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US-Präsident Joe Biden lehnt es ab, amerikanische Soldaten in die Ukraine zu schicken.

© IMAGO/ZUMA Wire

Tödliche Geheimnisse: Machten US-Geheimdienstinformationen Attacken auf russische Generäle möglich?

Die USA versorgen die Ukraine mit wichtigen Informationen. Das könnte zur Tötung von zwölf hochrangigen Militärs an der Front beigetragen haben.

Auch die allergrößte Transparenz hat offenbar ein Ende. Zumindest, wenn es um Geheimdienste geht, und schon gar in einer Kriegssituation. In Washington ist es nun soweit.

Beeindruckten die amerikanischen Dienste seit Beginn der aktuellen Ukraine-Krise mit großer Offenheit und offensiver Kommunikation, so reagierte das Weiße Haus höchst verärgert auf einen Bericht der „New York Times“ über die Arbeit der amerikanischen Auslandsdienste.

Die Zeitung hatte am Mittwochabend (Ortszeit) unter Berufung auf hochrangige Regierungsmitarbeiter berichtet, dass von den USA an die ukrainische Armee gelieferte Geheimdienstinformationen zur Tötung mehrerer russischer Generäle beigetragen hätten. Nach ukrainischen Angaben seien seit Beginn der Invasion am 24. Februar rund zwölf hochrangige Militärs an der Front getötet worden – eine Zahl, die westliche Militärbeobachter erstaunt habe.

Das Weiße Haus reagiert verärgert

Demnach klären die USA insbesondere über die Standorte der „mobilen Hauptquartiere der russischen Armee“ in der Ukraine auf und teilen diese Informationen mit Kiews Streitkräften. Das habe es der Ukraine ermöglicht, die sich immer wieder verlagernden Kommandostände anzugreifen.

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Die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrats, Adrienne Watson, erklärte noch am Mittwoch, die Aussagen über eine US-Unterstützung zur Tötung russischer Generäle seien „unverantwortlich“. Richtig sei, dass die US-Regierung „Informationen auf dem Schlachtfeld zur Verfügung“ stelle, um den Ukrainern bei der Verteidigung ihres Landes zu helfen. Aber: „Wir stellen keine Informationen mit der Absicht zur Verfügung, russische Generäle zu töten.“

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Das Weiße Haus ärgert sich über die Darstellung, die USA würden Killerkommandos unterstützen. Dahin steckt auch die Sorge, der russische Präsident Wladimir Putin könne so etwas zum Vorwand nehmen, die Angriffe weiter zu eskalieren.

Biden will einen dritten Weltkrieg vermeiden

US-Präsident Joe Biden betont immer wieder, Amerika dürfe nicht zur aktiven Kriegspartei werden, da sonst ein dritter Weltkrieg drohe, bei dem sogar Atomwaffen eingesetzt werden könnten. Daher hat Biden ausgeschlossen, US-Truppen zu schicken oder etwa eine Flugverbotszone einzurichten, was dazu führen könnte, dass amerikanisches Militär russische Flugzeuge abschießen müsste.

Gleichzeitig hat die US-Regierung ihre Militärhilfe für Kiew sukzessive ausgeweitet. Teilte das Pentagon zu Beginn der Invasion noch mit, dass es bei der Militärhilfe um „Defensivwaffen“ und Ausrüstung gehe, so liefert Washington inzwischen auch schwere Offensivwaffen wie Artilleriegeschütze, Helikopter und Kampfdrohnen.

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Besonders letztere können dafür verwendet werden, einzelne Soldaten zu identifizieren und zu töten – zum Beispiel „einen General, der in einem Fahrzeug sitzt oder Befehle an der Front erteilt“, wie die „New York Times“ schreibt. Zudem werden ukrainische Soldaten unter anderem in Deutschland an den Waffensystemen ausgebildet.

Die US-Regierung hat ihre Rhetorik verschärft

Auch  ihre Rhetorik hat die US-Regierung angesichts der zunehmenden Eskalation des Kriegsgeschehen immer weiter verschärft. Äußerungen von Biden, Putin könne nicht an der Macht bleiben, hat der US-Präsident zwar selbst zurechtgerückt: Mit diesem Satz, den er bei einem Besuch in Warschau Ende März abweichend vom Redemanuskript gesagt hatte, sei nicht gemeint, dass die USA einen „regime change“ in Russland anstrebten.

Aber sprach das Weiße Haus noch im Februar lediglich davon, der Ukraine beim „Überleben“ zu helfen, heißt es nun, Russland müsse langfristig geschwächt werden, um die Sicherheit in der Region zu gewährleisten. „Wir wollen, dass Russland so weit geschwächt wird, dass es zu so etwas wie dem Einmarsch in die Ukraine nicht mehr in der Lage ist“, hatte Verteidigungsminister Lloyd Austin Ende April in Kiew gesagt.

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Pentagon-Sprecher John Kirby lehnte es ab, über konkrete Geheimdienstinformationen zu sprechen. Doch er bestätigte, dass die USA der Ukraine mit Geheimdienstinformationen helfe, „damit diese „sich selbst verteidigen“ könne. Auch andere Nato-Partner übermitteln dem Bericht zufolge solche Informationen an das ukrainische Militär.

Mehr Informationen über Aktivitäten im Donbass und auf der Krim

Diese Art der Unterstützung bleibt in der Regel geheim – oder kann zumindest abgestritten werden. Dass Washington hier zunehmend aktiv wird, bestätigte Generalstabschef Mark Milley am Dienstag bei einer Anhörung im US-Senat. „Wir haben die Schleusen geöffnet“, sagte er da.

So versorgten die USA die Ukraine Mitte April mit Informationen über russische Truppenbewegungen in der Donbass- und Krim-Region. Zu diesem Zeitpunkt bereitete sich Kiew gerade auf eine neue Offensive Moskaus in der Ostukraine vor. Dieser Strategiewechsel, der mit der Zusage, schwere Waffen zu liefern, einherging, wurde breit diskutiert.

Zuvor hatte Washington zwar Informationen über die militärischen Fähigkeiten Russlands im Donbass und auf der Krim mit Kiew geteilt. Daten, die die Ukrainer dafür verwenden könnten, die von Moskau 2014 besetzten Gebiete zurückzuerobern, wurden aber nicht weitergegeben – aus Sorge vor einer Ausweitung des Krieges. Hier sind Veränderungen zu sehen. Regierungsvertreter betonten Mitte April aber weiter, dass die USA der Ukraine keine Informationen zur Verfügung stellten, die zu Angriffen auf russischem Gebiet genutzt werden könnten.

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