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Prekäre Sicherheitslage. Der Terrorismusexperte Guido Steinberg wundert sich, dass Innere Sicherheit trotz vieler Gefahren im Wahlkampf kaum eine Rolle spielt

© Karlheinz Schindler/dpa

Terrorismusexperte zum Wahlkampf: „Es ist erstaunlich, dass Innere Sicherheit keine Rolle spielt“

Guido Steinberg warnt davor, die wachsende Terrorgefahr zu ignorieren. Er fordert eine „Generalüberholung“ der deutschen Sicherheitsarchitektur.

Von Frank Jansen

Guido Steinberg (53) ist einer der führenden Experten beim Thema islamistischer Terror und in Berlin bei der Stiftung für Wissenschaft und Politik tätig. Er hat mehrere Bücher geschrieben und tritt häufige in Prozessen gegen terrorverdächtige Islamisten als Gutachter auf. Steinberg ist parteilos.

Herr Steinberg, der geplante Anschlag eines jungen IS-Anhängers auf die Synagoge in Hagen hat die Republik erschreckt. Gerät Deutschland wieder stärker ins Visier des islamistischen Terrors? 
Deutschland ist seit mindestens eineinhalb Jahrzehnten im Visier islamistischer Terroristen. Die Bedrohung hat zwar infolge der Schwäche von al-Qaida und IS seit 2017 leicht abgenommen, doch sind Einzeltäter eine wachsende Gefahr, wie sich zuletzt im Oktober 2020 in Dresden zeigte, als ein Dschihadist ein homosexuelles Paar angriff und einen Mann tötete. Außerdem werden größere Anschlagsplanungen mit IS-Bezug immer wieder vereitelt.    

Ein ausländischer Nachrichtendienst hat die deutschen Behörden über die Gefahr in Hagen informiert. So war es schon einige Male bei einem drohenden islamistischen Angriff. Mangelt es Nachrichtendiensten und Polizei in der Bundesrepublik an eigenen Erkenntnissen?
In der Nachrichtengewinnung sind die deutschen Sicherheitsbehörden fast zu 100 Prozent von den US-Nachrichtendiensten NSA und CIA abhängig. Dies liegt vor allem an der überlegenen Telekommunikationsüberwachung, die auch im Fall des mutmaßlichen Hagener Attentäters der Grund für seine Entdeckung gewesen sein dürfte.

Alle größeren Anschlagspläne der letzten 20 Jahre wurden nach ersten Hinweisen der USA vereitelt. Wenn die Amerikaner einmal nicht zur Stelle waren, wie beispielsweise beim Attentat auf dem Berliner Breitscheidplatz im Dezember 2019, konnten die Terroristen oft erfolgreich töten. 

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Mit der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan könnte die Terrorgefahr noch zunehmen. Wie groß ist das Risiko für Deutschland?
Das Risiko besteht vor allem darin, dass große Organisationen wie der IS, al-Qaida und das Haqqani-Netzwerk Afghanistan als Rückzugsgebiet nutzen, erstarken und Anschläge weltweit planen. Besonders gefährlich wird es, wenn sich diese Gruppen nicht mehr gegenseitig bekämpfen, sondern sich verbünden und gemeinsam vorgehen. Sie müssen gar nicht mehr wie früher Terroristen entsenden, sondern können Anhänger virtuell anleiten, die schon in Deutschland sind. Der Anschlagsplan von Hagen könnte ein weiteres Beispiel für einen solchen „angeleiteten“ Anschlag sein, wie wir sie seit 2016 in großer Zahl erlebt haben. Der von Wien im November 2020 war ein solcher und eine deutliches Warnzeichen. 

Im Wahlkampf spielt das Thema Innere Sicherheit keine große Rolle. Ist das fahrlässig oder sind Themen wie Klimaschutz doch deutlich  wichtiger?
Es ist tatsächlich erstaunlich, dass die innere Sicherheit so gar keine Rolle spielt, obwohl die Bedrohung durch Terroristen so klar zu erkennen ist und in den letzten Jahren viele Opfer gefordert hat. Beim islamistischen Terrorismus glaube ich, dass ein Grund für die Zurückhaltung ist, dass die demokratischen Parteien keine Debatte über die Flüchtlingskrise von 2015 wollen, in deren Verlauf so viele Gewalttäter unkontrolliert nach Deutschland und Europa einreisen konnten. Bei den Rechtsextremisten und der zunehmenden Gewaltbereitschaft im Querdenkermilieu – man denke nur an den Mord in Idar-Oberstein – würde ich mir konkrete Vorschläge und eine ausführliche Debatte wünschen. Die Sicherheitslage in Deutschland wird seit Jahren prekärer und das sollte Thema sein.

