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Zurück zum Alltag: Syrer auf dem Markt der nordostsyrischen Grenzstadt Qamishli.

© Delil Souleiman/AFP

Syrien-Verhandlungen in Genf: Assads Gegner erwarten mehr von Europa

Die USA und Europa sollen auf Russland einwirken, um Syriens Machthaber zu Zugeständnissen zu bewegen. Das erhofft sich Syriens Opposition von Verhandlungen.

Die syrische Opposition fordert mehr Engagement von Europa und den USA, um bei den anstehenden Verhandlungen über eine neue syrische Verfassung demokratische Prinzipien durchzusetzen. Das liege im Eigeninteresse des Westens, sagte die syrische Oppositionspolitikerin Dima Moussa dem Tagesspiegel in Istanbul. Moussa, eine in den USA ausgebildete Juristin, gehört zur Abordnung der Opposition bei den Verfassungsgesprächen, die an diesem Mittwoch in Genf beginnen sollen. Sie erwartet, dass die Regierung von Präsident Baschar al Assad bei den Verhandlungen unter dem Dach der UN auf Zeit spielen wird, um ihre Macht zu retten. Das dürfe der Westen nicht zulassen, sagte Moussa.

Die 41-jährige Oppositionsvertreterin blickt mit gemischten Gefühlen auf die Gespräche in Genf. „Ich spüre eine riesige Verantwortung – in den vergangenen acht Jahren ist so viel Blut vergossen worden“, sagte sie. Der Verfassungskommission gehören insgesamt 150 Mitglieder an – jeweils 50 aus den Reihen von Regierung, Opposition und Zivilgesellschaft. Über die Besetzung des Gremiums war mehr als anderthalb Jahre lang gestritten worden. Erst im September konnten Russland, die Türkei und der Iran, die im Syrien-Konflikt zusammenarbeiten, eine Einigung melden. Der UN-Syriengesandte Geir Peddersen sprach von einem „Zeichen der Hoffnung“ für ein Land, in dem seit Ausbruch des Krieges im Jahr 2011 mehrere Hunderttausend Menschen starben und jeder zweite der 22 Millionen Syrer entweder innerhalb oder außerhalb des Landes zum Flüchtling wurde.

In Genf sollen die Kommissionsmitglieder ein Entscheidungsgremium aus jeweils 15 Abgesandten der drei Seiten bilden. Dieser engere Kreis soll das neue Grundgesetz für Syrien ausarbeiten und dem Plenum der Kommission vorlegen. Entscheidungen werden mit Mehrheiten von mindestens 75 Prozent gefasst, um einen möglichst großen Konsens zu erreichen. Wenn alles nach Plan läuft, wird die Kommission eine Volksabstimmung über die neue Verfassung und freie Wahlen ermöglichen. Doch nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre erwartet niemand einen raschen Durchbruch. Syrien sei eine „tief gespaltene Gesellschaft“ mit großem Misstrauen zwischen der Regierung und ihren Gegnern, sagte der UN-Gesandte Peddersen.

Moussa, Vizepräsidentin des Oppositionsverbandes Syrische Nationale Koalition (SNC), geht pessimistisch in die Verhandlungen. Das Assad-Regime habe schon immer versucht, Gespräche in die Länge zu ziehen und den politischen Prozess zu behindern, sagte sie. In Genf, wo Vertreter der Opposition und der Zivilgesellschaft mit Assads Leute an einem Tisch sitzen werden, dürfte die Regierung erst recht alles tun, um die Gespräche zu behindern.

Nur die Verbündeten Russland und Iran könnten Assad zu Zugeständnissen bewegen

Assad verbuchte mit Unterstützung Russlands in den vergangenen vier Jahren viele militärische Erfolge über die diversen Rebellengruppen in seinem Land und konnte seine Position kurz vor Beginn der Genfer Verhandlungen stärken: Russland meldet am Dienstag, dass sich die Kurdenmiliz YPG aus dem türkischen Grenzgebiet zurückgezogen hätte. Die jüngste russisch-türkische Vereinbarung für den Nordosten Syriens erlaubt es der Regierung in Damaskus, ihren Einfluss in diesen Teil des Landes auszudehnen. Der syrische Präsident dürfte deshalb kaum zu weitreichenden Kompromissen mit der Opposition bereit sein. Der 54-jährige Assad, der Syrien seit fast 20 Jahren regiert, will bei der Präsidentenwahl im Jahr 2021 wieder antreten. Seine Gegner sagen, mit Assad an der Macht könne es keine Lösung geben.

Nur die Verbündeten Russland und Iran könnten Assad zu Zugeständnissen bewegen, sagte Moussa. Deshalb sollten die USA und Europa besonders auf Moskau einwirken. „Der Wille muss da sein.“ Schließlich könnte erneut eine Flüchtlingswelle in Syrien losgehen und auch wieder Europa erreichen, sagte Moussa: „Es liegt im Eigeninteresse Europas, Russland zum Druck auf Assad zu bewegen.“

Bei den Verhandlungen in der Schweiz betrachtet die Opposition nach Moussas Einschätzung einige Grundsätze als unverzichtbar: Das neue Syrien müsse ein Land sein, in dem die Menschen frei leben könnten, in dem der Staat den Bürgern diene statt andersherum und in dem Gewaltenteilung herrsche. Zudem müssten die Sicherheitskräfte des Landes, die derzeit Werkzeuge der Regierung sind, grundlegend reformiert werden.

Moussa betonte, ihr sei klar, dass selbst erfolgreiche Verhandlungen in der Schweiz keine Garantie für eine friedliche Zukunft ihres Landes wären: „Wir sind uns bewusst, dass eine neue Verfassung an sich nicht alle Probleme Syriens lösen wird.“

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