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Der Staffordshire-Terrier-Mischling "Chico", der seine Besitzer getötet haben soll, in einem Gehege im Tierheim Hannover.

© Hauke-Christian Dittrich/dpa

Tödliche Hunde-Beißattacke in Hannover: Warum #FreeChico irrt

Wir sind dummschlaue, egozentrische Weltherrscher, die hin und wieder einen einzelnen Untertan begnadigen, weil er uns irgendwie rührt - daran erinnert Chico, der in Hannover seine Besitzer totgebissen hat. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Harald Martenstein

In Hannover hat ein Hund, halb Staffordshire, halb Terrier, zwei Menschen totgebissen. Es handelte sich um eine Rollstuhlfahrerin und ihren 27-jährigen Sohn, Tatort: die Wohnung der drei. Der Hund Chico war den Behörden als aggressiv bekannt. Er wurde von seinen Haltern vernachlässigt und scheint selten ausgeführt worden zu sein. Sein Geschäft verrichtete er auf dem Balkon. Nun sitzt Chico also im Tierheim und soll eingeschläfert werden.

Inzwischen rollt eine Solidaritätskampagne. Die Onlinepetition „Lasst Chico leben!“ wurde mehr als 280.000 Mal unterzeichnet. Bei einer Demo vor dem Veterinäramt war auch die Parole „#FreeChico“ zu lesen, angelehnt an „FreeDeniz“ und „MeToo“. Hunderte haben angeboten, den Hund zu adoptieren.

Die Stadt Hannover zeigt sich beeindruckt, möglicherweise wird Chico in „ein spezielles Heim“ gebracht, eine Art Hunde-Guantanamo, um dort seinen Lebensabend zu verbringen. Der Aufenthaltsort des Tiers könnte „für immer geheim bleiben“, sagt der zuständige Dezernent. Womöglich kriegt er, wie enttarnte Doppelagenten, eine neue Identität.

Natürlich ist Chico unschuldig - aber vielleicht gefährlich

Natürlich hat die Free-Chico-Bewegung recht, wenn sie erklärt, Chico sei „unschuldig“. Ein Hund kann, im menschlichen Sinn, nicht schuldig sein. Schuld gibt es nur dort, wo ein Individuum sich zwischen verschiedenen Möglichkeiten frei entscheiden kann, das kann auch ein so intelligentes Tier wie der Hund nur in begrenztem Maß. Wenn ein Hund beißt, hängt dies fast immer mit Fehlern zusammen, die Menschen gemacht haben. Aber was hilft’s? Eine Garantie dafür, dass Chico nicht rückfällig wird, kann niemand geben.

Wir Menschen sind die Killer

Der Mensch ist schon seltsam. Unsere Gattung hat hunderte Arten ausgerottet und von der Natur fast nichts übriggelassen. Wir sind Killer. In unseren Fleischfabriken werden Tiere wie unbelebte Gegenstände behandelt, das sind sie aber nicht. Mit unserer Landwirtschaft rotten wir nach und nach die Insekten aus, sehr dumm. Wir sind dummschlaue, egozentrische Weltherrscher, die hin und wieder einen einzelnen Untertan begnadigen, weil er uns irgendwie rührt. Tiere töten, aber sie rotten einander nicht aus, solange der Mensch die Natur nicht aus dem Gleichgewicht bringt. Das ist der Unterschied zwischen Tier und Mensch.

Auch ich habe einen Hund, aus dem Tierheim. Er hat Schlimmes erlebt und Angst vor Männern, die er nicht kennt. Dann versucht er manchmal zu beißen. Es ist besser geworden. Ich mag den Hund sehr. Aber wenn ich die Kontrolle über ihn verlieren würde, wenn er eine Gefahr darstellt, dann müsste er eingeschläfert werden. Dazu stehe ich. „Free Chico“ ist ein Klub von Menschen für Menschen, die sich gut fühlen wollen. Den Tieren bringt das gar nichts.

Harald Martenstein liest am 22. April um 11 Uhr im Kino International neue und alte Kolumnen.

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