zum Hauptinhalt
Die Anschlag am Breitscheidplatz: Die Behörden stehen wegen ihrem Umgang mit dem Attentäter Anis Amri in der Kritik.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Terror-Gefahr: Viel Krampf im Kampf gegen IS, NSU und RAF

Ein Forum von Terrorismusexperten kritisiert die Arbeit deutscher Sicherheitsbehörden. Der Kampf gegen islamistische, linke oder rechte Gewalt sei deprimierend, heißt es.

Von Frank Jansen

Das Risiko wirkt paradox. Obwohl die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) militärisch weitgehend geschlagen ist und auch im Internet schwächer wird, sind in Europa nun erst recht verheerende Anschläge nach dem Muster des Angriffs vom November 2015 in Paris zu erwarten. Er sehe die Gefahr, durch trainierte und brutalisierte Rückkehrer aus Syrien und Irak „wird es komplexere Anschläge geben, größere, professionellere, und die fordern mehr Opfer“, sagte der Terrorismus-Experte Peter Neumann am Mittwochabend in Berlin bei einer Podiumsdiskussion der Konrad-Adenauer-Stiftung zum „Vergleich von Terrorismusformen“. In Paris hatten Attentäter des IS 130 Menschen getötet.

Es sei ein „Warnsignal“. dass bei dem in die Enge gedrängten IS „die Betonung auf Terrorismus jetzt so stark ist“. Vor Silvester 2017 habe der IS fünf Videos veröffentlicht, „die Anschläge im Westen propagiert haben“, sagte Neumann, der am Londoner King’s College das „International Centre for the study of radicalisation and political violence“ leitet. Er sprach von bis zu 40.000 Dschihadisten, die seit 2012 zum IS gezogen seien, darunter mehr als 900 aus Deutschland. Von ihnen ist nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden ein Drittel wieder in der Bundesrepublik.

Die „Überbleibsel“ des Konflikts in Syrien „werden uns noch lange beschäftigen“, warnte Neumann. Als Mahnung nannte er die Folgen des Zustroms junger Islamisten zum Kampf der afghanischen Mudschahedin gegen die sowjetischen Besatzer in den 1980er Jahren. Die Anschläge vom 11. September 2001 in den USA „gehen auf Leute zurück, die sich in Afghanistan kennengelernt hatten“.

Um der Terrorgefahr besser vorzubeugen, muss für Neumann die Arbeit der Sicherheitsbehörden effizienter werden. Der Fall des Berliner Attentäters Anis Amri habe Mängel bei der Koordinierung auf Bundes- und Länderebenen gezeigt. Aber auch europaweit „müssen wir uns stärker vernetzen“. Kritisch sahen ebenfalls die zwei weiteren Experten auf dem Podium die staatliche Terrorabwehr.

Deprimierende Bilanz

„Ein Alarmsignal für Sicherheitsbehörden muss sein, wenn jemand aus extremistischen Szenen in den Untergrund geht“, sagte der frühere CDU-Bundestagsabgeordnete Clemens Binninger. Er hatte in der vergangenen Legislaturperiode den NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages geleitet. Die Behörden bräuchten „breites Wissen“ über die Akteure in extremistischen Szenen. Auch Butz Peters, Autor mehrerer Bücher über die Rote Armee Fraktion, forderte den Verfassungsschutz auf, aktiver zu analysieren, „wann sind Menschen in Richtung Untergrund unterwegs“.

Die Bilanz staatlicher Auseinandersetzung mit islamistischem, rechten und linken Terror, die Neumann, Binninger und Peters zogen, klang deprimierend. Neumann und Binninger verwiesen auf Anis Amri, der den Behörden als gefährlich bekannt war, aber nicht in Abschiebehaft genommen wurde und den schwersten islamistischen Anschlag in der Geschichte der Bundesrepublik verüben konnte. Binninger hielt zudem im Fall des fast 14 Jahre unentdeckt gebliebenen NSU den Sicherheitsbehörden vor, auf dem rechten Auge „betriebsblind“ gewesen zu sein. Polizei, Verfassungsschutz und Staatsanwälte hätten „Erfahrungswissen aus dem Bereich linksextremer Terror angewandt um jeden Preis“ - und somit die zehn Morde des NSU nicht als rechte Anschläge begriffen, weil die Neonazis anders als linke Attentäter auf Bekennerschreiben verzichteten. Binninger empfindet auch das Ergebnis der Aufklärung des NSU-Terrors als mager. Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe seien rund 5000 Tage untergetaucht gewesen, doch nur für 250 bis 300 Tage sei klar, wo die drei waren und was sie taten.

Butz Peters verwies auf die großen Lücken bei den Resultaten der Ermittlungen zu den Anschlägen der RAF. Allein bei den zehn Morden der dritten Generation der linksterroristischen Gruppe sei nur in einem Fall der Täter bekannt. Und es seien drei Leute weiter im Untergrund aktiv, obwohl sich die RAF 1998 auflöste. Von 1999 an hätten Ernst-Volker Staub, Burkhard Garweg und Daniela Klette bei Raubüberfällen zwei Millionen Euro erbeutet, sagte Peters.

Zur Startseite