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Thorsten Schäfer-Gümbel, Landesvorsitzender der Hessen-SPD.

© Arne Dedert/dpa

Thorsten Schäfer-Gümbel: „Es wird zu viel gelabert und zu wenig gemacht“

Hessens SPD-Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel über Schwarz-Grün in Wiesbaden und die große Koalition in Berlin. Ein Interview.

Von

Herr Schäfer-Gümbel, haben sich die Götter gegen Ihren Wahlkampf verschworen?

Nö. Wieso?

Dauerstreit in der großen Koalition, schwere Fehler der SPD-Spitze im Fall Maaßen und dann auch noch der Absturz bei der Bayern-Wahl…

Als Christ glaube ich ohnehin nur an einen Gott. Und es gibt auch keine Götter in der Politik, nur Menschen. Aber Sie haben recht: Rückenwind im Landtagswahlkampf sieht anders aus.

Wie oft haben Sie sich bei SPD-Chefin Nahles und Vizekanzler Scholz über den mangelnden Rückenwind beschwert?

Ich werde in Berlin auch deshalb geschätzt, weil ich meine Meinung sage, aber fair und intern. Allerdings auch deutlich, wenn es nötig ist.

Und es war nötig?

Ja.

Wegen des Dauerstreits in der Groko fordern Ihre Parteifreunde unentwegt die Rückkehr zur Sacharbeit. Was machen Sie aber, wenn die CSU den nächsten Querschuss abfeuert?

Es darf keine Querschüsse aus der CSU mehr geben.

Sie meinen, die Tage von Horst Seehofer als Bundesinnenminister seien gezählt?

(Lacht.) Sehr schön gefragt. Horst Seehofer steht im Spätherbst seines politischen Daseins. Jeder weiß aber, dass die Groko den Frühling nur erlebt, wenn sie endlich ruhig und konzentriert arbeitet und das auch nicht dadurch überdeckt wird, dass alle ständig streiten.

Entscheidet sich die Zukunft der deutschen Sozialdemokratie am kommenden Sonntag in Hessen?

Hessen wählt einen Landtag. Es geht am 28. Oktober darum, ob in Hessen endlich Politik für bezahlbare Mieten, gegen Lehrermangel und für einen modernen Unterricht sowie für die bessere Verkehrsanbindung von Stadt und Land gemacht wird.

Es handelt sich also nicht um eine Schicksalswahl für Andrea Nahles, sie bleibt unabhängig vom Wahlausgang im Amt?

Es geht um die Zukunft von Hessen. Es geht darum, dass wir nach 19 Jahren Stillstand wieder vorankommen. Der Stillstand hat in Hessen einen Namen: Schwarz und Grün. Diesen Stillstand will die SPD beenden. Ich will in Hessen eine Regierung führen, die nicht in Streit versinkt, aber auch das Handeln nicht einfach einstellt wie CDU und Grüne in Hessen.

Nahles ist nach dem Desaster der SPD in Bayern schwer unter Druck geraten, doch Vizekanzler Olaf Scholz scheint abgetaucht. Gibt es keine Solidarität in der Spitze der Sozialdemokratie?

Die Führung der SPD geht sehr solidarisch miteinander um, das konnte man in den vergangenen Wochen beobachten – auch an den Interviews, die Olaf Scholz gegeben hat.

Das ZDF-Politbarometer sieht die Hessen-SPD nur noch bei 20 Prozent, zehn Prozentpunkte unter ihrem Ergebnis von 2013. Wie erklären Sie sich das?

Die Bayern-Wahl schlägt in dieser Umfrage voll durch. Bis zur Wahl in Hessen müssen die Themen und Probleme Hessens in den Mittelpunkt rücken. Dazu dürfte auch schon das TV-Duell zwischen Volker Bouffier und mir beigetragen haben.

In Bayern wurden CSU und SPD abgestraft, auch in Hessen sagen die Meinungsforscher Verluste für CDU und SPD voraus. Geht die Zeit der Volksparteien zu Ende?

Nein. Wir erleben eine Vertrauenskrise, die vor allem damit zu tun hat, dass zu viel gelabert und zu wenig gemacht wird. Da sind in der Vergangenheit zu viele Fehler gemacht worden. Das gilt für den Bund und für Hessen. Ich will machen, nicht labern.

Vielleicht gibt es noch andere Gründe für die Krise der Volksparteien, vielleicht wollen die Wähler gar nicht mehr, dass sie widerstrebende Interessen in Kompromissen zusammenführen?

Die gesellschaftliche Funktion von Volksparteien ist notwendiger denn je. Wir erleben ja, dass die Gesellschaft auseinanderdriftet – in Arm und Reich, in Menschen mit sicherer Arbeit und solche mit unsicheren Jobs, in ländliche Räume und Metropolen. Die Spaltung nimmt zu.

