Explosionen erschütterten offenbar Wahllokale in der Hauptstadt. Ein Selbstmordattentäter sprengte sich an einem Wahllokal in Kabul in die Luft und riss mindestens 15 Menschen mit in den Tod. Unter den Opfern seien Zivilisten, Wahlhelfer und mindestens acht Polizisten, sagte ein Polizeisprecher.

Wähler flohen nach einer weiteren Explosion aus einer Schule, in der sie ihre Stimme für die mehrmals verschobene Parlamentswahl abgeben wollten, wie ein Journalist der Nachrichtenagentur AFP berichtete. Zeugen berichteten überdies von weiteren Explosionen bei mehreren anderen Wahllokalen.

Ein Sprecher des Innenministeriums bestätigte gegenüber AFP zwei weitere Explosionen in der Nähe von Wahllokalen. Allerdings sei niemand verletzt worden, da die Wähler in den Gebäuden gewesen seien. Ein anderer Behördensprecher berichtete dagegen von Toten und Verletzten nach den Explosionen.

Auch aus anderen Provinzen gab es Berichte über Angriffe. Nach Angaben des Provinzrats Esmatullah Kurbani feuerten Taliban in der Provinz Tachar in mehreren Bezirken Mörsergranaten ab, um die Wahlen zu stören. In der Folge seien Wahlstationen geschlossen worden. Im Bezirk Ischkamisch sei ein Haus getroffen worden. Dabei seien ein Mensch getötet und weitere acht verletzt worden. Raketenangriffe wurden auch aus Kundus gemeldet.

Taliban warnten Afghanen davor zur Wahl zu gehen

Die radikalislamischen Taliban hatten im Vorfeld der Wahl zum Boykott aufgerufen und mit Gewalttaten gedroht. Vor kurzem erst wurde der berüchtigte Polizeichef der Provinz Kandahar, General Abdul Rasik, bei einem Anschlag getötet, zudem wurden insgesamt zehn Parlamentskandidaten ermordet.

Am Morgen waren erste Wähler wieder nach Hause gegangen, nachdem Wahllokale auch mehr als zwei Stunden nach dem offiziellen Beginn der Parlamentswahl immer noch nicht geöffnet waren. Das berichteten lokale Medien und Parlamentskandidaten. Offenbar erschien auch das Wahlpersonal in manchen Stationen nicht. Offizieller Start der unter hohen Sicherheitsvorkehrungen stattfindenden Wahl war um 7 Uhr Ortszeit.

Aufgrund der Verzögerungen wurde die Wahl verlängert. Wie die Sprecherin der Unabhängigen Wahlkommission, Schaima Surusch, sagte, sollen Wahllokale, die die für die Abstimmung nötigen Materialien erst am Vormittag erhalten hätten, am Abend vier Stunden länger geöffnet bleiben. Die Wahl sollte eigentlich um 16.00 Uhr (13.30 MESZ) enden. Mit Ergebnissen wird erst im November gerechnet.

Kandidatin: "Niemand weiß, was mit dieser Wahlstation ist"

Nach Angaben der Kandidatin für die Provinz Kabul, Mariam Suleimancheil, waren im Kabuler Stadtteil Dehsabs bei einem Wahllokal zwar die Wahlbeobachter pünktlich vor Ort, nicht aber das Wahlpersonal. Sie veröffentlichte über Twitter Bilder, die Wahlurnen auf dem Boden zeigten. „Niemand weiß, was mit dieser Wahlstation ist - totales Chaos“, schrieb sie.

Ähnliches berichtete die Kandidatin Saleha Soadat aus Westkabul. In jenen Wahlzentren, die geöffnet seien, würden die Geräte zur biometrischen Wählererfassung nicht funktionieren. Lokale Medien berichteten, Menschen würden vor mehreren Wahlstationen protestieren, während andere diese verärgert verließen.

Laut einer Sprecherin der Unabhängigen Wahlkommission (IEC), Schaima Surusch, waren technische Probleme Grund für die Verzögerungen. Die Kommission entschuldige sich dafür. Man arbeite mit Hochdruck daran, diese Probleme zu lösen.

Erstmals werden bei Wahlen in Afghanistan biometrische Geräte zur Wählererfassung verwendet. Wähler müssen unter anderem Fingerabdrücke abgeben. Im Vorfeld der Wahl hatte es jedoch keinen Testlauf für die Geräte gegeben.

