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Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer.

© dpa/Bodo Schackow

Thüringens Verfassungsschutzchef Kramer: „Die Volksfront für die Befreiung Palästinas muss verboten werden“

Der Thüringer Verfassungsschutzchef Stephan Kramer warnt vor Anschlägen radikaler Muslime. Jüdische Einrichtungen müssten demonstrativ geschützt werden.

Von Frank Jansen

Stephan Joachim Kramer war von 2004 bis Januar 2014 Generalsekretär des Zentralrats der Juden in Deutschland und Leiter des Berliner Büros des European Jewish Congress. Seit 1. Dezember 2015 ist er Präsident des Amtes für Verfassungsschutz Thüringen.

Vor den Synagogen in Bonn und Münster wurden Israel-Flaggen angezündet in Bonn flogen auch Steine. In Düsseldorf brannte Müll am Denkmal für die von den Nazis zerstörte Große Synagoge. Wie gefährlich ist das Übergreifen des Konflikts zwischen Israel und der palästinensischen Terrororganisation Hamas für die Bundesrepublik?
Der Konflikt zwischen Israel und der palästinensischen Terrororganisation Hamas hat schon in der Vergangenheit Auswirkungen auf die Sicherheitslage, besonders der jüdischen und israelischen Einrichtungen in Deutschland gehabt. Insofern ist die aktuelle Situation keine Überraschung. Erschwerend kommt diesmal allerdings hinzu, dass wir seit der Zuwanderungswelle 2015 auch noch zusätzliches Personenpotenzial in Deutschland haben, von denen wir Sicherheitsbehörden einen Teil auf dem Radar haben.

Wohlgemerkt, die große Mehrzahl der Flüchtlinge sind friedliebende Menschen, die dankbar für die Sicherheit und Freiheit in Deutschland sind, aber wir verschließen nicht die Augen davor, dass wir ein beachtliches Islamismuspotenzial in Deutschland haben, welches sich auch leicht in dem Konflikt emotionalisieren lässt und hierzulande gewalttätig werden kann. Ich darf nur an die antiisraelischen und antisemitischen Al-Quds-Demonstrationen 2017 oder 2019 vor allem in Berlin, aber auch in Nordrhein-Westfalen erinnern.

Welche Szenarien sind zu erwarten?
Die Übergriffe in NRW haben gezeigt, dass sich das Ganze auch schnell in konkreten gewalttätigen Anschlägen gegen Menschen und Sachen entladen kann. Deswegen ist es besonders wichtig vor allem auch sichtbare jüdische Einrichtungen durch entsprechende Polizeipräsenz demonstrativ zu schützen. Wir Nachrichtendienste müssen insbesondere aufmerksam die sozialen Plattformen im Internet beobachten. Aus radikalen Posts können schnell konkrete Angriffe werden.

[Mehr zum Thema: Judenhass bei propalästinensischen Protesten in deutschen Städten]

Wächst das Risiko von Terroranschlägen auf jüdische und israelische Einrichtungen in Deutschland?
Das allgemeine Risiko ist ohnehin hoch, aber wir müssen davon ausgehen, dass insbesondere nach der jüngsten Entspannung durch die Annäherung Israels an einzelne arabische Staaten, dieser Friedens- und Annäherungsprozess von einigen gezielt zerstört werden soll. Dazu zählen dann auch Terroranschläge in der jüdischen Diaspora.

Proteste am Al-Quds-Tag in Berlin.
Proteste am Al-Quds-Tag in Berlin.

© REUTERS/Fabrizio Bensch

Müssen die Einrichtungen noch stärker geschützt werden?
Grundsätzlich natürlich ja, aber wir wissen auch, dass die Kräfte zum Schutz endlich sind und es keinen absoluten Schutz gibt, dafür sind die potentiellen Ziele zu zahlreich. 

Welche Rolle spielt die Hamas im islamistischen Spektrum in Deutschland?
Die Hamas ist eine islamistisch-terroristische Organisation mit nationaler Agenda. Seit ihrer Gründung beschränkt sie ihre terroristischen Aktivitäten auf Israel und die palästinensischen Gebiete. Deutschland wird – wie andere westliche Staaten – bisher als gewaltfreier Rückzugsraum zur Rekrutierung neuer Anhänger, zur Verbreitung von Propaganda und zum Sammeln von Spendengeldern genutzt. Seit dem Jahr 2003 wird die Hamas als Terrororganisation auf der EU-Terrorliste geführt.

