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Polizisten vor den Haus von Walter Lübcke.

© REUTERS/Ralph Orlowski

Tötung von Walter Lübcke: „Es kann nichts ausgeschlossen werden“

Rechte feiern den Tod des Kasseler Regierungspräsidenten. Die Staatsanwaltschaft ermittelt "in alle Richtungen". 2015 bekam Lübcke nach Drohungen Polizeischutz.

Von Frank Jansen

Die Tat erscheint mysteriös, der Hass auf das Opfer ist hingegen auf widerwärtige Weise real. Wenige Tage nach dem Tod des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke begrüßen mutmaßlich rechte Wutmenschen im Internet den mutmaßlichen Mord. „Mich wundert bei der anti Bürger Politik das nicht schon mehr abgeknallt wurden" (Fehler wie im Original), schreibt ein Nutzer bei YouTube. In einem weiteren Kommentar heißt es, „da hatte wohl einer keinen bock mehr drauf, sich von einem cdu typen verarschen zu lassen".

Mehrmals wird hämisch auf eine Äußerung Lübckes vom Oktober 2015 verwiesen. Der Kasseler Regierungspräsident hatte bei einer Veranstaltung zur Flüchtlingspolitik aggressiven Zwischenrufern aus dem Pegida-Spektrum gesagt, wer die christlichen Werte des Zusammenlebens nicht vertrete, „kann dieses Land jederzeit verlassen".

Bei Rechtsextremisten und Rechtspopulisten kochte damals die Wut hoch, der Christdemokrat wurde lange beschimpft und bedroht. Dass ein rachsüchtiger Rassist in der Nacht zum vergangenen Sonntag dem Regierungspräsidenten in den Kopf schoss, ist nun eine der Theorien, die bei den Sicherheitsbehörden zu hören sind.

Sicherheitsbehörden: "Es kann nichts ausgeschlossen werden"

Die offiziellen Äußerungen sind allerdings vage. „Die Indizienlage ist unklar, es kann nichts ausgeschlossen werden", sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft Kassel, Andreas Thöne, am Dienstag auf die Frage des Tagesspiegels nach einem möglichen politischen Motiv. Die beim Landeskriminalamt gebildete „Soko Liemecke" habe ihre Arbeit aufgenommen, „es wird mit Hochdruck in alle Richtungen ermittelt".

Liemecke heißt der Bach in der Nähe von Lübckes Grundstücks in der nordhessischen Kleinstadt Wolfhagen, westlich von Kassel. Der 65-jährige Politiker wurde am Sonntag gegen 0.30 Uhr auf der Terrasse seines Hauses gefunden. Versuche, Lübcke zu reanimieren, blieben erfolglos.

Staatsanwalt Thöne spricht von einem „Schuss in den Kopf mit einer Kurzwaffe". Es sei nicht wahrscheinlich, dass Lübcke sich selbst tötete, „sondern dass von einem Fremdverschulden auszugehen ist". Dass sich jemand der Tat bezichtigt hat, „ist mir nicht bekannt", sagt Thöne.

Ob die Polizei ein Projektil gefunden habe oder zumindest eine Patronenhülse, will der Staatsanwalt nicht mitteilen. Er will vermeiden, dass der Täter über die Presse erfahren könnte, was die Ermittler inzwischen wissen. Über Reste von Munition können Experten der Polizei herausfinden, welche Waffe zum Einsatz kam. Die Sicherheitsbehörden kämen dem Schützen einen Schritt näher.

In Sicherheitskreisen ist die Sorge zu hören, der tödliche Schuss auf Lübcke könnte ein politisch motiviertes Attentat gewesen sein. „Wenn es das war, käme vermutlich ein Rechtsextremist oder ein Reichsbürger infrage", heißt es. Dass ein Islamist oder ein Linksextremist den Regierungspräsidenten getötet haben könnte, sei zumindest theoretisch nicht nachvollziehbar. Verhasst war Lübcke nur bei Rechten.

Lübcke stand auch schon unter Polizeischutz

Staatsanwalt Thöne bestätigt, dass der Regierungspräsident nach den Anfeindungen 2015 Polizeischutz bekommen hatte. Der stellvertretende Regierungspräsident von Kassel, Hermann-Josef Klüber, sagte dem Hessischen Rundfunk, Reichsbürger hätten „in unverschämten Schreiben" Lübcke bedroht. Sicherheitskreise erwähnen zudem den Messerangriff eines Rassisten im November 2017 auf den Bürgermeister von Altena (Westfalen), Andreas Hollstein. Der CDU-Politiker hatte sich ebenfalls für Flüchtlinge eingesetzt. Zwei Jahre zuvor hatte ein Flüchtlingsfeind in Köln der CDU-nahen Politikerin Henriette Reker in den Hals gestochen.

Der „Modus operandi" des Angriffs auf Lübcke erinnere zudem an die Terrorzelle NSU, sagen Sicherheitsexperten. Die Neonazis Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos hatten neun Migranten türkischer und griechischer Herkunft sowie eine Polizistin mit gezielten Schüssen in den Kopf ermordet. Der NSU verzichtete darauf, sich zu den Verbrechen zu bekennen. Das Tätervideo zu den Morden wurde erst bekannt, nachdem Böhnhardt und Mundlos sich im November 2011 erschossen hatten und ihre Komplizin Beate Zschäpe den Film verschickte.

Lübckes Tod könnte allerdings auch einen ganz anderen Hintergrund haben. Bei Tötungsverbrechen ermitteln Polizei und Staatsanwaltschaft ebenfalls im privaten und beruflichen Umfeld des Opfers. Häufig sind Verwandte oder Bekannte die Täter. In solchen Fällen ist das Opfer oft arglos und wird von dem Angriff überrascht.

Andererseits könnte Lübcke auch einen bewaffneten Einbrecher überrascht haben. Sicherheitskreise verweisen zudem auf Attacken psychisch gestörter Menschen gegen Politiker. Im Oktober 1990 schoss ein paranoider Mann mit einem Revolver auf Wolfgang Schäuble, damals Bundesinnenminister. Der CDU-Politiker sitzt seit dem Angriff im Rollstuhl.

Ein halbes Jahr zuvor hatte eine psychisch kranke Frau dem damaligen Kanzlerkandidaten der SPD, Oskar Lafontaine, mit einem Messer in den Hals gestochen. Lafontaine überlebte nur knapp. In beiden Fällen wurden die Täter in die Psychiatrie eingewiesen.

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