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Sensible Daten. Flugreisende hinterlassen viele digitale Spuren.

© Christoph Soeder/dpa

Terror- und Kriminalitätsbekämpfung: Warum die Vorrats-Fluggastdatenspeicherung ein Ende haben musste

Der Europäische Gerichtshof hat ausufernde Sammelvorgaben der EU gestutzt. Gut so, denn der Zweck heiligt nicht die Mittel. Ein Kommentar

Auf den Internetseiten des Bundeskriminalamts findet sich ein Informationsvideo über die seit 2018 praktizierte Fluggastdatenspeicherung bei einer Zentralstelle im Bundeskriminalamt (BKA). Erläutert wird, wie hilfreich die auf Grundlage einer EU-Richtlinie eingeführte Sammeleinrichtung bei der Bekämpfung von Organisierter Kriminalität und Terrorismus sei. Jedes Jahr flögen 200 Millionen Menschen von und nach Deutschland – ein Reiseverkehr, der auch für Kriminelle himmlische Aussichten böte. Kurz vor Schluss dann noch eine wichtige Frage: „Warum müssen die Fluggastdaten aller Reisenden erfasst und verarbeitet werden?“

Die Antwort im Piktogramm-Filmchen fällt knapp aus. Weil nur auf diese Weise ein „diskriminierungsfreies Vorgehen“ gewährleistet werden könne, heißt es. Eine Logik, die sich schwer erschließt. Vermutlich wird sie deshalb auch nicht weiter erklärt. Doch muss jetzt einiges erklärt werden: Vergangene Woche hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) die sogenannte PNR-Richtlinie der EU („Passenger Name Record“) in einer Weise rasiert, dass man sich fragt, wie sie eigentlich noch weiterhin gelten kann. Fluggastdaten dürfen bei EU-Flügen demnach nur noch gesammelt und gespeichert werden, wenn eine reale und aktuelle oder vorhersehbare terroristische Bedrohung eines Mitgliedstaats besteht (Rechtssache C-817/19).

Ohne reale Bedrohung geht es nicht, sagt das Gericht

Die PNR-Richtlinie schreibt vor, dass Fluggastdaten bei der Überschreitung einer EU-Außengrenze systematisch gespeichert und durch Abgleich mit internationalen Fahndungsdatenbanken ausgewertet werden müssen. In Deutschland wurde ihre Umsetzung auch auf innereuropäische Flüge erweitert. Zu den Daten zählen Anschrift, Gepäckangaben, die Telefonnummer, Namen von Mitreisenden, Vielfliegereinträge, Zahlungsinformationen, Reiseverläufe. Geklagt hatte vor dem Luxemburger EuGH eine belgische Menschenrechtsorganisation, weil die Regeln gegen die Achtung des Privatlebens und den Schutz personenbezogener Daten verstießen.

Der EuGH fordert nun, die Datensammlung auf das „absolut Notwendige“ zu beschränken. Der Staat, der sie einsetzt, muss mit einer realen und aktuellen oder vorhersehbaren terroristischen Bedrohung konfrontiert sein. Fehlt es daran, dürfen nur Daten gespeichert werden, die bestimmte Reisemuster, Verbindungen oder Flughäfen betreffen, die typischerweise kriminellen Infrastrukturen zuzurechnen sind. Ein Beispiel wären Schmuggelrouten im Drogenhandel.

Das Urteil gilt unmittelbar nur für den Fall aus Belgien, der vor belgischen Gerichten jetzt erneut verhandelt werden muss. Allerdings sind die Beschränkungen auch für das Bundeskriminalamt neu. Vermutlich wird darüber hinaus das zugrunde liegende deutsche Gesetz angepasst werden müssen. Allein die Speicherfrist von fünf Jahren ist nach dem Urteil deutlich zu lang.

Unverdächtige haben ein Recht darauf, als unverdächtig behandelt zu werden

Der EuGH geht mit seiner Entscheidung zu den Fluggastdaten denselben Weg, den er schon bei der Erfassung von Telekommunikationsverbindungsdaten („Vorratsdatenspeicherung“) beschreitet. Anlasslos darf nicht gespeichert werden, wohl aber in überschaubaren Bereichen bei – möglicherweise auch andauernden – Bedrohungslagen oder bestimmten kriminalitätsspezifischen Zusammenhängen.

Es sieht also nach einem Kompromiss aus zwischen jenen Positionen, die rituell vor Überwachungsszenarien warnen, und dem Bedarf der Sicherheitsbehörden, die sich mit unbegrenztem Datenzugriff unbegrenzt Fahndungserfolge erhoffen. Staatliches Handeln muss verhältnismäßig sein. Das ist es nicht, wenn die Daten aller Passagiere zu allen Destinationen gleichsam „diskriminierungsfrei“ gesammelt werden. Unverdächtige haben ein Recht darauf, als unverdächtig behandelt zu werden.

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