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Rassismus ist ein Problem der ganzen Gesellschaft: Schwarze und weiße Menschen demonstrieren in Berlin.

© Tobias Schwarz/AFP

Update

Studie zu Diskriminierung: Fast 90 Prozent wissen um Rassismus in Deutschland

Lange wurde Rassismus für ein politisches Randthema gehalten. Eine Umfrage widerlegt dies nun und zeigt: Den Menschen ist das Problem bewusst.

Fast alle Deutschen, nämlich 90 Prozent, wissen, dass es Rassismus gibt; eine deutliche Mehrheit hat ihn auch schon erlebt – als selbst Betroffene oder indem sie ihn beobachteten. Im neuen „Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitor“ (NaDiRa), dessen Auftaktstudie am heutigen Donnerstag veröffentlicht wurde, gaben immerhin 65 Prozent der Befragten an, entweder selbst rassistisch diskriminiert oder Ohren- und Augenzeug:innen solcher Vorfälle geworden zu sein. Nur ein Drittel der Bevölkerung erinnert sich an nichts Derartiges.

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Und wer rassistisch ausgegrenzt wurde, aber auch Zeug:in von Rassismus wurde, ist dadurch stark aufgewühlt: Zwischen 60 und 80 Prozent äußern starke Betroffenheit und geben an, daran immer wieder denken zu müssen. An der repräsentativen Umfrage hatten sich im Sommer des vergangenen Jahres etwa 5000 Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte beteiligt.

Sie soll regelmäßig wiederholt werden, um Entwicklungen oder auch kurzfristige Trends nachzeichnen zu können. Einzelne Analysen der Daten werden sich mit der Lage auf verschiedenen Feldern der Gesellschaft beschäftigen – etwa in Schulen, Behörden und in Medien. 

Man kennt das Problem – und wehrt es ab

Das Forschungsteam des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) tritt auch der Auffassung entgegen, Rassismus sei ein Randthema. Ihn nähmen nämlich „nicht nur diejenigen wahr, die ihn selbst unmittelbar erfahren“, heißt es in der Auftaktstudie.

Ob Teil einer diskriminierten Gruppe und sichtbaren Minderheit oder Mitglied der „Mehrheitsgesellschaft“: In der einen wie der anderen findet jeweils die Hälfte der Befragten, dass sie in einer rassistischen Gesellschaft leben – allerdings mit einem deutlichen Graben zwischen den Geschlechtern: Von den Männern meinen dies 39 Prozent, aber 58 Prozent der Frauen sind dieser Meinung.

Frank Kalter und Naika Foroutan, Direktor und Direktorin des DeZIM-Instituts, sprachen bei Vorstellung der ersten Ergebnisse am Donnerstag von einem „zentralen gesellschaftlichen Thema, das viele Menschen in Deutschland bewegt". Foroutan verwies auf Erzählungen im neurechten Denken in den USA, die Rassismus „als Erfindung linker Universitäten“ abzustempeln suchten. Auf Deutschland gewendet hieße das: „Das ist nur in Prenzlauer Berg oder Kreuzberg ein Thema.“ Das widerlegten die Ergebnisse, die das DeZIM-Team selbst nicht erwartet hätte. Foroutan: „Wir waren sehr überrascht, dass 90 Prozent Rassismus anerkennen.“ Noch überraschender sei, dass er als etwas Strukturelles gesehen werde, also als Bestandteil von staatlichem Handeln und von Institutionen. Davon sind 65 Prozent der Befragten überzeugt.

Doch Wissen und Betroffenheit haben eine paradoxe andere Seite: Die Studie förderte auch große Abwehr gegen dieses Wissen und ein Kleinreden von Rassismus zutage: 33 Prozent der Befragten nannten Menschen, die selbst Rassismus erleben, überempfindlich, 52 Prozent finden sie zu ängstlich. Fast die Hälfte (45 Prozent) hält Kritik – also Vorwürfe des Rassismus oder politische Korrektheit, rassismuskritische Sprache – für entweder unangemessen, überzogen oder befürchtet dadurch eine Einschränkung der Meinungsfreiheit. „Es ist Unsinn, dass bisher normale Wörter jetzt rassistisch sein sollen“ – dieser Aussage zum Beispiel stimmt mehr als die Hälfte eher oder sogar voll und ganz zu.

