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Ukrainische Soldaten der Aufklärungsgruppe "Fireflies" fahren auf einem Pickup an der Frontlinie in der Region Mykolajiw.

© Evgeniy Maloletka/AP/dpa

Tag 169 im russischen Angriffskrieg: Ukrainischer General erklärt, wann der Krieg zu Ende sein könnte

Unter den russischen Krim-Urlaubern geht die Angst um, Selenskyj wirft Russland „Terror“ ums AKW Saporischschja vor. Der Überblick am Abend.

Wann die vor vier Wochen groß angekündigte Offensive der Ukraine in Cherson beginnt, ist immer noch unklar. Der ukrainische General Dmytro Marchenko hat jetzt in einem Interview (Quelle hier) durchblicken lassen, wann es losgehen könnte und wie die Ukraine derzeit die Vorbereitungen organisiert.

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Hier die wichtigsten Aussagen des Generals in Stichpunkten: 

1. Die Truppen, die Russland aktuell in der Südukraine zusammenzieht, sieht Marchenko nicht als Hindernis für einen Erfolg der Offensive. Er hält die eigene Artillerie für stark genug, um auch die neuen Verbände auszuschalten. Allein zehn Munitionsdepots und Kommandoposten der Russen seien in der vergangenen Woche zerstört worden. 

2. Das ukrainische Militär hat derzeit keine Angaben dazu, wie viele russische Truppen genau im Süden sind. Schätzungen gehen von 25 Batallionen aus, was bei voller Stärke rund 20.000 Mann entsprechen würde. 

3. Auch über die genauen Pläne der Russen sei nichts bekannt. Marchenko rechnet mit zwei lokalen Offensiven. Ziel könnte die Einnahme der Stadt Mykolajiw sein, die rund 100 Straßenkilometer nordwestlich von Cherson liegt und vor dem Krieg rund eine halbe Million Einwohner hatte. 

4. Alle Brücken über den Dnepr seien aktuell für das russische Militär unpassierbar, bis auf den Übergang bei einem großen Damm. Der könne nicht so einfach beschossen werden wegen der Gefahr eines Dammbruchs. Sobald aber dieser Übergang unpassierbar sei und die Russen keinen Nachschub mehr über den Dnepr schaffen könnten, würde die Offensive auf Cherson beginnen. Auf ein genaues Datum oder einen Zeitraum wollte sich der General aber nicht festlegen. Wichtig sei auch, dass genug westliche Waffen zur Verfügung stünden

5. An die Bewohner der Stadt Cherson gerichtet sagt er: „Ich möchte den Menschen sagen, dass sie sich noch eine Weile gedulden sollen. Es wird nicht so lange dauern, wie alle erwarten. Es wird schnell gehen. Lasst sie noch ein wenig ausharren. Sie werden bald alles sehen und hören.

6. Ein für Moskau erfolgreiches Referendum, das einen Anschluss an Russland nach sich zieht, hält Marchenko für ausgeschlossen. Auch der russische Geheimdienst wisse, dass ein „Krim-Szenario“ in der Südukraine nicht funktionieren wird. 

7. Ziel des ukrainischen Militärs sei es, sagt Marchenko, bis Ende des Jahres die aktive Phase des Krieges beendet zu haben. Danach würde es nur noch lokale Kämpfe geben. Was genau das bedeutet, erklärt er nicht. 

Bei der vielleicht wichtigsten Frage, der nach dem Ende des Krieges, hat der General genauere Vorstellungen. Einen Verhandlungsfrieden mit Moskau hält er nach den Gräueln von Butcha und Irpin für unmöglich. Ziel sei es, die ganze Ukraine militärisch zu befreien. Im Frühjahr 2023, sagt er, vorausgesetzt genug westliche Waffen würden geliefert, „werden wir den Sieg feiern können“. 

DIE WICHTIGSTEN NACHRICHTEN DES TAGES IM ÜBERBLICK

  • Kanzler Olaf Scholz rechnet nicht mit massiven gesellschaftlichen Verwerfungen wegen der Krise. Er verneinte eine entsprechende Frage in der Sommer-Pressekonferenz, ob er wegen steigender Energiepreise soziale Unruhen erwarte. Alle Details der Pressekonferenz gibt es hier.
  • Wolodymyr Selenskyj hat der russischen Armee vorgeworfen, das Atomkraftwerk von Saporischschja für „Terror und bewaffnete Provokationen“ zu missbrauchen. „Wir müssen Europa vor dieser Bedrohung bewahren“, sagte der zugeschaltete ukrainische Staatschef zum Auftakt einer Geberkonferenz. Mehr hier.
  • Bisher nahm man an, Kiew würde nicht über Waffen mit ausreichender Reichweite verfügen, um die Krim anzugreifen. Der Angriff löste daher Panik unter den russischen Urlaubern aus. Mehr dazu erfahren Sie hier.
  • Belarus hat Berichte über nächtliche Explosionen auf einem Luftwaffenstützpunkt an der Grenze zur Ukraine dementiert. Es sei „während eines Testlaufs ein Fahrzeug in Brand geraten“, teilte das Verteidigungsministerium mit. Mehr dazu in unserem Newsblog.
  • Die durch ihren Live-Protest gegen den Krieg bekannt gewordene Fernsehjournalistin Marina Owsjannikowa wird unter Hausarrest gestellt. Dieser gelte bis zum 9. Oktober, teilte ein Gericht in Moskau mit.
  • Moskau zufolge kann die Schweiz nicht wie vorgeschlagen die Ukraine diplomatisch in Russland vertreten, da sie durch die Sanktionen gegen Russland ihren neutralen Status verloren hat. Die Regierung in Bern könne deshalb „weder als Vermittler noch als Interessenvertreter auftreten“, hieß es.
  • Estland verschärft die Visa-Regelungen für Menschen aus Russland und beschränkt deren Einreise. Die Regierung in Tallinn beschloss, dass russische Staatsbürger vom 18. August an nicht mehr mit einem von Estland ausgestellten Schengen-Visum einreisen dürfen.
  • Das lettische Parlament hat Russland als Terror unterstützenden Staat eingestuft und dessen Gewalt gegen Zivilisten in der Ukraine und anderen Ländern als Terrorismus anerkannt. Eine entsprechende Entschließung wurde in Riga angenommen.
  • Großbritannien kündigt die Lieferung weiterer Mehrfachraketenwerfer an die Ukraine an, deren Geschosse eine Reichweite von bis zu 80 Kilometer haben. Das sagte Verteidigungsminister Ben Wallace. 
  • Hunderten Kämpfern des Asow-Regiments soll „noch vor Ende des Sommers“ der Prozess gemacht werden. „Das erste Gerichtsverfahren wird wahrscheinlich in Mariupol stattfinden und noch vor Ende des Sommers abgehalten“, sagt Denis Puschilin, Chef der selbsternannten Volksrepublik Donezk.

HINTERGRUND UND ANALYSE

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