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Mike Mohring (47) ist seit Dezember 2014 Landesvorsitzender der CDU Thüringen.

© Kay Nietfeld/dpa

Thüringens CDU-Chef Mohring: „Keine Politik über die Köpfe der Menschen hinweg“

Thüringens CDU-Chef Mohring spricht über einen neuen Diskurs, die Chancen der Jungen Union beim Klimaschutz, Merkels Rolle – und seine Krebserkrankung.

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Sie galten lange als einer der jungen Wilden der CDU – verschenkt die CDU mit ihrem Agieren in der Klimapolitik oder beim EU-Urheberrecht gerade eine ganze Generation?

Nein, für eine konservative Partei wie die CDU ist die Bewahrung der Schöpfung und unseres Planeten seit fast 75 Jahren Teil unserer politischen DNA. Aus diesem Grund kann ich meiner Partei nur empfehlen, mit den jungen Menschen von „Fridays for Future“ intensiv das Gespräch zu suchen. Diese Schüler glauben daran, etwas verändern zu können. Das ist etwas sehr Positives, da sollten wir als Volkspartei in der Debatte nicht abseits stehen.

CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer plant ein „Werkstattgespräch“ zur Klimapolitik…

Ein gutes Beispiel von vielen. Der beste Ansprechpartner für die junge Generation ist aber natürlich unser Jugendverband, die Junge Union. „Fridays for Future“ kann sich zu einer völlig neuen Bewegung entwickeln. Daher habe ich Tilman Kuban, dem neuen JU-Chef, zugeraten, die Anliegen und Sorgen der jungen Menschen offenen Herzens aufzugreifen, Ideen zu entwickeln und mit ihnen gemeinsam zu diskutieren. Der größte politische Jugendverband Deutschlands und die größte Jugendbewegung könnten zusammen richtig etwas bewegen.

Die JU wirkt im Moment aber doch eher rückwärtsgewandt und rechts von den Mutterparteien!

Ich teile diese Einschätzung nicht und kann mit solchen Etiketten nichts anfangen. Und der neue JU-Chef ist gerade einmal seit Mitte März im Amt. Ich selbst habe mich als 17-jähriger Schüler im Herbst 1989 engagiert und selber Demos organisiert. Wir haben zusammen mit Hunderttausenden eine Diktatur gestürzt und die Mauer zum Einsturz gebracht. Als einzig verbliebene Volkspartei müssen wir uns mit den Fragen dieser jungen Menschen offen auseinandersetzen. Das heißt nicht, dass wir ihnen nach dem Mund reden, aber miteinander reden, sich zuhören und Argumente teilen, das sollte immer möglich sein.

Was hätten Sie denn damals zu jemandem gesagt, der erklärt hätte, dass er Ihnen keine Entschuldigung für die Schule schreibt, wenn Sie demonstrieren gehen?

Na ja, Protest während der Schulzeit kann nicht zur Dauereinrichtung werden. Seine Stimme für mehr Klimaschutz zu erheben, das geht an jedem Tag und auch nach Schulschluss. Und es sind gerade die Ideen und Fähigkeiten einer gut ausgebildeten Generation von morgen, die wir brauchen, damit unsere Welt trotz rasanten Bevölkerungswachstums und steigendem Ressourcenverbrauch lebenswert bleibt.

Im Herbst wird in Thüringen der Landtag neu gewählt. Muss man als Oppositionspartei im Osten den Wahlkampf heute anders angehen als üblich?

Ich verstehe uns als Volkspartei, als Brückenbauer. In den ostdeutschen Ländern wählen 40 Prozent der Menschen radikale Parteien links und rechts. Für die bürgerliche Mitte bleiben da gerade mal 60 Prozent. Wir dürfen die Menschen deshalb nicht in ihrem Protest alleine lassen. Erst recht halte ich es für falsch, die Leute einfach in die rechte Ecke abzuschieben, weil sie ihre Meinung kundtun, sondern wir müssen ständig zum Gespräch einladen und die Hand dafür reichen, nicht am Rande der Gesellschaft zu verharren.

Nutzen Sie dafür neue Formate und Kommunikationswege?

Wir haben als Fraktion zum Beispiel ein neues Format entwickelt: „Auf ein Wort“. Da fahren wir in Kneipen und Säle und lassen die Menschen selbst bestimmen, was besprochen wird, statt ihnen Vorträge zu halten. Nicht die Politiker erklären die Welt, sondern die Leute bestimmen die Agenda. Und wir versuchen dann, mit ihnen Antworten zu finden.

Klingt das nicht ein bisschen arg nach Stuhlkreis?

Wir haben viel gelernt in den Jahren der Opposition. Im Handeln der amtierenden rot-rot-grünen Regierungskoalition sehen wir, was es bedeutet, wenn man mit der Arroganz der Macht versucht, den Leuten die Welt zu erklären und ihr Leben zu bestimmt.

Was haben Sie dabei gelernt?

