zum Hauptinhalt
Die AfD-Fraktion im Parlament.

© AFP

„Tiefpunkt einer dauerhaften Strategie“: Debatte im Bundestag wird zur Generalabrechnung mit der AfD

Bedrängt, belästigt, gefilmt: Der Bundestag will die Störung durch AfD-Gäste aufarbeiten. Doch in der Debatte bricht sich noch viel mehr Ärger Bahn.

Die kurze Szene spielt in einer Kantine des Bundestages. Die ehemalige Umweltministerin Barbara Hendricks von der SPD schildert sie am Rednerpult. Ein Mitarbeiter aus den Reihen der AfD-Fraktion habe wahrgenommen, „dass ein anderer ein vegetarisches Gericht bestellt“, berichtet Hendricks. Darauf sei von dem AfD-Mitarbeiter die Bemerkung gekommen: „Euch kriegen wir auch noch, ihr Körnerfresser.“

Es ist eine Szene, die für sich genommen, vielleicht trivial erscheinen mag. Doch die Drohung in der Kantine fügt sich wie ein Puzzleteil ein in das Bild, das die anderen Fraktionen an diesem Freitag im Bundestag von der AfD zeichnen.

Anlass ist die von Union und SPD beantragte Aktuelle Stunde zu den AfD-nahen Störern, die am Mittwoch im Parlament unterwegs waren. Während der Bundestagsdebatte zur Reform des Infektionsschutzgesetzes wurden Abgeordnete auf den Fluren des Reichstagsgebäudes von AfD-Besuchern bedrängt, belästigt, gefilmt und beleidigt.

In den anderen Fraktionen ist man sich einig: Der Vorfall ist ein Tabubruch, er hat eine „neue Qualität“. Doch die Debatte dazu ist auch eine Generalabrechnung der anderen Fraktionen mit der AfD. Es scheint, als breche sich der Ärger Bahn über all die Provokationen, Tabubrüche und Störungen der vergangenen Jahre. Und dazu gehört eben Szenen wie die von Hendricks mit den „Körnerfressern“.

„Angriff auf das freie Mandat“

Den Auftakt an diesem Freitag macht der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Michael Grosse-Brömer. Bei den Vorfällen vom Mittwoch handele es sich um einen „Angriff auf das freie Mandat“ und auf die parlamentarische Demokratie. „Eine Abstimmung sollte durch Nötigung beeinflusst werden.“

[Lesen Sie hier bei Tagesspiegel Plus: „Allianz mit dem radikalen Protest: Wie sich die AfD dem Querdenker-Milieu andient“.]

Schon länger versuche die AfD die Sitzungsabläufe zu behindern, das Ansehen des Parlaments zu beschädigen. „Es geht Ihnen nicht um die Sache. Es geht Ihnen um Effekthascherei, um Futter für Ihre Kanäle. Dieses Rednerpult ist für Sie allein Kulisse für Ihre Videoclips“, ruft Grosse-Brömer.  Doch die Vorfälle von Mittwoch seien der bisherige „Tiefpunkt einer dauerhaften Strategie der AfD in diesem Hause.“

„Ein Klima der Bedrohung“

In der AfD-Fraktion versucht man, das Geschehene in seiner Bedeutung herunterzuspielen. Fraktionschef Alexander Gauland räumt zwar ein, dass das Verhalten der Störer „unzivilisiert“ gewesen sei. „Dafür entschuldige ich mich.“ Die AfD-Fraktion hätte „diese Besucher beaufsichtigen sollen“. Man habe aber nicht damit rechnen können, dass so etwas passiert. Die Unterstellung, seine Fraktion habe im Vorhinein von den Plänen der Störer gewusst, sei „infam“.

Und Gauland geht zum Gegenangriff über: Auch Aktivisten der Klimabewegung „Extinction Rebellion“ hätten im Bundestag bereits Flyer verteilt. Aber das seien offenbar „gute Störer“ gewesen. Gauland wirft den anderen Fraktionen vor, mit zweierlei Maß zu messen. Dass es einen Unterschied gibt zwischen Bedrängung und Flyerverteilung spielt in Gaulands Rede keine Rolle. 

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Worin genau der Tabubruch der AfD, die „neue Qualität“ besteht, ist für den Parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Marco Buschmann klar zu erkennen. Er zitiert den Staatsrechtler Hans Kelsen. Dieser habe vor den „Waffen der Demokratiefeinde“ im Parlament gewarnt.

Dazu zähle einerseits die „technische Obstruktion“: also formelle Mittel, mit denen Sand ins Getriebe gestreut werde. „Massenhafte Wahlgänge, Hammelsprünge, seltsame Geschäftsordnungsanträge“ – all das habe die AfD schon versucht.

Daneben gebe es aber die „physische Obstruktion“ – das heiße „durch Lärm, Gewalt und ein Klima der Bedrohung die Parlamentarier von ihrer Arbeit abhalten“. Buschmann glaubt: Das ist jetzt passiert. „Die AfD ist das erste Mal von einer technischen Obstruktion zu einer physischen Obstruktion übergegangen, und das ist unerhört.“

Grüne sehen eine konzertierte Aktion

Ähnlich drückt sich die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Britta Haßelmann aus: Die von der AfD ins Haus gelassenen Personen hätten die gewählten Abgeordneten an der Ausübung ihres freien Mandates hindern wollen. „Wer versucht Abgeordnete einzuschüchtern, der greift unsere Demokratie an und das ist ein Tabubruch in diesem Haus.“

Haßelmann warf der AfD auch vor, die Öffentlichkeit für dumm verkaufen zu wollen mit ihren Beteuerungen, das Verhalten der Besucher sei nicht vorhersehbar gewesen. „Das kennen wir: Wenn es brenzlig wird, dann wussten sie nichts oder heulen Krokodilstränen.“ Aus Sicht von Haßelmann war es aber eine „konzertierte Aktion“, „Teil der AfD-Strategie“.

[Mehr zum Thema: Bündnis von Corona-Skeptikern und Verfassungsfeinden - der Staat muss gegenüber der AfD endlich Härte zeigen]

Und die SPD-Frau Hendricks beschreibt, wie die AfD aus ihrer Sicht das Klima verändert hat. Die Mitarbeiter der AfD würden andere einschüchtern. „Kolleginnen aus anderen Fraktionen trauen sich nicht mehr, abends spät auf den Fluren unterwegs zu sein.“ Es ist nicht das erste Mal, dass dieser Vorwurf geäußert wird. Die AfD hat Bedrohungen und Bedrängungen durch ihre Mitarbeiter aber stets bestritten.

Die Störungen durch ihre Besucher werden der AfD wohl noch lange nachhängen. Das ist offenbar auch der AfD-Fraktion bewusst. Bei einer Sondersitzung fasste sie den Beschluss, ein Entschuldigungsschreiben an Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble zu verfassen, das von den Abgeordneten Petr Bystron und Udo Hemmelgarn unterzeichnet werden soll – die beiden hatten die Gäste eingeladen.

Und auch in anderer Hinsicht ist es keine gute Woche für die AfD: Von der Maskenpflicht im Bundestag sind nach einer Eilentscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin auch Mitarbeiter der AfD-Fraktion nicht ausgenommen. Einen Eilantrag von neun AfD-Mitarbeitern gegen die Allgemeinverfügung von Bundestagspräsident Schäuble wies das Gericht zurück.

Zur Startseite