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Ukraine, Donezk: Ein ukrainischer Soldat lächelt, während er das Siegeszeichen auf einem Panzer sitzend zeigt.

© Efrem Lukatsky/AP/dpa

Tag 117 des russischen Angriffskriegs: Russland rekrutiert Soldaten mit aller Kraft

Es herrscht kaum Bewegung im Donbass, die Kämpfe scheinen festgefahren. Könnte der Konflikt einfrieren? Der Überblick am Abend.

Nach rund einem Monat heftigster Kämpfe im Donbass scheint die Front weitgehend festgefahren. Die Experten des "Institute for the Study of War" sehen nur noch geringe Chancen für Russland, größere Geländegewinne zu machen. Die seien - zum Beispiel im umkämpften Sjewjerodonezk - nur noch möglich, wenn alle Kräfte konzentriert werden.

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Es könnte also sein, dass der Krieg an dem Punkt ist, den zahlreiche Experten im Mai vorhergesagt haben: Beide Armeen sind so geschwächt, dass keine Bewegung mehr möglich ist. Russland hat an diesem Punkt zwar noch ausreichend Material wie Panzer und andere schwere Waffen sowie Munition, aber zu wenige Bodentruppen. Die Ukraine scheint mit letzter Kraft der Artilleriewalze Moskaus zu trotzen und im sprichwörtlichen Bombenhagel auszuhalten. Waffen wie Munition sind knapp. Der Konflikt friert ein. 

Russland wird in den kommenden Wochen deshalb mit aller Kraft versuchen, mehr Soldaten zu rekrutieren. Schon jetzt, so schreiben es Russlandexperten, werden die Altersgrenzen hoch- und die gesundheitlichen Voraussetzungen für den Militärdienst herabgesetzt. Schon jetzt kommen Rekruten zudem weitgehend ohne Ausbildung an die Front.

Die Ukraine wird in dieser Zeit mehr westliche Waffen in den Dienst nehmen und die Ausbildung der Soldaten wird fortschreiten. Großbritannien will zum Beispiel alle drei Monate 10.000 ukrainische Soldaten schulen. Qualitativ aufgerüstete ukrainische Truppen könnten in diesem Szenario im Spätsommer oder Frühherbst auf eine wieder gestärkte, aber nicht bessere russische Armee treffen.  Ob es wirklich so kommt, ist offen. Im Moment spricht aber einiges dafür. 

DIE WICHTIGSTEN NACHRICHTEN DES TAGES IM ÜBERBLICK

  • Zur Durchsetzung der Sanktionen gegen Russland hat die Staatsanwaltschaft München I drei Wohnungen und ein Bankkonto von Russen beschlagnahmt. Sie gehören einem Mitglied der Duma und seiner Frau. Mehr dazu erfahren Sie hier.
  • Außenministerin Annalena Baerbock unterstützt einen EU-Beitritt der Ukraine und forderte ein effizientes Verfahren: Es gelte jetzt, „nicht nach Schema F zu verfahren, sondern diesen historischen Moment zu nutzen“, sagte sie am Rande des EU-Außenministertreffens. Mehr dazu lesen Sie hier.
  • Der Kreml hat Litauens Beschränkungen des Bahntransits zwischen Kaliningrad und dem russischen Kernland als „illegal“ kritisiert. „Diese Entscheidung ist wirklich beispiellos und stellt eine Verletzung von allem dar“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Mehr dazu in unserem Newsblog.
  • Polen hat an einem Grenzübergang zur Ukraine fünf zusätzliche Abfertigungsstellen für Lkw eröffnet, um den Export von Getreide aus dem Nachbarland zu erleichtern.
  • Die Ukraine hat das bereits verhängte Verbot der pro-russischen Partei Oppositionsplattform - Für das Leben offiziell bestätigt. Die Justiz habe die Aktivitäten der Partei wegen „Verletzung der Souveränität“ der Ukraine verboten, erklärte Justizminister Denys Maljuska.
  • Chinas Ölimporte aus Russland sind angesichts der westlichen Strafmaßnahmen gegen Moskau im vergangenen Monat deutlich gestiegen. Im Mai wurden in die Volksrepublik 55 Prozent mehr russisches Öl als im Vorjahresmonat eingeführt.
  • Russlands Ex-Präsident Dmitri Medwedew lehnt Atomabrüstungsgespräche mit den USA zum jetzigen Zeitpunkt ab. Er begründet dies mit dem erkalteten Verhältnis der beiden Länder. Die USA sollten „von selbst angekrochen kommen und darum bitten“

HINTERGRUND UND ANALYSE

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