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Ein Soldat begleitet eine Studentin, die seit dem Morgen in ihrem Wohnheim gefangen war, aus dem Campus. 500 Studenten konnten die Soldaten bei ihrer Erstürmung retten. Die Studenten waren im Schlaf von den Terroristen überrascht worden.

© Carl de Souza/AFP

Update

Terror in Kenia: Fast 150 Tote bei Angriff auf Uni in Garissa

Die somalische Terrormiliz Al Schabaab hat am Donnerstagmorgen den Campus der Universität Garissa attackiert. Am Abend begannen kenianische Sicherheitskräfte mit der Erstürmung. Das Geiseldrama dauerte 16 Stunden. Die vier Angreifer wurden getötet.

Bei einem Angriff der islamistischen Terrormiliz Al Schabaab auf die Universität Garissa im Nordosten Kenias sind mindestens 147 Menschen getötet worden. Das teilte die Katstrophenbehörde Kenias am Donnerstagabend mit. Das Geiseldrama, das am Morgen gegen 5.30 Uhr begonnen hatte, dauerte 16 Stunden lang, bis die Armee den Campus gestürmt und die lediglich vier Angreifer getötet hatte. Zunächst war von 15 bewaffneten Angreifern die Rede gewesen, die den Campus des Garissa University College überfallen hatten. Sie erschossen die beiden Wachleute und schossen dann in den beiden Studentenwohnheimen und den Seminarräumen auf dem Campus um sich.

Gegen 18 Uhr meldete Kenias Katastrophenschutzbehörde zunächst mindestens 70 Tote und 79 Verletzte. Nachdem die Armee den Campus unter Kontrolle gebracht hatte, zählten die Rettungskräfte 147 Tote, 79 Menschen wurden schwer verletzt, 587 Studenten wurden gerettet.

Innenminister Joseph Nkaissery hatte schon am Nachmittag, als noch von 14 Toten die Rede war, gewarnt, dass die Zahl viel höher sein könnte. Denn nach dem Angriff meldeten sich zunächst lediglich 282 der 815 Studenten der Universität bei den Behörden. Die Klinik in Garissa berichtete bis zum Nachmittag von 49 Studenten und Lehrkräften, die mit Schuss- und Schrapnellwunden eingeliefert worden seien. Das Rote Kreuz und die Ärzteorganisation Amref flogen bis zum Abend neun schwer Verletzte in die Hauptstadt Nairobi.

Der Drahtzieher des Angriffs soll Mohammed Kuno alias Gamadhere sein. Die kenianische Regierung setzte am Donnerstag ein Kopfgeld in Höhe von mehr als 200.000 US-Dollar auf ihn aus. Der Mann ist Kenianer und stammt aus Garissa. Er hat dort als Schulleiter an der Madrassa Najoh, einer Koranschule, gearbeitet und offenbar auch Jugendliche radikalisiert und schließlich für Al Schabaab rekrutiert haben. Ihm werden auch zwei Attentate im Spätjahr 2014 in Mandera ebenfalls nahe der somalischen Grenze zur Last gelegt, bei denen insgesamt 64 Menschen starben.

Präsident Kenyatta will 10 000 Polizeianwärter rekrutieren

Schon am Vormittag bekannte sich die somalische Terrororganisation Al Schabaab zu dem Angriff auf die erst 2011 gegründete Universität. Ein Al-Schabaab-Sprecher begründete die Attacke im britischen Sender BBC damit, dass auch Christen in der mehrheitlich von Muslimen besiedelten Region dort studierten. Wie viele Studenten in der Gewalt der Angreifer waren, war auch Stunden nach dem Beginn des Angriffs unklar. Doch in der Examenswoche kurz vor den Ferien war der Campus voll, berichteten Studenten, die entkommen waren. Nach Angaben des Polizeipräsidenten Joseph Boinnet sollen vier Angreifer bei Schießereien mit Sicherheitskräften, die den Campus umstellt haben, getötet worden sein. Die Angreifer hatten sich nach Zeugenaussagen stundenlang auf dem Dach eines der Wohnheime verschanzt.