Warum werden die Volksparteien, die die Spaltung ja überwinden wollen, dann abgestraft?

Das Bedürfnis nach Orientierung, nach Werten wächst. Beide Volksparteien haben aber in der Vergangenheit keine klare Orientierung geboten. Wir brauchen mehr inhaltliche Klarheit, auch Mut zur Vision über den Tag hinaus, seriöse Arbeit orientiert am Alltag von uns allen und eine Sprache, die man auch versteht. Dann können wir auch wieder mehr Menschen überzeugen und zusammenführen.

Was heißt das für die SPD?

Der Angst vor gravierenden Veränderungen der Arbeitswelt durch Digitalisierung und Globalisierung müssen wir begegnen, indem wir für Sicherheit im Wandel sorgen. Die SPD muss eine Antwort geben, wie der Sozialstaat darauf reagiert. In meinem Buch zum sozial-digitalen Wandel habe ich das versucht. Wir müssen den Sozialstaat zukunftsfähig machen: Ungleichheit verringern, Leistung schützen und Veränderung fördern.

Wie?

Durch das Chancenkonto zum Beispiel, das jedem ein Budget von 20.000 Euro für lebenslange Weiterbildung garantiert. Und wir müssen damit Schluss machen, dass bei Hartz-IV-Empfängern auf das Ersparte zugegriffen wird. Wir brauchen einen Bildungs-Soli, beispielsweise durch eine echte Erbschaftssteuerreform, damit wir modernen Unterricht, multiprofessionelle Teams und kostenfreie Mittagessen an Schulen umsetzen können. Wenn die Hessen-SPD am 28. Oktober mit der Konzentration auf Themen Erfolg hat, die den sozialen Zusammenhalt stärken, dann wird das Folgen haben.

Welche?

Dann wird dieser Politik-Ansatz über Nacht auch in der Bundes-SPD deutlich Gewicht gewinnen. Und dann will ich das Gewicht nutzen, um die inhaltliche Klarheit und den Mut meiner Initiative für eine Mietenwende auch bei anderen Themen in die Waagschale geben. Etwa bei der Frage, dass ökologische und soziale Politik zusammen passen.

Die Grünen erleben – in Hessen wie im Bund – einen regelrechten Höhenrausch. Hat die Ökopartei es leichter als die SPD – sie muss ja nur ein Milieu bedienen, das in der Regel gut gebildet ist und über höhere Einkommen verfügt?

Ich muss Ihnen sagen: Mir ist derzeit überhaupt nicht klar, für was die Grünen inhaltlich stehen. Die Parteichefs Annalena Baerbock und Robert Habeck strahlen ein bisschen Lifestyle aus, aber sie drücken sich um schwierige Entscheidungen. Das gilt auch in Hessen. Wenn ich Wohnungen brauche, muss ich die irgendwo hin bauen – als einfaches Beispiel.

Was meinen Sie mit „ein bisschen Lifestyle“?

Die Grünen-Führung strahlt eine gewisse Leichtigkeit aus, das ist auch sympathisch. Aber es ist völlig unklar, was sie in Fragen des Sozialstaates, der Infrastruktur, der Bildungspolitik oder Steuerpolitik eigentlich will.

Was kann die SPD den Grünen entgegensetzen?

Die SPD muss Schluss machen mit der Arbeitsteilung vergangener Jahre, wonach die Grünen fürs Klima zuständig sind und die SPD für Arbeitsplätze. Arbeit und Umwelt gehören zusammen. Anderes Beispiel: Die Grünen-Chefin Baerbock hat sich diese Woche im Bundestag gegen die vollständige Gebührenfreiheit in der Bildung ausgesprochen. Wir dürfen die Grünen nicht mehr damit durchkommen lassen, dass sie im Zweifel in alle Richtungen blinken.

Profitieren die Grünen nicht auch davon, dass der Streit um die Flüchtlingspolitik das Land polarisiert wie lange nicht?

Ja, es geht um Haltungsfragen. Nun weiß ich aber aus Hessen, wie biegsam die Grünen sind, wenn sie in einer Regierung sind, etwa beim Thema NSU. Da ist es dann nicht mehr weit her mit Prinzipientreue. Oder: Die bayerischen Grünen haben profitiert von ihrer klaren Abgrenzung von der CSU. Und dann? Waren sie ganz enttäuscht, dass sie Herrn Söder nicht zum Ministerpräsidenten wählen dürfen.

Wie schlägt die Hessen-SPD in der Flüchtlingsfrage die Brücke zwischen denen, die Zuwanderung skeptisch sehen und den anderen, die sie als Bereicherung empfinden?