Welche Bedeutung hat die linksradikale „Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP)“ im Spektrum der Israelhasser in Deutschland?
Die PFLP ist eine Terrororganisation. Sie steht in der Europäischen Union und in den USA auf der Terrorliste, verboten ist sie aber bisher formaljuristisch nicht, weil sie bisher nur wenig Aktivitäten in Deutschland entfaltet. Ich halte das für bedenklich. Dieser Zustand sollte schnellstmöglich juristisch geprüft und behoben werden. Auftrittsversuchen in Deutschland begegnen die Behörden mit entsprechenden Verboten.

Die PFLP begeht immer wieder Morde in Israel. Einheiten von ihr beschießen Israel aus Gaza heraus. In Deutschland erlangte die PFLP vor allem durch die Entführung der Lufthansa-Maschine Landshut und dem Mord an deren Piloten Jürgen Schumann 1977 traurige Berühmtheit, das scheinen viele vergessen zu haben. Außerdem solidarisieren sich extremistische Gruppierungen in Deutschland mit der PFLP, beispielsweise die maoistische Kleinpartei MPLD über ihr Organ „Die Rote Fahne“. 

Im Verfassungsschutzverbund ist immer wieder zu hören, alle islamistischen Organisationen seien antisemitisch. Warum ist das so?
Das Thema Antisemitismus im Islam geht weit zurück. Hierzu hat das Bundesamt für Verfassungsschutz eine lesenswerte Broschüre herausgegeben. Den Inhalt teile ich voll und ganz. Demnach wird im Islam über die Versuche Muhammads berichtet, drei jüdische Stämme zu seiner Glaubensauffassung zu bekehren. Als diese Bemühungen scheiterten, kam es zu kriegerischen Auseinandersetzungen, die mit der militärischen Niederlage der Stämme endeten. Diese Ereignisse bilden den Hintergrund für die im Koran zu findenden judenkritischen Stellen.

Im Wesentlichen lautet die Anschuldigung, die Juden hätten den Bund mit Allah und den Muslimen gebrochen, indem sie Muhammad nicht als den von Gott auserwählten Propheten anerkannten. Außerdem wird der Vorwurf erhoben, Juden würden bei den von ihnen getätigten Geldgeschäften betrügen. Diese Koranstellen, die bis in die Gegenwart hinein immer wieder aus ihrem historischen Zusammenhang gelöst und wortwörtlich ausgelegt wurden und werden, bilden im Islam die Grundlage für eine Judenfeindschaft, die „einen integralen Bestandteil des religiösen Selbstverständnisses“ darstellt.

Nichtsdestotrotz konnten Juden über viele Jahrhunderte hinweg ein – insbesondere im Vergleich zum christlich geprägten Mitteleuropa – sicheres Leben in islamischen Ländern führen. Antisemitische Ausschreitungen oder Pogrome ereigneten sich vergleichsweise selten.

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Erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts verbreitete sich der europäische Antisemitismus in zunehmendem Maße auch in der islamischen Welt. Eine spürbare Zunahme von gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Juden und Muslimen ist ab den 1920erJahren feststellbar, als zahlreiche europäische Juden nach Palästina auswanderten und dort in wirtschaftliche und politische Konkurrenz zur ansässigen arabischen Bevölkerung gerieten.

Im organisierten Islamismus gewannen antisemitische Einstellungen ab dieser Zeit ebenfalls zunehmend an Bedeutung. Insbesondere der Mufti von Jerusalem, Mohammed Amin el-Husseini, pflegte enge Kontakte zu den deutschen Nationalsozialisten und hetzte in Radioansprachen offen gegen die Juden. Aber auch in der ägyptischen „Muslimbruderschaft“ (MB), aus der später die Hamas hervorging, fanden arabische Übersetzungen europäischer judenfeindlicher Schriften ab den 1930er Jahren weitere Verbreitung und großen Anklang.

Im Jahr 1948 stellte die Gründung des Staates Israel und dessen militärischer Sieg über die verbündeten arabischen Staaten Ägypten, Syrien, Libanon, Jordanien und Irak im Unabhängigkeitskrieg den Höhepunkt der Eskalation dar. Es kam im Verlauf des Krieges zu Flucht und Vertreibung von hunderttausenden muslimischen Palästinensern, wodurch das israelisch-palästinensische Verhältnis bis heute stark belastet wird.

Auch in den übrigen arabischen Staaten führte diese militärische Niederlage zu einer stärkeren Ausweitung antisemitischer Einstellungen in weiten Kreisen der Bevölkerung. Eine Erklärung der unerwarteten Niederlage gegen das kleine und vermeintlich schwache Land schien lediglich durch das Konstrukt einer „jüdischen Weltverschwörung“ möglich.

Welchen Anfeindungen sind Sie als einziger jüdischer Verfassungsschutzchef ausgesetzt?
Bisher keinen aus dem islamistischen Bereich. Angefeindet werde ich vor allem von rechts.

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