Ein Debakel wie in Afghanistan hätte verhindert werden können

Die Union kündigt in einer „Agenda für ein sicheres Deutschland“ an, im Bundeskanzleramt einen „Nationalen Sicherheitsrat“ zu schaffen. Macht das Sinn?
Wenn Deutschland denn eine eigene Außen- und Sicherheitspolitik führen will, wäre eine solche Einrichtung auf jeden Fall ein Gewinn. In der Ära Merkel hatten Sicherheitsfragen nie Priorität, wie man etwa an der Auszehrung der Bundeswehr und dem Desinteresse an den Terrorbekämpfung in Afghanistan, Syrien und im Irak feststellen konnte.

Dies muss sich dringend ändern, denn die sicherheitspolitischen Risiken nehmen schon seit Jahren zu. Da könnte ein solcher Sicherheitsrat dafür sorgen, dass äußere und innere Sicherheit mehr als ein Thema behandelt werden, deutsche Politik künftig koordinierter geführt wird und die Positionen von Fachleuten in Militär und Nachrichtendiensten mehr Gehör finden. Ein Debakel wie zuletzt in Afghanistan hätte so verhindert werden können. Voraussetzungen für eine Sicherheitspolitik, die diesen Namen auch verdient, sind aber kontinuierliches politisches Interesse, eine gut ausgestattete und einsatzfähige Bundeswehr und ein starker Militär- und Auslandsnachrichtendienst. 

Der Kanzlerkandidat der Union, Armin Laschet, hat in sein „Zukunftsteam“ den Terrorismusexperten Peter Neumann berufen. Was könnte Neumann bewirken?
Peter Neumann scheint mir Herrn Laschets Kandidat für den Posten des Nationalen Sicherheitsberaters zu sein. So wird die CDU-Forderung nach einer solchen Einrichtung schon sehr viel konkreter. Das ist ein deutliches Signal an die Wählerinnen und Wähler, dass eine CDU-geführte Regierung dem Thema Sicherheit insgesamt höhere Priorität einräumen wird als ihre Vorgängerinnen. Ich persönlich finde es positiv, dass ein so kluger und seriöser Terrorismusfachmann den CDU-Kandidaten berät und hoffe, dass das auch in anderen Parteien künftig Schule macht.

Verfassungsschutz muss besser aufgestellt werden

Die Grünen sagen in ihrem Wahlprogramm, das Bundesamt für Verfassungsschutz solle aufgespalten werden in ein wissenschaftlich arbeitendes Institut und einen verkleinerten Nachrichtendienst, der sich vor allem mit Spionageabwehr befasst. Die Linkspartei will „perspektivisch“ alle Geheimdienste abschaffen. Wie würden sich solche Ideen auf die Innere Sicherheit auswirken?
Deutschlands Nachrichtendienste sind stark fragmentiert, bürokratisch und oft wenig effektiv. Dies liegt vor allem an eingeschränkten Kompetenzen in der Nachrichtengewinnung. Es ist Teil unserer politischen Kultur, der offen auftretenden Polizei eher zu vertrauen als den Diensten. Das ist ein Fehler, denn starke Nachrichtendienste sind die einzige Möglichkeit, frühzeitig auf Gefahren aufmerksam zu werden.

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Die Fachdebatte dreht sich denn auch in erster Linie darum, wie die Verfassungsschutzämter besser aufgestellt und zu funktionierenden Nachrichtendiensten ausgebaut werden können. In dieser Debatte spielt der Vorschlag der Grünen keine Rolle, der der Linkspartei ohnehin nicht.

Wer auch immer die Wahl am Sonntag gewinnt – welchen Aufgaben bei der Inneren Sicherheit müsste sich die nächste Bundesregierung dringend widmen?
Die gesamte Sicherheitsarchitektur braucht eine Generalüberholung. Ein Ende des Föderalismus in Sicherheitsfragen und eine verstärkte Zentralisierung der Verfassungsschutzämter wären ein wichtiger Anfang. Ein gut aufgestellter Nationaler Sicherheitsrat könnte auch eine wichtige Rolle spielen. Am Anfang muss aber das Bewusstsein in Politik und Öffentlichkeit stehen, dass Sicherheitspolitik wieder eine Überlebensfrage werden kann wie zuletzt im Ost-West-Konflikt. Die entschlossene Bekämpfung von islamistischen Terroristen ist nur ein kleiner Teil in einem großen Aufgabenfeld, das weiter wachsen wird.  

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