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Polizeikräfte nach einer Explosion in Istanbul.

© Reuters/Murad Sezer

Update

Terror in Istanbul: PKK-Splittergruppe bekennt sich zu Anschlägen in der Türkei

Nach zwei Explosionen nahe dem Besiktas-Stadion ist die Zahl der Toten auf 38 gestiegen. Ziel der Anschläge war offenbar die Polizei. Erdogan kündigte Vergeltung an.

Eine Splittergruppe der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK hat sich zum Doppelanschlag in der türkischen Metropole Istanbul bekannt. Die beiden Anschläge in der Nähe des Fußballstadions von Besiktas seien zur gleichen Zeit ausgeführt worden, teilte die Gruppe TAK (Freiheitsfalken Kurdistans) am Sonntagnachmittag auf ihrer Website mit. Dabei seien zwei ihrer Anhänger getötet worden. Die türkische Regierung hatte schon am Morgen die PKK hinter den Gewalttaten vermutet.

Mit den Anschlägen hat die TAK nach eigenen Angaben auf die Gefangenschaft des PKK-Anführers Abdullah Öcalan und die türkischen Militäroperationen vor allem im Südosten des Landes aufmerksam machen wollen. Solange diese anhielten, solle „niemand erwarten, ein geruhsames Leben in der Türkei führen zu können“.

Die Zahl der Toten der Anschläge ist nach Angaben des türkischen Innenministers mittlerweile auf 38 gestiegen. Weit über 100 Menschen seien bei einem Autobombenanschlag und einem Selbstmordanschlag kurz danach verletzt worden, sagte Süleyman Soylu am Sonntag in Istanbul. Ob das mit Sprengstoff beladene Fahrzeug ebenfalls von einem Selbstmordattentäter gesteuert oder per Fernzünder in die Luft gejagt wurde, war zunächst nicht klar.

30 Opfer seien Polizisten, sieben Zivilisten. Die Identität von einer Person sei noch nicht festgestellt worden. Die Regierung geht davon aus, dass der zweite Anschlag am Samstagabend von einem Selbstmordattentäter ausgeführt wurde. Im Zusammenhang mit den Attentaten wurden nach Angaben von Soylu 13 Menschen festgenommen.

Präsident Erdogan hatte schon vor dem Bekennerschreiben erklärt, sein Land werde weiter gegen den Terror kämpfen. „Wann immer die Türkei einen positiven Schritt in Richtung Zukunft macht, ist die Antwort sofort Blut, Leben, Brutalität, Chaos mit den blutigen Händen von Terrororganisationen“, hieß es in der auf der Webseite des Präsidenten verbreiteten Erklärung.

Zudem kündigte der Präsident Vergeltung für die Taten an. "Meine Nation und mein Volk können sich sicher sein: Wir werden die Geißel des Terrorismus bis zum Ende bekämpfen", sagte Erdogan am Sonntag vor Journalisten in Istanbul. Die Attentäter würden "einen hohen Preis zahlen".

Aus der Regierungspartei AKP wurde noch am Sonntag Kritik an Europa im Umgang mit den Kurden laut. Mustafa Yeneroglu, Erdogan-Vertrauter und Parlamentsabgeordneter, kritisierte die Haltung Europas zur verbotenen kurdischen Arbeiterpartei. „Während die PKK in allen westeuropäischen Ländern äußerst bequem ihrer Propaganda nachgehen kann und nicht wie andere Terrororganisationen wie die ISIS behandelt und bekämpft wird, mordet sie in der Türkei tagtäglich“, teilte Yeneroglu mit. Es stelle sich die Frage, „welche Konsequenzen“ die Verbündeten der Türkei aus dem Bombenanschlag zögen, so Yeneroglu. Solidarität mit der Türkei messe sich in Taten.

Die pro-kurdische Partei HDP verurteilte den Doppelanschlag scharf. „Mit den zwei Bombenanschlägen in Istanbul herrscht in den Häusern vieler Familien wieder Trauer. Wir verurteilen diese Anschläge aufs Schärfste. Wir sind sehr traurig und teilen den Schmerz“, hieß es in einer Mitteilung der Parteizentrale am Sonntag. Zugleich rief die Partei zum „Ende der Polarisationspolitik“ in der Türkei und zur Wahrung von Frieden, Demokratie und Menschenrechten auf.

Autobombe und Selbstmordattentäter

Die erste Bombe wurde nach Angaben Soylus am Samstagabend in der Nähe des Stadions des Fußballclubs Besiktas im gleichnamigen Viertel gezündet. Es habe sich um eine Autobombe gehandelt, die nach ersten Erkenntnissen gegen die Sondereinsatzpolizei gerichtet war. Auf Bildern vom Tatort waren die Leichen von Polizisten und Leichensäcke zu sehen. 

