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Karlsruhe entscheidet am Dienstag, ob Leistungskürzungen bei Hartz IV rechtens sind.

© picture alliance/Ralf Hirschberger/ZB/dpa

Tagesspiegel-Debatte zu Hartz IV: „Als Fachmann verstößt es gegen meine Würde, Bahnhöfe zu fegen“

Wird durch Leistungskürzungen bei Hartz IV das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum ausgehebelt? Darüber diskutiert die Tagesspiegel-Community.

In Karlsruhe wird am Dienstag entschieden, ob Leistungskürzungen bei Hartz IV rechtens sind. Konkret geht es um die Pflicht des Staates, das Existenzminimum zu sichern. Verletzen Hartz-IV-Sanktionen die Menschenwürde? Betroffene wie Interessierte aus der Tagesspiegel-Community diskutierten dieses Thema rege. Hier eine kurze Zusammenfassung unserer Online-Diskussion.

Tagesspiegel-Leser @Provinzler spricht sich deutlich gegen das System Hartz IV aus:

Hartz IV ist nur eine Schreckensherrschaft, bei der willkürlich Sanktionen verhängt werden und viele Menschen in Not und Obdachlosigkeit getrieben werden, die nur auf der Suche nach ihrem Platz in der Gesellschaft nicht erfolgreich waren. Wer sich wirklich drücken will, findet schon Mittel und Wege, sich im System Hartz IV einzurichten

schreibt NutzerIn Provinzler

Tagesspiegel-Leser @Moserhansi war selbst mal arbeitslos und konstatiert:

Völlig egal wie die Gerichte entscheiden. Meine Sozialgerichtsverhandlung war im September. Ich hatte während meiner Arbeitslosigkeit in 2015 einen Job als Bahnhofsreiniger bei Manpower abgelehnt, weil ich gelernter Solarteur und Fachkraft für Solartechnik bin. Dies verstößt gegen meine Würde, wenn ich als 'Fachmann' für Solartechnik Bahnhöfe fegen soll. Zudem führte ich den Artikel 12 des GG 'Freiheit der Berufswahl' an. Des Weiteren forderte ich in der Klageschrift eine Normenkontrolle der Sanktionen ein. Alles abgelehnt. Drauf geschissen, was den einzelnen Menschen angeht - seine Individualität. Keine Berufungsmöglichkeit wurde zugelassen. Deswegen ist es dieser Staat einfach nicht wert, sich für ihn einzusetzen, da er auf die Menschen einen feuchten Kehricht gibt.

schreibt NutzerIn Moserhansi

Leser @Sokratis hält @Moserhansis Haltung für überzogen und gegenüber dem Staat und der Gesellschaft für viel zu fordernd.

Wenn Sie sich dafür zu schade sind, vorübergehend putzen zu gehen, können Sie auch keine Unterstützung aus Steuer- oder Beitragsmitteln einfordern. Das Grundrecht auf freie Berufswahl verbrieft (innerhalb gewisser Schranken) nur Ihr Recht, sich einen bestimmten Beruf auszusuchen, gibt Ihnen aber keinen Anspruch darauf, eine Stelle in diesem Beruf zu bekommen. Schon gar nicht darauf, dass Ihnen eine Stelle am Wohnort geliefert wird. Wenn Sie angeblich so hervorragend qualifiziert sind, dass eine einfache Reinigungstätigkeit unter Ihrer Würde ist, sollte es ja ein Leichtes sein, einen auskömmlich bezahlten Job zu finden. Übrigens, nur mal so als Denkanstoß für die zukünftige Karriere: Ich stelle als Arbeitgeber bei ähnlicher Qualifikation im Zweifel auch lieber einen Bewerber ein, der sich mit Burgerbraten oder Reinigungsdienst über Wasser hält, als jemanden, der sich für ein Weilchen in die soziale Hängematte legt, bis ein genehmer Job auf dem Silbertablett serviert wird.

schreibt NutzerIn Sokratis

Leser @MehrBeton sieht in den Sanktionen eine Einladung an die Wirtschaft, von Dumpinglöhnen zu profitieren.

