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Ein Wachmann der kurdisch-assyrisch-arabischen Verwaltung in Nordsyrien führt IS-Frauen durch ein Gefangenencamp.

© DELIL SOULEIMAN / AFP

Exklusiv

Syrien und Irak: Kurden warnen vor Rückkehr des IS

Auch das US-Verteidigungsministerium hält die Terrormiliz wieder für aktiver. Nach türkischem Einmarsch in Syrien könnten gefangene Dschihadisten fliehen.

Syriens Kurden warnen vor einem Wiedererstarken des „Islamischen Staates“ (IS) und einer drohenden Massenflucht gefangener Dschihadisten. Nach Tagesspiegel-Informationen reorganisieren sich IS-Anhänger in den Auffanglagern in Nordsyriens kurdischer Autonomiezone und in Verstecken im Ostirak. Am Wochenende wurden US-Soldaten im irakischen Ninawa mutmaßlich von IS-Männern angegriffen, ein Amerikaner soll getötet worden sein.

Die Regionalregierung der kurdischen Autonomiezone im benachbarten Nordsyrien bereitet sich zugleich auf einen türkischen Angriff vor. Dann würden die kurdisch-assyrisch-arabischen SDF-Truppen an die fast 600 Kilometer lange Grenze zur Türkei verlegt – und so aus dem Landesinneren abgezogen, wo IS-Zellen aktiv sind. Syriens Kurden halten zudem geschätzt 12.000 IS-Kämpfer und 75.000 Angehörige gefangen, die im Kriegsfall mit der Türkei wohl freikämen.

Syrien Kurden: IS-Gefangene können wir im Kriegsfall nicht versorgen

„Wir hatten schon jetzt immer wieder Ausbruchsversuche“, sagte der Berliner Vertreter der kurdischen Selbstverwaltung, Ibrahim Murad, dem Tagesspiegel. „Diese vielen Gefangenen könnten wir im Kriegsfall nicht versorgen.“ Während eines türkischen Einmarsches wäre insbesondere das Camp Derik an der Grenze nicht zu halten. Dort lebten auch „hochkarätige“ IS-Männer aus Deutschland, wie ein Berliner Sicherheitsexperte sagte. Vergangene Woche warnte schon das US-Verteidigungsministerium vor einer Rückkehr des IS: In Syrien hätten die Islamisten vom beginnenden Abzug der US-Soldaten profitiert, im Irak nähmen Aktionen von IS-Zellen zu.

Das beobachteten auch Funktionäre der kurdischen Autonomieregion im Irak, die international weitgehend anerkannt ist. Der Dschihadismus sei nicht besiegt, sagte kürzlich Ahmad Koye, ein hoher Kommandeur einer Peschmerga-Elitetruppe. Regelmäßig gebe es Überfälle und Attentatsversuche durch IS-Zellen im syrisch-irakischen Grenzgebiet.

Trump und Erdogan einigten sich auf Pufferzone zur YPG

US-Präsident Donald Trump hatte 2018 den Abzug amerikanischer Streitkräfte aus Syrien angekündigt. Sein Verteidigungsminister Jim Mattis trat aus Protest dagegen zurück. Vergangene Woche verständigten sich Washington und Ankara vage auf das Einrichten einer Pufferzone zwischen der türkischen Grenze und der syrischen Kurdenregion – nachdem Ankaras Staatschef Recep Tayyip Erdogan mit Einmarsch gedroht hatte. Erdogan will in Nordsyrien die Macht der säkularen Kurdenpartei PYD und ihrer Miliz YPG brechen.

Kämpferin der von den USA unterstützten SDF. Die von der Kurdenmiliz YPG dominierte Truppe kämpft gegen den IS.
Kämpferin der von den USA unterstützten SDF. Die von der Kurdenmiliz YPG dominierte Truppe kämpft gegen den IS.

© Morukc Umnaber/dpa

Die kurdische YPG wird von den USA im Anti-IS-Kampf unterstützt. Unklar ist, wie breit die angekündigte Pufferzone sein soll, wie viel Gebiet die Kurden also abtreten müssten – und wer dort die Kontrolle übernimmt. Die YPG-Kurden stehen der auch in Deutschland verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans PKK nahe und sind sowohl mit Syriens Regime als auch islamistischen Aufständischen verfeindet.

Will Türkei das syrische Afrin annektieren?

Im Januar 2018 besetzte Ankaras Armee schon die syrische Kurdenprovinz Afrin. Dort wehen nun türkische Flaggen, in den Moscheen predigen aus anderen Regionen Syriens stammende Islamisten. Viele Kurden flohen, in deren Häuser syrische Araber zogen. Türkische Einheiten bauen nun eine Mauer, die Afrin offenbar von Syrien trennen soll. Das YPG-nahe Nachrichtenportal ANF teilte mit, dass Afrin der türkischen Provinz Hatay angeschlossen werden könnte. Die Türkei und zunehmend auch das syrische Regime um Baschar al-Assad verhindern, dass die Kurden mit Gütern beliefert werden, weshalb Ressourcen für sichere Haftanstalten fehlen. In den Camps der Kurdenregion bewegen sich die Islamisten weitgehend frei.

Bundestag debattiert über Anti-IS-Mission

Der Berlin-Vertreter der kurdischen Regionalregierung Murad plädiert dafür, dass die internationale Gemeinschaft die Selbstverwaltung anerkennen sollte, eine von den Vereinten Nationen eingesetzte Truppe an der türkischen Grenze patrouillieren zu lassen sowie dafür, dass die Heimatländer der gefangenen IS-Dschihadisten ihre nach Syrien ausgereisten Bürger und deren Kinder zurücknehmen. Das lehnt Deutschland bislang ab. Erst im Juli entschied Berlins Verwaltungsgericht, dass die Bundesregierung verpflichtet ist, Kinder deutscher IS-Kämpfer zurückzuholen.

Nach der Sommerpause diskutiert der Bundestag über das im Oktober auslaufende Mandat für den Anti-IS-Einsatz der Bundeswehr. Deutschland ist derzeit mit insgesamt 400 Soldaten im Irak und in Jordanien aktiv.

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