Nur 45 Sekunden nach dem ersten Anschlag sprengte sich nach Angaben Soylus ein Selbstmordattentäter im Macka Park neben dem Stadion in die Luft. Auch dieses Attentat sei gegen Polizisten gerichtet gewesen, die die Gegend wegen eines Spiels der Erstligisten Besiktas und Bursaspor abgesichert hatten.

Das Spiel war etwa eineinhalb Stunden vor der ersten Explosion zu Ende gegangen. Die Zuschauer hatten sich zu dem Zeitpunkt schon zerstreut, es waren jedoch noch viele Polizisten vor Ort.

Das Match zwischen den verfeindeten Mannschaften galt als Hochrisikospiel, bei dem die Polizei Auseinandersetzungen zwischen Fangruppen verhindern sollte. Ein Reporter sagte dem Sender CNN Türk, an diesem Samstagabend seien besonders viele Polizisten zur Absicherung des Spiels im Einsatz gewesen, weil die Fans von Bursaspor wegen einer Strafe überhaupt das erste Mal seit Jahren wieder zu einem Besiktas-Spiel zugelassen worden waren.

Die Behörden sprengten in der Nacht zum Sonntag außerdem ein verdächtiges Fahrzeug in der Nähe des Fußballstadions von Besiktas.

Vize-Ministerpräsident Kurtulmus sagte laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu, die Tatsache, dass eine Autobombe verwendet wurde, deute auf die PKK. Es seien außerdem zwischen 300 und 400 Kilogramm Sprengstoff verwendet worden. „Wo das Auto in die Luft gesprengt wurde, ist ein Graben entstanden und das Auto gibt es nicht mehr“, sagte Kurtulmus. „Es ist völlig zerstört worden. Es ist ein riesiger Krater entstanden.“

Merkel und Gauck kondolieren

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach von einem "menschenverachtenden Terroranschlag". Bundespräsident Joachim Gauck zeigte sich "bestürzt" und versicherte den Türken sein Mitgefühl. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen kondolierte in einem Schreiben an ihren türkischen Kollegen. „Mein Gedanken sind mit Ihnen und allen, die unter diesem unmenschlichen Terror leiden.“

Der Nationale Sicherheitsrat der USA verurteilte die Anschläge auf das Schärfste. „Wir stehen der Türkei zur Seite, unserem Nato- Verbündeten, gegen alle Terroristen, die die Türkei, die USA und den Weltfrieden und die Stabilität bedrohen“, sagte Sicherheitsrats-Sprecher Ned Price in Washington.

Auf Fernsehbildern waren in der Nacht Rettungswagen zu sehen, die zur Unfallstelle rasten. Mehrere zerstörte Autos wurden gezeigt, darunter ein Minibus und ein von der Explosion getroffener Wasserwerfer. Die Explosionen waren mehrere Kilometer weit zu hören. Besiktas ist ein beliebtes Ausgehviertel und am Wochenende sehr belebt. Zunächst wurde von den Behörden eine Nachrichtensperre verhängt, die sich aber nicht auf öffentliche Verlautbarungen bezieht. 

Die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK oder deren Splittergruppe TAK verüben in der Türkei immer wieder Anschläge auf Sicherheitskräfte. Die türkische Armee geht seit Juli vergangenen Jahres in einer Militäroffensive gegen die PKK vor allem im Südosten des Landes vor. Damals war ein Waffenstillstand nach mehr als zwei Jahren gescheitert. Die PKK verübte seitdem wieder zahlreiche Anschläge im Land.

Die türkische Regierung macht aber auch die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) für Attentate verantwortlich. Die türkische Armee und syrische Rebellen waren am Vortag nach heftigen Kämpfen in die syrische IS-Bastion Al-Bab vorgedrungen. Die Stadt unweit der Grenze zur Türkei ist die letzte IS-Hochburg in der nordsyrischen Provinz Aleppo. Türkische Jets hätten den Angriff aus der Luft unterstützt, meldete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte.

Die Türkei hatte im August eine Bodenoffensive in Syrien begonnen, mit der sie Rebellen unterstützt. Seitdem haben die Verbündeten im Zuge der Operation „Schutzschild Euphrat“ den IS bereits von der türkisch-syrischen Grenze verdrängt. Die Türkei bekämpft in Nordsyrien zugleich die Kurdenmiliz YPG, die eng mit der PKK verbunden ist. (dpa, AFP)

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