Das Sanktionsregime ist insbesondere eine Einladung an viele Firmen, nur noch Dumpinglöhne anzubieten, im Wissen, dass jede Ablehnung bitter bestraft werden kann. Vor dreißig Jahren habe ich noch für die einfachsten Aushilfsarbeiten deutlich höhere Stundenlöhne erhalten als sie inzwischen, dank Hartz IV-Repressionsregime gezahlt werden. Dieser Fakt scheint hier im Tagesspiegel bisher eher nicht erwähnenswert. Zumindest nicht in dem Artikel hier. Und die Frage ob die totale Streichung von jeder Unterstützung, inklusive Verlust der Wohnung, also Obdachlosigkeit, in irgend einer Form mit der Menschenwürde zu vereinbaren ist, stellt sich  nicht wirklich. Die Streichung ist eine obszöne Bestrafung mit Mittelaltercharakter, schon die Androhung ist entwürdigend.

schreibt NutzerIn MehrBeton

Beschleunigung durch Digitalisierung. Dieser Druck sorge ebenfalls dafür, dass man in die Arbeitslosigkeit rutschen könne, meint Leser @Krotocker.

Uns wird nicht nur eingehämmert, dass, wer mehr arbeitet, wichtiger ist für die Gesellschaft, sondern wir sind durch die Digitalisierung auch einem Beschleunigungsimperativ ausgesetzt. Durch den Optimierungswahn sollen wir am besten wandelnde Datensätze, eine Summe von Algorithmen auf zwei Beinen sein. Kein Wunder, wenn die Folge großflächig Erschöpfungssymptome aller Arten sind. Übrigens: Auch Arbeitslose haben Burnout – wer permanent so unter Druck ist, gerät fast automatisch in eine Erschöpfungsdepression, weil keine Änderung in Sicht ist.

schreibt NutzerIn Krotocker

Leser @Provinzler schildert einen Vorfall aus seinem beruflichen Umfeld:

Von zwei Arbeitskollegen habe ich jetzt von - für mich jedenfalls - ganz unerwartetem weiterem Druck bei Hartz4 erfahren. Das sind beides Flüchtlinge, die beide eigeninitiativ diese Arbeit im Krankenhaus gefunden haben, die ich seit Jahren mache. Statt diesen Menschen, die es ja nicht leicht hatten, weil sie vor dem Krieg in ihrer Heimat (Irak) fliehen mussten und jetzt sehr bemüht sind, sich in der neuen Heimat zu integrieren, terrorisiert sie jetzt hier das Hartz4-Regime. Die stehen beim Jobcenter nämlich auf dem Standpunkt, der Lohn der selber gefundenen nicht ganz-Vollzeitarbeit muss denen reichen, um auch ihre Familien zu ernähren - und so hat das Jobcenter sämtliche Zahlungen eingestellt - auch die Zahlung der Miete. Das grenzt meines Erachtens an Terror, und die beiden tun mir unglaublich leid. Zu dieser nicht leichten Arbeit in einem schwierigen Umfeld kommt jetzt die Tatsache, dass der eine von weit unter 1000 Euro Lohn + Kindergeld seine vierköpfige Familie ernähren muss, der andere hat ein Kind. Da ich selber mal Aufstocker war - was diesen beiden Flüchtlingen ja verwehrt wird, bin ich mal wieder sehr wütend auf das Jobcenter. Inzwischen habe ich aber da, wo ich wohne, eine Stelle aufgetan, wo den beiden vielleicht doch noch 'auf kurzem Dienstweg' geholfen werden kann.

schreibt NutzerIn Provinzler

Schließlich ist die Leserin @ElsbethM der Meinung:

Wenn Hartz IV das Existenzminimum darstellt, dann sind Leistungskürzungen grundgesetzwidrig. Das Existenzminimum ist notwendig für ein menschenwürdiges Leben. Kürzungen stellen somit einen Verstoß gegen die Menschenwürde dar. 'Zur Menschenwürde gehört auch, dass Menschen sich anstrengen. Sonst wäre das ein bedingungsloses Grundeinkommen', sagte Heil. Das wolle er nicht. Auch für Menschen, die sich nicht anstrengen, gilt die Menschenwürde!

schreibt NutzerIn ElsbethM

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