In vielen Wahllokalen bot sich chaotisches Bild

Neben den technischen Problemen seien auch viele Lehrer, die als Wahlpersonal eingeteilt waren, nicht in die Wahllokale gekommen, sagte Surusch. Die Taliban hatten am Mittwoch Lehrern und Schulleitern im Gewalt gedroht, sollten sie ihre Schulen als Wahlbüros zur Verfügung stellen.

Die Wahlkommission und das Innenministerium gaben im Laufe des Tages stark voneinander abweichende Wählerzahlen an. Diese lagen in 27 von 32 Provinzen, in denen gewählt wurde, vor. Sie reichten von 1,5 bis 4 Millionen Wählern.

In vielen Wahllokalen bot sich ein chaotisches Bild. Nach Angaben der Kandidatin für die Provinz Kabul, Mariam Suleimancheil, waren etwa im Kabuler Stadtteil Dehsabs zwar die Wahlbeobachter pünktlich vor Ort, nicht aber das Wahlpersonal. Auf Twitter veröffentlichte sie Bilder von auf dem Boden liegenden Wahlurnen. „Niemand weiß, was mit dieser Wahlstation ist - totales Chaos“, schrieb sie.

Ähnliches berichtete die Kandidatin Saleha Soadat aus Westkabul. In den Wahlzentren, die geöffnet seien, funktionierten die Geräte zur biometrischen Wählererfassung nicht. Lokale Medien berichteten von Protesten verärgerter Menschen.

Erstmals wurden biometrische Geräte eingesetzt

Erstmals wurden bei Wahlen biometrische Geräte zur Wählererfassung verwendet, es wurden Fingerabdrücke genommen sowie Fotos gemacht. Im Vorfeld hatte es jedoch keinen Testlauf für die Geräte gegeben.

Laut einem Bericht der Wahlbeobachtungsorganisation TEFA haben 85 Prozent der Wahlzentren zwar die Geräte erhalten, allerdings seien in 43 Prozent der Zentren Probleme aufgetreten. In vielen Provinzen habe das Personal die Geräte nicht ordentlich bedienen können.

Manche Wahlstationen hatten auch falsche oder nicht vollständige Wählerlisten vorliegen. In der Zargona High School, einem Wahllokal im Zentrum Kabuls, fehlten etwa laut dem Wahlchef Namenslisten von Wählern, deren Familiennamen mit den Buchstaben M, N, H, F beginnen.

Der 72-jährige Wähler Salman Ali sagte der Deutschen Presse-Agentur, er habe seit dem frühen Morgen darauf gewartet, bei einer Wahlstation in West-Kabul seine Stimme abgeben zu können. Erst habe die Polizei gesagt, das Personal sei noch nicht da. Anschließend habe es geheißen, die Wahlmaterialien fehlten noch. Daher sei er schließlich unverrichteter Dinge wieder nach Hause gegangen.

Parlamentswahl wird mit drei Jahren Verspätung abgehalten

Der Afghanistan-Experte Thomas Ruttig von der Denkfabrik Afghanistan Analysts Network beschrieb die Wahl als „chaotisch“. Sie sei die schlechteste gewesen, die er seit 2004 gesehen habe. Und er habe alle beobachtet, außer der Präsidentschaftswahl 2014. Wie sich im Vorfeld bereits angedeutet habe, sei die Vorbereitung schlecht gewesen und der Einsatz der Biometriegeräte zur Wählererfassung zu spät gekommen. „Die Wahlkommission hat den Prozess nicht beherrscht, es ist zweifelhaft, dass ihre Zahlen stimmen“, sagte Ruttig. Seiner Einschätzung nach habe die Wahl außerhalb der großen Städte und einer noch nicht näher zu bestimmenden Zahl von Distriktzentren so gut wie überhaupt nicht stattgefunden.

Laut Ruttig wurde am Ende des Tages die Gewalt durch Taliban deutlich höher beziffert, als sich am Vormittag angedeutet hatte. „Offenbar hatten einige Medien und die Sicherheitskräfte sich dazu entschlossen, keine Opferzahlen zu nennen, um Wähler nicht abzuschrecken“, sagte er. Das sei verantwortungslos.

Die Parlamentswahl wird mit mehr als drei Jahren Verspätung abgehalten. Mehr als 2500 Kandidaten bewerben sich um 250 Sitze in der Wolesi Dschirga (Haus des Volkes). Die Wahl war aufgrund von Verzögerungen bei der Wahlrechtsreform immer wieder verschoben worden. (tsp, AFP, dpa)

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