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Fast nichts zu sehen. Auf dem Provinzbahnhof Bad Kleinen befinden sich kaum Spuren des einstigen Vorfalls.

© Claus-Dieter Steyer

Tod des RAF-Terroristen Wolfgang Grams: Bad Kleinen: 20 Jahre und kein Ende

Die Reisenden beschleicht hier nach wie vor ein bedrückendes Gefühl: Bad Kleinen 20 Jahre nach der spektakulären Aktion, bei der der RAF-Terrorist Wolfgang Grams und ein GSG-9-Beamter starben.

Die Attacken kommen 20 Jahre nach den tödlichen Schüssen auf dem Bahnhof Bad Kleinen in der Nähe von Schwerin vorzugsweise von oben. Aber auch von seitlichen Angriffen sollte man sich in Acht nehmen und obendrein genau den Fußboden im Auge behalten. Auf dem Bahnhof des 3800 Einwohner zählenden Ortes beschleicht die Reisenden nach wie vor ein bedrückendes Gefühl. Allerdings peitschen heute nicht mehr wie am 27. Juni 1993 Pistolenkugeln durch die Luft. Taubenkot in unvorstellbarer Menge stellt jetzt das große Ärgernis dar. Er bedeckt nahezu alle Spuren der damaligen Ereignisse, die in der deutschen Nachkriegsgeschichte beispiellos sind. So werden heute auch am Bahnsteig 4, an dem der RAF-Terrorist Wolfgang Grams auf seiner Flucht vor der GSG-9-Elitegruppe ins Gleis stürzte und hier laut verschiedener Gutachten Selbstmord beging, die Neugierigen zum Hindernislauf vor den Hinterlassenschaften der Vögel gezwungen. Ohnehin gibt es keinen Gedenkstein weder für Grams, noch für den von ihm erschossenen Beamten Michael Newrzella.

„In den ersten Jahren nach dem Vorfall gab es mal eine Tafel“, erzählt die Angestellte im Zeitungskiosk. „Aber Sie wissen ja, es gibt überall Souvenirjäger. Die haben alles mitgehen lassen.“ Lediglich ihr Arbeitsplatz hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten auf dem einstigen Umsteigeknoten eine Veränderung erfahren. Der Kiosk für Zeitungen, Getränke und einen Imbiss ist neu. Mit dem alten Verkaufsladen auf dem Bahnsteig ist auch eine der wichtigsten Zeugnisse der Vorgänge vor 20 Jahren verschwunden. „Die damals dort beschäftigte Frau ist regelrecht aus Bad Kleinen vertrieben worden“, sagt die heutige Verkäuferin.„Die hat es am Ende nicht mehr ausgehalten.“

Die Aussagen der Joanna Baron

Tatsächlich hatten vor allem die Aussagen von Joanna Baron vor zwei Jahrzehnten die ganze Diskussion um die Hintergründe der tödlichen Schüsse ausgelöst. Sie saß an jenem Sonntag in ihrem Kiosk und sah Wolfgang Grams auf der Flucht vor den Beamten die Treppe heraufstürzen. Blitzartig ließ sie damals die Rollläden herunter und wagte sich zwei Stunden nicht aus ihrem Kiosk heraus. Wenig später diktierte sie Journalisten verschiedene Varianten der Vorgänge in die Blöcke und sprach davon, dass Wolfgang Grams regelrecht von GSG-9-Beamten mit einem aufgesetzten Schuss hingerichtet worden sei. Bundesinnenminister Rudolf Seiters trat daraufhin zurück. Doch vor allem in den Verhören bei der Polizei verstrickte sie sich danach in Widersprüche. Das große öffentliche Interesse und der Druck der Behörden, die ihr Versagen zuerst nicht eingestehen wollten, waren offensichtlich zu viel für sie.

Wer sich heute in Bad Kleinen umhört und nach Erinnerungen an den 27. Juni 1993 fragt, erhält ganz unterschiedliche Antworten. „Ich habe damals Birgit Hogefeld einen Tag vorher in unserem Schuhladen gesehen“, erinnerte sich Jutta H. „Die fiel mit ihrem modernen Ledermantel in unserem Dorf regelrecht auf.“ Damals habe sie sich allerdings auf die „fremde Person“ keinen Reim machen können. Erst beim Foto der Terroristin in der abendlichen Tagesschau habe es bei ihr geklickt. „Das war die deutschlandweit gesuchte Frau.“

"20 Jahre und kein Ende"

So fügten sich dann viele Beobachtungen zu einem Gesamtbild. Birgit Hogefeld und der vom Verfassungsschutz in die RAF-Kommandoebene eingeschleuste V-Mann Klaus Steinmetz hatten sich zwei Tage vor dem Treffen mit dem aus Rostock kommenden Wolfgang Grams in eine Ferienwohnung im nahen Wismar einquartiert. Hogefeld wollte sich am Samstag vor dem entscheidenden Tag in Bad Kleinen umsehen und begab sich daher zur Tarnung auch in den örtlichen Schuhladen. Das Bundeskriminalamt war aber über alle Schritte informiert, hatte sie doch den Laptop von Steinmetz vorher mit einem Peilsender ausgestattet.

Andere Einwohner von Bad Kleinen erinnern sich an stundenlange Absperrungen nach dem Kugelhagel und an eine große Polizeipräsenz. Hubschrauber hätten damals lange Zeit über dem direkt an den Schweriner See grenzenden Bahnhof gekreist. „20 Jahre und kein Ende“, sagt ein älterer Mann auf dem Bahnhofsvorplatz. „Bis heute ist doch nicht geklärt, ob dieser Grams nun durch Mord oder Selbstmord starb.“

Der Zugang zum Billardcafe, in dem Hogefeld, Grams und Steinmetz ihre letzte gemeinsame Mahlzeit einnahmen, ist versperrt. Das Restaurant selbst verfällt, genau wie der einstige Intershop. Tauben haben auch dieses Terrain für sich erobert.      

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