Mit diesem Fahndungsaufruf sucht die kenianische Regierung nach Mohamed Kuno, der unter einem halben Dutzend Namen firmiert. Er soll der Drahtzieher des Terrorangriffs auf die Universität in Garissa sein.
Mit diesem Fahndungsaufruf sucht die kenianische Regierung nach Mohamed Kuno, der unter einem halben Dutzend Namen firmiert. Er soll der Drahtzieher des Terrorangriffs auf die Universität in Garissa sein.

© AFP

Präsident Uhuru Kenyatta trat schon am frühen Nachmittag vor die Presse und rief die Bevölkerung zur Ruhe auf. Er sagte, die Regierung habe die Lage unter Kontrolle. Er führte weiter aus, die Kenianer hätten "unnötig unter einem Mangel an Sicherheitskräften gelitten". Deshalb habe er angeordnet, dass 10 000 Polizeianwärter, deren Rekrutierung das Oberste Gericht zunächst untersagte hatte, weil sie den Rekrutierungskriterien nicht entsprachen und der Verdacht, dass sich einige von ihnen ihren Platz mit Bestechungsgeldern erkauft haben könnten, nicht widerlegt werden konnte. Kenyatta sagte am Donnerstag, er "übernehme die volle Verantwortung für diese Anordnung".

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Trotz der Erschütterung vieler Kenianer, die beispielsweise im Kurznachrichtendienst Twitter ihre Trauer ausdrückten, kritisierten viele die Rekrutierung der umstrittenen 10 000 Polizeianwärter. Der bekannte kenianische Menschenrechtsanwalt Njonjo Mue schrieb am Nachmittag auf seiner Facebook-Seite: "Der Treiber für die Unsicherheit in Kenia ist die Korruption. Die Rekrutierung von 10 000 Polizisten ist von den Gerichten wegen der ausufernden Korruption gestoppt worden. Und das ist die Antwort von Präsident Uhuru Kenyatta auf die Garissa-Attacke? Wenn die Strategie des Präsidenten, um die Sicherheit des Landes zu verbessern, darauf basiert, das Gesetz zu brechen und die Gerichte zu ignorieren, dann helfe uns Gott!"

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Erst vor wenigen Wochen hat John Githongo, der einmal Anti-Korruptionsbeauftragter der Regierung war, bevor er aus dem Land flüchten musste, weil er einen Korruptionsskandal aufgedeckt hatte, im britischen "Guardian" geschrieben, dass die Korruption "Al Schabaab die Türen geöffnet" habe. Githongo lebt seit ein paar Jahren wieder in Kenia und hat gemeinsam mit anderen Dissidenten ein Menschenrechts- und Anti-Korruptionsnetzwerk mit dem Namen "Ni sisi" gegründet. Der von ihm aufgedeckte Korruptionsskandal betrifft Verträge, die eigentlich die Sicherheit Kenias hätten erhöhen sollen. Eine britische Firma mit dem Namen Anglo Leasing war beauftragt worden, fälschungssichere Ausweise und Sicherheitstechnik zu liefern. Die Preise waren grotesk überhöht, weil mit dem Geld der nächste Wahlkampf des damaligen Präsidenten Mwai Kibaki vorbereitet werden sollte. Ein Teil der bewilligten Sicherheitstechnik ist zudem nie geliefert worden. Deshalb sei auch kein Geld mehr da gewesen, um die Polizei auch nur mit "einfachen Kommunikationsgeräten" auszustatten, schriebt Githongo.

Lehrer weigern sich im Nordosten zu arbeiten

Die Lehrergewerkschaft verlangte von der Regierung ultimativ besseren Schutz im Nordosten Kenias. Sollte der nicht erfolgen, dann werde die Gewerkschaft das Lehrpersonal aus Garissa abziehen. 79 Dozenten und Professoren arbeiteten bisher an der Universität, die eine Außenstelle der Moi-Universität in Eldoret ist. Seit Monaten weigern sich Grundschul- und Sekundarschullehrer an ihre Arbeitsplätze im Nordosten des Landes zurückzukehren, weil sie Angst haben, Opfer eines Anschlags zu werden. Im vergangenen Dezember waren 21 Lehrer bei einem Al-Schabaab-Angriff auf einen Bus umgebracht worden. Sie waren auf dem Weg in die Weihnachtsferien. Danach sind nur wenige Lehrer an ihre Arbeitsplätze zurück gekehrt.

