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Eine Zeichnung der Gerichtsverhandlung am 14. Dezember zeigt mutmaßlicher Helfer bei den Anschlägen auf "Charlie Hebdo".

© AFP

Terroranschlag auf Satiremagazin in Paris: 30 Jahre Haft für Hauptangeklagten im „Charlie-Hebdo“- Prozess

Fünf Jahre nach dem Anschlag hat ein Gericht das Urteil gegen die beteiligten Männer gesprochen. Der Hauptbeschuldigte soll ein „Komplize“ gewesen sein.

Nach mehr als 50 Verhandlungstagen ist im Prozess um den islamistischen Terroranschlag auf das französische Satiremagazin „Charlie Hebdo“ am Mittwoch das Urteil gefallen. Der Hauptangeklagte Ali Riza Polat wurde zu 30 Jahren Haft verurteilt. Die 13 weiteren Angeklagten wurden zu vier Jahren Gefängnis bis zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Gegen drei von ihnen erging das Urteil in Abwesenheit, sie werden mit internationalem Haftbefehl gesucht.

Der Hauptbeschuldigte gilt als „Komplize“ des Attentäters Amédy Coulibaly, der nach dem Überfall auf das Magazin eine Polizistin erschoss und vier Geiseln in einem Supermarkt tötete.

Das Gericht habe festgestellt, dass Polat dem Attentäter Coulibaly in konkreter und detaillierter Weise entscheidend geholfen habe, seine kriminellen Handlungen auszuführen, begründete der Vorsitzende Richter Régis de Jorna dem Sender France Inter zufolge seine Entscheidung. Er habe ausreichend Kenntnis von Coulibalys Absichten gehabt.

Die Staatsanwaltschaft hatte lebenslange Haft gefordert. Sie hatte argumentiert, dass der Franzose mit türkischen Wurzeln eine Schlüsselrolle bei der Vorbereitung der Anschläge gespielt habe. Polat hatte immer geleugnet, von den Anschlagsplänen gewusst zu haben.

Im Prozess um die Terrorserie vom Januar 2015 sind 14 Menschen angeklagt - drei von ihnen sind aber flüchtig. Vor einem Sondergericht für Terrorfälle wird seit Anfang September nicht nur der Anschlag auf die Redaktion von „Charlie Hebdo“ verhandelt, sondern auch die anschließende Attacke auf einen koscheren Supermarkt im Süden von Paris. Die Terroristen töteten 17 Menschen. Die drei Täter - die Brüder Chérif und Said Kouachi sowie Coulibaly - wurden damals von Sicherheitskräften erschossen.

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Den Angeklagten wurde vorgeworfen, in unterschiedlicher Weise bei der Vorbereitung der Anschläge geholfen zu haben. Der Prozess im Pariser Justizpalast findet unter hohen Sicherheitsvorkehrungen statt. Er war für etwa einen Monat unterbrochen worden, weil sich mehrere Angeklagte mit dem Coronavirus infiziert hatten. Zuletzt hatte Polats Gesundheitszustand die Wiederaufnahme verzögert. Er klagt unter anderem über andauernde Übelkeit.

Niemand will von den Angriffsplänen gewusst haben

Der Prozess hat nur bedingt die Hintergründe der grausigen Taten aufklären können. Stattdessen warf er ein Schlaglicht auf das Milieu von Vorstadt-Kriminellen. Diese schilderten teils detailreich ihren Alltag außerhalb der Gesellschaft mit Gefängnisaufenthalten, kriminellen Deals, Alkohol und Gefälligkeiten. Beschaffte Waffen dienten angeblich für einen Banküberfall, mutmaßliche Kurierfahrten für den Besuch von Prostituierten.

Niemand aber wollte etwas von den mörderischen Angriffsplänen gewusst haben. „Dies ist der Prozess der Rädchen, ohne die es keinen Angriff geben könnte“, sagte Richard Malka, Anwalt der Satirezeitung „Charlie Hebdo“, jüngst dem Sender Franceinfo. Es seien manchmal mittelmäßige Gauner an der Basis - aber sie hätten den Terror erst möglich gemacht.

Malka erzählte auch, dass er den Gerichtssaal verlassen habe, als ein Video des Angriffs auf „Charlie Hebdo“ gezeigt wurde. „Für mich ist es unerträglich, ich habe nicht die Kraft, mir das anzusehen.“ Zu Beginn des Prozess standen weniger die Täter als die schrecklichen Taten und das Leid der Angehörigen im Mittelpunkt. Überwachungsvideos zeigten, wie die Brüder Chérif und Said Kouachi das Satiremagazin mitten in Paris überfielen.

Überlebende ringen mit Erinnerungen an Anschlag

Bei dem Mordanschlag wurden unter anderem die wichtigsten Zeichner des Blattes getötet. Aufnahmen zeigen auch die Redaktionsräume nach dem Angriff. „Eine Kriegszene“, beschrieb der damals zuständige Staatsanwalt François Molins, was er im Januar 2015 dort gesehen hatte und nun auch im Gericht gezeigt wurde.

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Überlebende und Angehörige schilderten, wie sie noch heute vom Horror der Taten verfolgt werden. So erschien Simon Fieschi, Webmaster von „Charlie Hebdo, für sein Leben lang gezeichnet vor Gericht. „Ich kann keinen Finger mehr bewegen, manchmal juckt es!“, zitierte ihn der Sender France Inter. Die Geiseln des jüdischen Supermarktes schilderten, wie Coulibaly dort vier Menschen ermordet hatte.

Angehörige erzählten, wie sie erfuhren, dass ihre Liebsten tot sind. „Unsere Stadt hat sich verändert, hat ihre Leichtigkeit verloren“, erklärte die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo, die ebenfalls aussagte. Während der Prozess unter hohen Sicherheitsvorkehrungen im neuen gläsernen Gebäude des Justizpalasts lief, wurde Frankreich wieder Opfer des Terrors - gleich drei Mal innerhalb weniger Wochen.

Ein Attentäter griff zwei Menschen vor den ehemaligen Redaktionsräumen von „Charlie Hebdo“ an. Der brutale Mord am Lehrer Samuel Paty löste internationales Entsetzen aus, so wie auch der Anschlag in einer Kathedrale in Nizza. Wieder waren den Erkenntnissen nach die Mohamed-Karikaturen Motiv der Attacken - so wie schon vor knapp sechs Jahren. Und der blanke Hass. (dpa/AFP)

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