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Wo Luft reingeht, muss die Luft auch wieder raus: Eine aufblasbare Boris-Johnson-Puppe bei Protesten in Manchester.

© Oli SCARFF/AFP

Update

Tory-Parteitag in Manchester: Boris Johnson zwischen Spott und Skandalen

Beim Parteitag in Manchester kann sich der Premier der Zustimmung der Basis sicher sein. Die Opposition plant neue Attacken: Sogar von Impeachment ist die Rede.

Jahrelang hat Boris Johnson seine Vorgänger in Partei- und Staatsamt gequält, hat zuletzt auf den alljährlichen Treffen der Konservativen Theresa May das Leben zur Hölle gemacht. Beim Parteitag in Manchester dreht sich seit Sonntag alles nur um den neuen Premierminister, die begeisterte Zustimmung des Fußvolks ist ihm sicher, Konkurrenten sind nicht in Sicht.

Dafür setzten Tausende Johnson-Gegner die Torys Spott und Kritik aus. Zum Auftakt des Parteitags protestierten Gewerkschaften und linke Gruppen in der nordenglischen Stadt mit Bannern, Trillerpfeifen und Trommeln gegen Sparpolitik und Kürzungen im Gesundheitssystem. Eine zweite Demonstration richtete sich gegen den geplanten EU-Austritt und das kompromisslose Vorgehen der Regierung im Brexit-Streit mit dem Parlament. Zum Einsatz kam auch eine sechs Meter hohe, aufblasbare Puppe, die Johnson und seine Politik bloßstellen sollte.

Auch die Oppositionsparteien planen neue Initiativen gegen den Premierminister, nachdem vergangene Woche der Supreme Court die von Johnson beschlossene fünfwöchige Zwangspause fürs Parlament mit sofortiger Wirkung als „unrechtmäßig“ aufgehoben hatte. Die Chefin der walisischen Nationalistenpartei Plaid Cymru, Liz Saville Roberts, berichtete britischen Medien am Sonntag von Plänen, ein Impeachment-Verfahren gegen Johnson einzuleiten. „Er darf nicht einfach so davonkommen mit seinem Gesetzesbruch“, meint die Politikerin.

Gelegenheit für eine gemeinsame Initiative mit den größeren Oppositionsparteien besteht bereits zu Wochenbeginn. Anders als sonst üblich hat das Unterhaus einem kurzen Urlaub während des Tory-Parteitags seine Zustimmung verweigert. Ein Impeachment, ebenfalls von Plaid Cymru vorgeschlagen, gegen Labour-Premier Tony Blair wegen der britischen Beteiligung am Irak-Krieg verlief 2004 im Sande. In einer Kolumne für den „Daily Telegraph“ unterstützte Johnson damals die Initiative, schließlich habe Blair „Parlament und Öffentlichkeit mit Verachtung behandelt“. Ähnliche Vorwürfe werden nun gegen Johnson erhoben.

Zudem berichteten am Sonntag die Zeitungen über zwei private Verstrickungen, die dem Politiker zum Verhängnis werden könnten. Eine junge amerikanische Geschäftsfrau, deren Unternehmen der damalige Londoner Bürgermeister mit Staatsgeldern unterstützte, sei dessen Geliebte gewesen, berichtete die „Sunday Times“.

Behörden untersuchen Beziehungen zu US-Geschäftsfrau

Dem konservativen Blatt zufolge war Johnson während seiner Amtszeit als Londoner Bürgermeister (2008-2016) häufiger Besucher in der Wohnung des früheren Models Jennifer Arcuri, trat bei Veranstaltungen von Arcuris Cybertech-Firmen auf und ließ sie trotz Einwänden der Fachleute an drei Handelsreisen teilnehmen.

In diesem Jahr erhielt die 34-Jährige umgerechnet 113.000 Euro aus einem Fonds für Cybersecurity-Experten, die auf der Insel ansässig sind. In Wirklichkeit war die US-Amerikanerin aber bereits im Juni 2018 in ihre Heimat zurückgekehrt. Das Verhältnis von Johnson und Arcuri wird nun vom Londoner Stadtrat sowie der Polizeiaufsichtsbehörde untersucht. Nachfragen der BBC wehrte Johnson am Sonntag ab. „Ich bin sehr, sehr stolz auf alles, was wir getan haben, und sicherlich auch auf das, was ich als Bürgermeister von London gemacht habe“, sagte der Regierungschef in der Andrew-Marr-Show kurz vor Beginn des Parteitags. Er habe sich an die Vorschriften gehalten.

Ex-Finanzminister: „Spekulanten“ wollen chaotischen Brexit

Mindestens so explosiv wie die angebliche Vermengung seines Liebeslebens mit geschäftlichen Interessen ist eine Einlassung des früheren Finanzministers Philip Hammond. Demzufolge wird der Premierminister von „Spekulanten“ unterstützt, die ein Milliarden-Interesse an einem chaotischen EU-Austritt („No-Deal“) haben: „Aus ihrer Sicht kann es nur einen No-Deal geben, der die Währung abstürzen und die Inflation hochschnellen lässt.“

Diese Banker und Hedgefonds-Manager in der City of London könnten beruhigt sein, fügte Hammond in einem Beitrag für „The Times“ süffisant hinzu, schließlich gebe es „keinerlei Anzeichen“ dafür, dass die Regierung ernsthaft an einer Verabredung mit der EU interessiert sei.

Hammond nannte keine Namen in dem Artikel. Bekanntermaßen zählt der Hedgefonds-Manager Crispin Odey zu Johnsons finanziellen Unterstützern. Der 60-Jährige gehörte früher zu den Spendern der EU-feindlichen Uki-Partei sowie der Austrittskampagne Vote Leave im EU-Referendum. Zu Jahresbeginn meldeten britische Medien, Odeys Fonds habe auf einen weiteren Verfall des britischen Pfundes gesetzt. Die Währung hat seit der Austrittsentscheidung rund 10 Prozent ihres Wertes verloren.

Johnson wird in den nächsten Tagen viel über geplante neue Investitionen in Schulen, Krankenhäuser und Verkehrsinfrastruktur reden. Der Redner selbst, seine konservativen Claqueure und das Land wissen: Von Bedeutung für seine Zukunft als Partei- und Regierungschef ist neben möglichen Verstrickungen privater Art ausschließlich die Frage des EU-Austritts.

Legt Johnson nach dem Parteitag Plan für neuen Deal vor?

Nach einem Bericht der BBC will die Regierung nach dem Parteitag einen konkreten Plan für einen Deal vorlegen. Demnach dringen mehrere Minister darauf, doch noch mit der Europäischen Union zu einer Einigung zu kommen. Die bislang eingereichten Vorschläge wurden von den Verantwortlichen in Brüssel als unzureichend bezeichnet.

Derweil signalisierte Deutschland die Bereitschaft, Großbritannien unter gewissen Bedingungen erneut einen Brexit-Aufschub zu gewähren. „Sollte Großbritannien einen weiteren Verlängerungsantrag stellen, prüfen wir diesen konstruktiv“, sagte Außenminister Heiko Maas (SPD) der „Welt am Sonntag“. Die Unsicherheit sei eine wachsende Belastung für die Wirtschaft und die Handlungsfähigkeit der EU. (mit dpa)

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