Die Universität in Garissa ist die erste und einzige Hochschule im Nordosten Kenias, wo überwiegend somalischstämmige Kenianer leben. Garissa hat rund 120 000 Einwohner und war seit dem Einmarsch kenianischer Truppen nach Somalia, um die dortige Armee und die Friedenstruppe der Afrikanischen Union Amisom beim Kampf gegen Al Schabaab zu unterstützten, schon mehrere Male Schauplatz von Attentaten mit Dutzenden Toten. Im gleichen Bezirk liegt das größte Flüchtlingslager der Welt, Dadaab, wo mehr als 600 000 Flüchtlinge, vor allem aus Somalia, leben. Einen Tag vor dem Angriff auf die Universität in Garissa ist das Grundstück einer Nicht-Regierungsorganisation in Dadaab angegriffen worden. Dabei wurde ein Physiklehrer einer Sekundarschule getötet.

Al Schabaab rekrutiert erfolgreich in Kenia

Die islamistische Terrorgruppe Al Schabaab kämpft seit Jahren gegen die somalische Übergangsregierung. Zuletzt haben die somalische Armee und die Amisom-Friedenstruppe der Afrikanischen Union der Miliz militärisch stark zugesetzt. Zudem haben die USA die Führungsebene der Miliz mit Drohnenangriffen stark dezimiert. Al Schabaab, die zeitenweise halb Somalia unter ihrer Kontrolle hatte, schafft es in Somalia inzwischen "nur" noch Selbstmordattentate zu verüben. Sie kehrte also wieder zu den Guerillamethoden zurück, mit denen sie ihren Kampf begonnen hatte.

Am frühen Abend begann die kenianischen Armee, den Campus in Garissa zu erstürmen. Das Foto zeigt einen Soldaten, der seine Kollegen sichert.
Am frühen Abend begann die kenianischen Armee, den Campus in Garissa zu erstürmen. Das Foto zeigt einen Soldaten, der seine Kollegen sichert.

© Carl de Souza/AFP

In Kenia sieht das anders aus. Die somalisch-stämmige Bevölkerung in Kenia fühlt sich seit Jahrzehnten vernachlässigt. Die Gründung der Garissa-Universität war eine Reaktion darauf. Als 2011 erstmals ein Ministerium für die völlig unterentwickelten nordkenianischen Provinzen gegründet wurde, erkannte Nairobi erstmals an, dass die Viehhirtengesellschaften und die Kenianer somalischer Herkunft kaum beachtet worden waren. Dazu kommt mit Dadaab eine große Flüchtlingsbevölkerung.

Nach dem Angriff auf das Westgate-Einkaufszentrum 2013 haben die kenianischen Behörden Tausende Somaliern ihre Aufenthaltstitel in Kenia entzogen. Die somalischen Händler zogen daraufhin ihr Geld aus Nairobi ab. Viele verließen das Land, in dem sie Jahrzehnte lang gelebt hatten. Der südafrikansische Thinktank Institute for Security Studies (ISS) hat erst vor wenigen Wochen eine Studie veröffentlicht, in der die Rekrutierung von neuen Al-Schabaab-Kämpfern in Kenia beschrieben wird. Die ISS-Analystin Anneli Botha hat dazu mit 95 kenianischen Al-Schabaab-Kämpfern und ehemaligen Kämpfern Interviews geführt. Für viele war die Motivation, sich der Terrormiliz anzuschließen, das Gefühl in Kenia als Muslim diskriminiert zu werden. Der britische Sender BBC hat im vergangenen Jahr mit zurückgekehrten Kämpfern gesprochen, die als weiteres Motiv angaben, Al Schabaab habe sie bezahlt. Sie seien nur wegen des Geldes in den Kampf gezogen.

Sicherheitsexperten befürchten, dass sich Al Schabaab in Kenia neu rekrutieren und neu erstarken könnte. Die Attacke auf die Universität in Garissa scheint ihnen Recht zu geben.

Studierende der Uni nach ihrer Flucht am frühen Morgen. Zunächst konnten sich nur etwa 50 Studenten aus ihren Wohnheimen retten.
Studierende der Uni nach ihrer Flucht am frühen Morgen. Zunächst konnten sich nur etwa 50 Studenten aus ihren Wohnheimen retten.