Fast die Hälfte glaubt, es gebe noch Rassen

Die Abwehr komme dabei „vor allem aus der Mitte der Gesellschaft“, schreiben die Forscher:innen und machen dies an den Bildungsabschlüssen der Befragten fest: 62 Prozent derer mit einem Realschulabschluss sind gegen rassismuskritische Sprache und 55 Prozent der Personen mit Hochschulreife. Mit 52 Prozent fällt das Nein von Hauptschüler:innen weniger deutlich aus.

Verbreitet sind auch rassistische Ansichten – in diesem Fall scheint Bildung sich allerdings positiv auszuwirken: Fast die Hälfte (49 Prozent) der deutschen Bevölkerung glaubt nach wie vor, es gebe menschliche Rassen. Wer keinen Schulabschluss hat, hängt dieser These häufiger an (72 Prozent) als Personen mit Hochschulreife, von denen aber immer noch ein gutes Drittel (37 Prozent) an die Existenz von Rassen glaubt, obwohl dies naturwissenschaftlich lange widerlegt ist. Entscheidend ist hier wohl der Anteil Älterer: Der Rasse-Mythos hat unter ihnen 61 Prozent hinter sich, unter den 14- bis 24-Jährigen nicht einmal mehr ein Drittel (32 Prozent).

Junge Menschen seien grundsätzlich sensibler für Rassismus und nicht bereit, ihn hinzunehmen. Dieser Befund gelte aber „nicht linear“, ergänzte auf Nachfrage einer der NaDiRa-Forscher, Tae Jun Kim. „Je älter, desto problematischere Ansichten“, das stimme nicht. Die Abwehr von Rassismus-Kritik als überempfindlich oder Einschränkung der Meinungsfreiheit komme vor allem aus der mittleren Altersgruppe 40 plus und nehme in den höheren Altersgruppen ab.

Die Widersprüchlichkeit der Ergebnisse erklärt DeZIM-Direktor Frank Kalter mit einer diversen Wirklichkeit: Einerseits hielten sich historisch alte Bestände rassistischer Überzeugungen hartnäckig in den Köpfen. Andererseits erlebten viele Menschen Rassismus aus der Nähe – Foroutan sprach von der „Ko-Betroffenheit“ derer, die zwar selbst keinem Rassismus ausgesetzt seien, aber ihm durch die Erfahrungen von Freundinnen, Kollegen oder sogar den eigenen Kindern begegneten, wenn Lebenspartner oder -partnerin etwa Schwarz seien.

Ministerin Paus verspricht klare Kante gegen Rassismus

Näheres über die Gründe will das Forschungsteam in den nächsten Jahren herausfinden. Gefördert wird die Studie vom Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend. Alle zwei Jahre soll ein Bericht über die Lage insgesamt herauskommen, dazwischen will das Forschungsinstitut immer wieder Einzelstudien veröffentlichen.

Die neue Ministerin Lisa Paus (Grüne) sagte, die „schräge Debatte der letzten beiden Jahre“, ob auch die Polizei Untersuchungsgegenstand sei, sei jetzt „abgeräumt“. Da wisse sie auch Innenministerin Nancy Faeser (SPD) an ihrer Seite, mit der gemeinsam sie die Sache angehe. Faesers Vorgänger Horst Seehofer (CSU) hatte sich gegen die Einbeziehung der Polizei lange gewehrt.

Paus sagte, um Diskriminierung und Rassismus zu bekämpfen, brauche die Politik zunächst einmal „evidenzbasierte und regelmäßige Daten“. Sie selbst werde sich „mit aller Kraft dafür einsetzen, dass wir da nicht nachlassen“. Rassismus widerspreche „unseren demokratischen Grundwerten“. Ihm müsse vorgebeugt werden. Wo es ihn gebe, müsse „klare Kante“ gezeigt werden mit allen Mitteln, die eine wehrhafte Demokratie dafür zur Verfügung habe. Ob das Geld dafür auf Dauer kommt, wird sich in diesem Monat herausstellen. Foroutan verwies auf die laufenden Haushaltsverhandlungen: Ob die Finanzierungszusage wirklich bestätigt werde, sei unklar. „Das ist im Moment nicht so eindeutig.“

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