Indem wir den alten Grundsatz des früheren sozialdemokratischen Ministerpräsidenten August Georg Zinn ernst nehmen: Hesse ist, wer Hesse sein will und sich hier und jetzt zu uns bekennt. Integration hat immer zwei Seiten. Es geht um Rechte und Pflichten, die wechselseitig einzuhalten sind.

Die Betrügereien deutscher Autobauer beim Diesel treiben die Menschen ebenfalls um. Wie kann es sein, dass die SPD im Bund einer Regelung zustimmt, die sich innerhalb weniger Tage als Mogelpackung herausstellt?

Es stellt sich heraus, dass der Verkehrsminister die Beschlüsse nicht kraftvoll gegen die Konzerne durchsetzt. Für mich ist völlig klar, dass die Automobilkonzerne die Fahrzeuge nachrüsten müssen. Deshalb muss der Druck auf die Konzerne erhöht werden, die sich der Nachrüstung verweigern. Offensichtlich verstehen sie keine andere Sprache. Bei solchen Firmen dürfen wir keine Regierungsfahrzeuge mehr mit Steuergeldern mieten. Auch Bußgelder sind eine mögliche Variante. Der finanzielle Druck muss jedenfalls erhöht werden, weil ansonsten ein paar Vorstände glauben, dass sie sich schadlos halten können. Wir brauchen Elemente des amerikanischen Wirtschaftsstrafrechts, damit Unternehmen auch haften für eigene Verfehlungen. Da muss die Union ihren Widerstand aufgeben.

Ministerpräsident Volker Bouffier will notfalls Steuergeld in die Hand nehmen, um den Diesel-Geschädigten zu helfen. Einverstanden?

Der Vorschlag ist ein Akt der Verzweiflung. Er hat das Thema zwei Jahre lang ignoriert. Der zusammengeschusterte Luftreinhalteplan seiner Landesregierung ist vor Gericht gescheitert, deshalb war das Urteil zu Fahrverboten in Frankfurt so brutal. Der Ministerpräsident steht massiv unter Druck und greift vor der Wahl nach jedem Strohhalm. Skandalös ist, dass Schwarz-Grün im Bundesrat dem Antrag aus Rheinland-Pfalz, dass die technische Nachrüstung auch für Frankfurt kommen soll, nicht zugestimmt hat. Beliebigkeit wird in der Regierung Bouffier-Al Wazir zum Prinzip erhoben.

Sie treten mit dem Anspruch an, die CDU von der Regierung zu vertreiben. In allen Umfragen liegt die SPD aber hinter der CDU, im Politbarometer sogar hinter den Grünen. Mit wem wollen Sie regieren?

Mein Ziel ist, Ministerpräsident zu werden und die Union nach 19 Jahren in die Opposition zu schicken. Dafür werbe ich bis zum 28. Oktober um 18 Uhr und setze darauf, weil der Wechsel nur mit der SPD kommt. Welche parlamentarischen Optionen es dann gibt, klären wir nach Schließung der Wahllokale. Vor fünf Jahren war ich um 17 Uhr 15 nach Mitteilung der Wahlforschung Ministerpräsident einer rot-grünen Koalition. 45 Minuten später nicht mehr, weil zwei Parteien mehr in den Landtag eingezogen waren. Deshalb warte ich in Demut, was die Bürgerinnen und Bürger entscheiden.

Das heißt, Sie würden sich notfalls auch mit den Stimmen von Grünen und Linkspartei wählen lassen?

Demokratische Parteien müssen grundsätzlich miteinander gesprächs- und kooperationsfähig sein. Dass daraus nicht automatisch etwas folgt, haben wir 2013 gesehen. Im hessischen Landtag haben das in den vergangenen Jahren alle Parteien immer wieder erklärt.

Unterstellen wir mal, es klappt: Was würden Sie in den ersten 100 Tagen als Ministerpräsident machen?

Meine absolute Priorität ist, dass die Hessinnen und Hessen nicht immer mehr Geld für die Miete ausgeben müssen. Wir müssen die Spekulation mit Grund und Boden beenden. Deshalb werde ich in den ersten 100 Tagen 100000 Quadratmeter öffentlichen Grund in Erbbaupacht zur Verfügung stellen, damit bezahlbare Wohnungen gebaut werden.

Und wenn es nicht klappt, sagen Sie der Politik nach drei verlorenen Wahlkämpfen dann Adieu?

Ich bin in den Erfolg verliebt und konzentriere mich auf das Gelingen am 28. Oktober, meinem persönlichen Glückstag: Meine Frau hat Geburtstag, und wir wollen abends mit vielen Menschen feiern.

Das Gespräch führten Stephan Haselberger und Hans Monath.

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