Mein Leitsatz ist: „Der andere könnte auch recht haben!“ Das verändert alles. Der andere, egal ob er in der Minderheit oder der Mehrheit ist, egal ob er dein Freund ist oder dein Gegner – er könnte richtig liegen. Ich bin überzeugt, nur mit dieser Haltung lassen sich Lösungen und Kompromisse finden. Wir wollen keine Politik über die Köpfe der Menschen hinweg machen wie Rot-Rot-Grün.

In Thüringen heißt der AfD-Chef Björn Höcke. Ist mit Menschen, die so einen Mann wählen, ein Gespräch überhaupt möglich?

Ein großer Teil dieser Wähler der AfD ist ansprechbar. Das sind Menschen, die nach Antworten und nach Orientierung suchen, und die als Wähler die Rote Karte nur ziehen, weil sie mit vielem nicht einverstanden sind. Sie haben das Gefühl, der Staat ist nicht mehr uneingeschränkt handlungsfähig, der Staat kann sein Sicherheitsversprechen nicht mehr einlösen. Dieses verlorene Vertrauen zurückzugewinnen ist unsere Aufgabe.

Welche Erwartungen haben Sie dabei an die Bundespolitik?

Ich habe immer gesagt: 2019 muss ein Jahr der Entscheidungen werden. Wir können Dauerdebatten nicht mehr brauchen und auch keine taktischen Spiele. Wir müssen die Probleme anpacken, die wir uns vorgenommen haben, und wir müssen sie lösen.

Das klingt nicht so zufrieden mit denen in Berlin…

Ich bin überzeugt: Gewinner einer Wahlkampfdebatte um die Grundrente wird nicht die SPD sein, sondern die AfD und die Linke. Ich verstehe nicht, warum die SPD denen, die wirklich bedürftig sind, nicht schnell helfen will?! Basis ist der Koalitionsvertrag. Eine Grundrente mit der Gießkanne ohne jede Prüfung, ob überhaupt ein Anspruch vorliegt, ist darin nicht vereinbart und es wäre auch überhaupt nicht gerecht. In dem Punkt bin ich wahrscheinlich mehr Sozi als die Sozis selbst. Vermutlich denkt die SPD, sie wird Wahlen gewinnen, wenn sie diese Idee zum Wahlkampfthema macht. Das wird aber nicht funktionieren.

Warum nicht? „Respektrente“ klingt doch gut?

Der Generalsekretär der SPD, Lars Klingbeil, hat auf dem Ostkonvent angekündigt, er wolle die CDU mit dem Thema im Wahlkampf „treiben“. Ich verstehe gar nicht, wie man auf diese Idee kommen kann und wer ihm zu dieser Strategie rät. Vom ständigen Reden profitieren nur Linke und AfD. Wir müssen als Koalition das Problem lösen und zwar vor den Wahlen.

Hat die SPD aber nicht inhaltlich einen Punkt, wenn sie eine Bedürftigkeitsprüfung als unzumutbare Schikane ablehnt?

Das geht doch an der Lebenswirklichkeit vorbei! Wir reden doch zunächst von Menschen, die nur ein einziges Einkommen haben, nämlich die Rente. Ich habe vorgeschlagen, Vermögen und selbst genutztes Wohneigentum zu verschonen und den Anspruch auf Grundrente hinsichtlich der Alterseinkünfte einmalig bei der Antragstellung zu prüfen. Das sollte aber aus Gründen der Gerechtigkeit schon passieren. Und für die Menschen, die eben außer der Rente keine Einkünfte haben, ist es auch kein Aufwand, den Rentenbescheid vorzulegen.

Im 30. Jahr des Mauerfalls scheinen viele Parteien den Osten noch mal neu zu entdecken. Was würden Sie der CDU raten, um den Menschen Perspektiven zu eröffnen?

Wir reden seit 20 Jahren über Ansiedelung von Behörden oder die Hoffnung, dass irgendein Dax-Konzern seine Zentrale im Osten ansiedelt. Das bringt uns nicht weiter. Wir müssen auf die Zukunftsfelder setzen, wo der Osten noch aufholen kann, etwa beim Megathema Künstliche Intelligenz. Das wiederum wird nur funktionieren, wenn wir in Thüringen beim flächendeckenden Ausbau auf schnelle 5G-Funknetze ganz vorne mit dabei sind. Sonst ist der neue Aufbau Ost vorbei, bevor er angefangen hat.

Auch in Sachsen und in Brandenburg wird dieses Jahr gewählt. Ist es für Sie ein Beschwernis, wenn der Kollege Ingo Senftleben in Potsdam auch mit der Linken reden will?

