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Deutsche Freunde sind wichtig: Der CDU-Bundestagsabgeodnete Martin Patzelt (Mitte) und seine Frau nahmen 2015 die eritreischen Flüchtlinge Haben (links) und Awet bei sich auf.

© Patrick Pleul

Studie zu Geflüchteten aus Eritrea und Syrien: Freundschaften sind wichtiger als Familie

Zwei Bundesinstitute haben die Lage syrischer und eritreischer Flüchtlinge in Deutschland untersucht. Die meisten fühlen sich wohl.

Untersuchungen über die Menschen, die nach Europa geflüchtet sind, spiegeln oft die Interessen der neuen Heimat: Wie viele sind es, wie schnell lernen sie, was bringen sie mit, wie verteilen sie sich im Land?

Inzwischen gibt es auch immer mehr Studien, die die Lage und Selbsteinschätzungen Geflüchteter erforschen. Das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung (BiB) und das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) haben sich zusammengetan, um das für zwei große Flüchtlingsgruppen zu tun, für die aus Syrien und aus Eritrea.

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Die Studie, in der je 750 Menschen jeder Gruppe befragt wurden, soll erst nächstes Jahr abgeschlossen sein. Am Mittwoch präsentierten die beiden Institute aber einen Zwischenstand, der vor allem die Sozialbeziehungen beider Gruppen in Deutschland abbildet. Befragt wurden aus jeder Gruppe zu gleichen Teilen Männer und Frauen, sie waren zwischen 18 und 45 Jahre alt und zwischen Sommer 2013 und Sommer 2019 in Deutschland eingetroffen.

Eritreerinnen öfter in Arbeit, trotz geringerer Vorbildung

Die Unterschiede sind groß, schon zum Zeitpunkt der Flucht: Mehr als die Hälfte der befragten Eritreerinnen und Eritreer war mehr als 16 Monate auf der Flucht. Die Hälfte der Menschen aus Syrien schaffte den Weg nach Deutschland in drei Monaten.

Wer aus der Diktatur im Nordosten Afrikas flieht - Eritrea gilt als das Nordkorea Afrikas - hat diese Entscheidung meist allein getroffen und macht sich auch ohne Angehörige auf den Weg.

Besonders stark ist der Kontrast hier zwischen Männern aus Eritrea und syrischen Frauen: 78 Prozent der Syrerinnen geben an, die Fluchtentscheidung nicht einsam getroffen zu haben, vier Fünftel der Eritreer dagegen sagen, sie hätten allein entschieden. Von den syrischen Männern sagt das die Hälfte. Frauen fliehen außerdem viel öfter mit Partnern und Kindern als Männer.

Die Mehrheit, sowohl in der eritreischen wie in der syrischen Gruppe, lebt zwar in Paarbeziehungen, allerdings deutlich mehr Frauen (86 Prozent) als Männer (57 Prozent). Nur sieben Prozent der Syrerinnen sind alleinstehend. Kinder hat nicht einmal die Hälfte der Männer - aus Eritrea wie aus Syrien -, aber nur 14 Prozent der Frauen sind kinderlos. Wobei syrische Geflüchtete etwa doppelt so viele Kinder haben wie eritreische.

Ein weiterer Unterschied sind Vorbildung und Erwerbsquote: Die Bildungsabschlüsse der Migrantinnen und Migranten aus Syrien liegen im Schnitt höher als die derer aus Eritrea, von denen 41 Prozent ohne Schulabschluss in Deutschland eintreffen.

Sie sind allerdings öfter in Arbeit- wenn auch, so vermutete BiB-Präsident Norbert Schneider, als er mit Kolleginnen die Studie vorstellte, vor allem im Niedriglohnsektor: Von den Männern hatten 50 Prozent der Syrer zum Zeitpunkt der Befragung einen Job, aber 61 Prozent der Eritreer. In die Kategorie Hausfrau ordneten sich 61 Prozent der Syrerinnen ein, aber deutlich weniger Eritreerinnen (51 Prozent).

Aufschlussreiche Gemeinsamkeiten gibt es allerdings auch zwischen Geflüchteten aus Eritrea und Syrien - und einige davon waren auch der Grund dafür, dass das BiB und die Forschungsabteilung des Bamf gerade sie aussuchten: Für beide sind massive und allgemeine Gewalt in ihren Heimatländern der Hauptfluchtgrund gewesen.

In Syrien herrscht seit zehn Jahren Bürgerkrieg, in Eritrea ein Zwangsrekrutierungssystem, das Menschen in eine Art Sklavenarbeit für den Staat zwingt, deren Ende unabsehbar ist.