© AFP

2013 hatte Al Schabaab das bei Touristen und Mittelklasse-Kenianern beliebte Westgate-Einkaufszentrum in einem noblen Stadtteil von Nairobi angegriffen. Mindestens 67 Menschen starben bei dem Geiseldrama, das vier Tage lang dauerte. Damals schickte die Regierung die Armee in das Einkaufszentrum, weil sie der dafür ausgebildeten Anti-Terroreinheit der Polizei nicht traute. Es dauerte zwei Tage, bis sich der Polizei- und der Armeechef auf eine Befehlskette geeinigt hatten. Derweil erschossen Soldaten mehrere Elitepolizisten und plünderten die Läden des Einkaufszentrums. "Das hat die kenianische Mittelschicht geschockt", schreibt Githongo, denn "sie hatte die Armee lange als eine der eher professionellen Institutionen des Landes gesehen", während andere "durch Korruption und Stammesdenken untergraben worden" seien. Doch diese Armee hat nach der Eroberung der südsomalischen Hafenstadt Kismayo den Holzkohlehandel, mit dem sich Al Schabaab vor allem finanzierte, nicht unterbunden, sondern war offenbar selbst mit ins Geschäft eingestiegen. "Einige Experten sagen, dass Al Schabaab mehr Geld verdient als vorher", schreibt Githongo.

Der Tourismus ist zusammengebrochen

Präsident Uhuru Kenyatta und sein Vizepräsident William Ruto haben die ersten zwei Amtsjahre überwiegend damit verbracht, in Afrika um Unterstützung dafür zu werben, den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag zu verlassen, wo beide angeklagt waren. Während gegen Ruto seit September 2013 verhandelt wird, ist der Fall gegen Kenyatta Ende 2014 aus Mangel an Beweisen zu den Akten gelegt worden, ehe der Prozess auch nur eröffnet werden konnte.

Derweil ging auch die wirtschaftliche Entwicklung des Landes in den Keller. Kenia weigerte sich zunächst, das umstrittene Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union (Europäisches Partnerschaftsabkommen EPA) zu unterzeichnen. Von Oktober 2014 an wurden deshalb für die kenianischen Einfuhren in die EU Zölle fällig. Neben dem Tourismus und den klassischen Agrarexporten wie Kaffee und Tee verdient Kenia vor allem mit dem Export von Blumen Geld. Die meisten Rosen, die in Europa verkauft werden, werden in den Gewächshäusern im Rift Valley in Kenia produziert. Doch das nördliche Nachbarland Äthiopien macht Kenia seit einiger Zeit Konkurrenz und musste als einer der am wenigsten entwickelten Staaten auch weiterhin keine Zölle für EU-Einfuhren aufbringen. Im Dezember kroch die Regierung zu Kreuze und unterzeichnete das Abkommen ohne Nachverhandlungen. Zumindest der Blumenhandel läuft seither wieder.

Doch der Tourismus hat unter den Sicherheitsproblemen der vergangenen Jahre schwer gelitten. Entlang der Küste am Indischen Ozean mussten viele Hotels schließen. Nur noch 50 000 Deutsche reisten nach Angaben des kenianischen Tourismusministeriums 2014 noch nach Kenia. Phyllis Kandie, die Tourismusministerin Kenias, sagte dem Tagesspiegel bei ihrem Besuch der Reisemesse ITB in Berlin vor wenigen Wochen: "Kenia ist ein sicheres Reiseland." Sie wehrte sich, wie erst vor wenigen Tagen auch Präsident Kenyatta, gegen die Reisewarnungen, die Großbritannien, Australien und die USA ausgesprochen haben. Das Auswärtige Amt rät lediglich davon ab, bestimmte Gebiete in Kenia zu besuchen. Die Insel Lamu, Unesco-Weltkulturerbe, gehört dazu, und auch in der Hafenstadt Mombasa rät das Auswärtige Amt zur Vorsicht. Die Grenzregion zu Somalia, in der auch Garissa liegt, ist allerdings auch aus Sicht des Auswärtigen Amtes schon seit Jahren eine No-Go-Area. Kenyatta sagte erst vor wenigen Tagen auf die Reisewarnungen angesprochen sehr ungehalten: "Auch wenn sie nicht wollen, dass ihre Taxifahrer kommen, US-Präsident Barack Obama kommt." Obama hatte vor kurzem angekündigt, eine Gründermesse in Kenia besuchen zu wollen.

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