Nein. Ich schätze Ingo Senftleben und verstehe, dass er eine andere Ausgangslage hat als wir. In Brandenburg kämpfen drei Parteien um Platz eins. In Thüringen sind wir als CDU stärkste Kraft. Rot-Rot- Grün hat seit Jahren keine Mehrheit mehr. Wir wollen die Linken mit einer bürgerlichen Regierung ablösen und sie nicht in die Regierung holen. Und für Höckes AfD gilt: Wer am rechten Rand mit dem Feuer spielt, mit dem ist kein Staat zu machen. Wir wollen stärkste Kraft werden, und wie dann in der bürgerlichen Mitte ein Bündnis möglich wird, das wird der Wahlabend zeigen. Aber ich finde, das ist zusammengenommen schon mal eine sehr klare Ansage.

Wäre es für Sie ein Beschwernis, wenn eine bundespolitische Debatte über die berühmte Revisionsklausel im Koalitionsvertrag Ihren Wahlkampf überschatten würde? Diese Überprüfung steht unmittelbar nach dem Wahltermin Ende Oktober an...

Ich höre ja dauernd, dass die SPD auf dieser Evaluierung besteht. Das heißt, sie stellt sich und ihre Arbeit in der Bundesregierung ständig selbst infrage. Und dann wundern sich die Sozialdemokraten, dass sie in den Umfragen so schlecht abschneiden. Ich verstehe nicht wirklich, welche Chancen sich die SPD von dieser Debatte erhofft. Sie macht sich selbst und ihre Erfolge doch eher klein. Damit kann man nicht gewinnen. Ich hoffe, dass zumindest meine Partei keine Diskussionen über die Regierungsfähigkeit der Koalition in Berlin rund um die Landtagswahlen führt.

Diese Debatte kommt von zwei Seiten: In der CDU finden viele, dass Annegret Kramp-Karrenbauer nicht noch zwei Jahre als Kanzlerin in spe warten sollte...

Ich glaube, das Modell der Doppelspitze taugt für diese Wahlperiode. Nicht auf Dauer, aber bis 2021 kann das mit diesen beiden Frauen in dieser Wahlperiode funktionieren, die sich ja beide ergänzen und gegenseitig auch Raum lassen. Man sieht ja deutlich, wie Angela Merkel das Feld der parteipolitischen Profilierung Annegret Kramp-Karrenbauer überlässt und sich auf die Regierungsarbeit konzentriert.

Aber geht die Arbeitsteilung nicht ein bisschen weit, wenn sie dazu führt, dass die CDU die Kanzlerin in den Wahlkämpfen praktisch versteckt?

Angela Merkel hat um Verständnis gebeten, dass sie nach dem Verzicht auf den Parteivorsitz keine reinen Parteitermine mehr wahrnimmt. Wir werden aber unabhängig vom Wahlkampf Wege finden, dass die Kanzlerin in diesem Jahr in Thüringen auftritt. Ich freue mich auf Angela Merkel. Und mal ehrlich: Wie souverän sie in der Welt anerkannt ist, da muss man sie daheim nicht verstecken.

Dafür taucht Friedrich Merz als Wahlkämpfer wieder auf – können Sie sich ihn auch als Minister vorstellen?

Ich war und bin ein Fan von Friedrich Merz, der über großen ökonomischen Sachverstand verfügt. Er wird schon im Mai zu einer ersten großen Europakonferenz in Thüringen auftreten. Doch die Frage nach einem Ministeramt stellt sich gegenwärtig nicht. Aber dass er und AKK gut zueinander gefunden haben, das freut mich.

Zum Schluss eine persönliche Frage: Sie sind im vorigen Jahr an Krebs erkrankt, sind damit sehr offen umgegangen. Wie geht es Ihnen heute?

Mir geht’s gut. Ich habe die Chemotherapie hinter mir, die Blutwerte sind so gut, dass ich erst mal nicht mehr zur Kontrolle muss. Und mein Bart fängt wieder an zu wachsen – das ist so ein wichtiger Punkt, an dem ich ganz konkret auch für mich den Fortschritt merke und wieder Normalität erlebe.

Trauen Sie sich schon die Belastung des Wahlkampfs zu?

Ja! Meine politische Arbeit ist keine Belastung für mich, sondern eine Herzensangelegenheit. Zudem geht es mir jeden Tag ein Stück besser, und der eigentliche Wahlkampf beginnt im Spätsommer.

Haben die Menschen Verständnis gezeigt?

Mehr als das. Es gab eine ungeheuer große Empathie und Anteilnahme. Das hat mich beeindruckt und mir sehr geholfen. Wortwörtlich Tausende Menschen haben mir geschrieben, haben gesagt, dass sie für mich beten und Kerzen anzünden, haben mir ihre eigene Krankengeschichte berichtet und haben mir Mützen geschickt. Andere, die selbst an Krebs erkrankt sind, haben mir gesagt, wie meine Auftritte mit der Mütze ihnen Mut gemacht haben – und das hat wiederum mich gestärkt. Noch einmal besonders beeindruckt hat mich der Zuspruch aus allen politischen Lagern. Für diese menschliche Solidarität aus allen, wirklich allen Lagern bin ich sehr, sehr dankbar.

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