Beide haben gute Bleibeperspektiven, ihre Anerkennungsquoten im deutschen Asylsystem sind hoch, und es sind Gruppen, die hier stark vertreten sind: Nach den letzten verfügbaren Daten des Statistischen Bundesamts lebten 2019 etwa 74.000 Eritreerinnen und Eritreer in Deutschland, die damit die größte afrikanische Gemeinde nach der marokkanischen ausmachen. Syrische Staatsangehörige sind dagegen mit 790.000 die drittgrößte Einwanderergruppe überhaupt in Deutschland.

Wichtigste Stütze in der neuen Heimat: Freunde und Ehrenamtler:innen

BiB-Chef Schneider sagte zur Auswahl der Herkunftsländer Syrien und Eritrea, man habe Syrien auch als repräsentativ für die Region Naher und Mittlerer Osten gewählt. Dass man es in beiden mit einer "sehr prekären politischen Lage" zu tun habe, verspreche "für den Fluchtzusammenhang wichtige Erkenntnisse".

Die Forscherinnen und Forscher fragten für die Studie auch nach den besonderern sozialen Beziehungen seit der Ankunft in Deutschland. Bis zu fünf Personen konnten auf folgende drei Fragen benannt werden: Mit wem besprechen Sie persönliche Angelegenheiten, die Ihnen wichtig sind? Mit wem verbringen Sie regelmäßig Ihre Freizeit, gehen spazieren oder essen, wen besuchen Sie? Wer hilft Ihnen oder unterstützt Sie hier in Deutschland?

Dabei stellte sich heraus, dass bis zu dreizehn Bezugspersonen für die erste Zeit in Deutschland genannt wurden. Der Schnitt lag bei vier bis fünf - wobei Menschen aus Syrien etwas mehr Kontakte hatten.

Die Familie hat dabei für Menschen aus Eritrea - wohl entsprechend ihren eher individuellen Fluchtgeschichten - geringere Bedeutung in persönlichen Angelegenheiten und für die freie Zeit. Die Syrerinnen und Syrer nannten Angehörige hier öfter.

Interessant für die Fachleute war, wie Anja Stichs sagte, dass Hilfe und Unterstützung in Deutschland für - fast - alle am meisten von Menschen kommen, die nicht zur Familie gehören: Freundinnen, Freunde, aber auch sehr viele deutsche Ehrenamtliche. Das mache deutlich, so Anja Stichs, "wie wichtig Engagement für Geflüchtete ist".

Wenn es überwiegend nicht Verwandte seien, die helfen könnten, heiße das, das "wir hier breitere Netzwerke aufbauen, Gelegenheiten schaffen, wo Unterstützung andocken kann - sowohl für Treffen, aber auch Beratungsangebote".

Katrin Hirseland, die Leiterin der Forschungsabeilung des Bamf, ergänzte: "Das unterstreicht für uns, dass wir in die richtige Richtung gehen." Schon jetzt lege das Bamf einen Schwerpunkt "auf niedrigschwellige Angebote und ein bundesweites Beratungsnetz". Man wolle sich da mit Hilfe der Studie noch ans "Feintuning" gehen.

Je mehr deutsche Bekannte, desto zufriedener

Das erste Fazit der Studie ist ermutigend: Die Mehrheit der Befragten, so Anja Stichs, "sind sozial eingebunden, sie haben ein soziales Netz." Und sie sind mit ihrem Leben in Deutschland in hohem Maße zufrieden. Das sei besonders "überraschend bei den eritreischen Männern, die ja kein großes Netz haben". Hier sei wohl die Qualität der Beziehungen entscheidend. Besonders zufrieden, so Stichs, seien die mit vielen guten Beziehungen zu Menschen außerhalb der Familie.

"Und die Zufriedenheit steigt weiter, wenn Deutsche mit im sozialen Netz sind." Wobei die Forscherinnen und Forscher eine oft auftauchende Frage für ihre Studie freilich nicht stellten: Wie sich die Trennung von Kindern, Geschwistern oder Ehepartnern durch die Flucht auf ihre Lebenssituation und Integration auswirkt.

Im nächsten Schritt soll sich die Studie bis 2022 noch verstärkt mit der Lage der Frauen und den außerdeutschen Familien- und Freundschaftsbeziehungen der Eingewanderten befassen - entsprechend deren Untertitel "Transnationale Familienkonstellationen und soziale Einbindung von Menschen aus Eritrea und Syrien in Deutschland".

Wobei die Fachleute schon jetzt eine Entdeckung machten, mit der sie - im Zeitalter sozialer Medien - nicht gerechnet hatten: "Fast alle Bezugspersonen der Befragten leben in Deutschland", sagte Stichs. Eigentlich habe man auch ein Netz enger Bezugspersonen im Ausland erwartet.

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