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Angela Merkel und Emmanuel Macron bei der Unterzeichnung des Vertrags von Aachen am 22. Januar 2019.

© REUTERS/Wolfgang Rattay

Streit zwischen EU-Staaten: Warum ist das deutsch-französische Verhältnis so zerrüttet?

Die Beziehung zwischen Deutschland und Frankreich ist so schlecht wie lange nicht. Doch woran hakt es? Ein Überblick.

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Deutschland und Frankreich haben sich auf einen gemeinsamen Vorschlag für ein Budget für die Euro-Zone geeinigt. Herausgekommen ist ein vierseitiges Papier, das dem Tagesspiegel vorliegt und das nun mit den anderen Euro-Staaten diskutiert werden soll. Doch an vielen anderen Stellen ruckelt es in den Beziehungen zwischen den beiden Nachbarländern. Wie sieht der Kompromiss aus? Und an welchen Stellen hakt es weiterhin im deutsch-französischen Verhältnis? Eine Bestandsaufnahme.

Ein Budget für die Eurozone?

Auf einer Seite stehen Deutschland und Frankreich inzwischen – überraschenderweise – beim Eurozonenbudget. Dabei waren Paris und Berlin auch bei diesem Thema lange gegenteiliger Meinung. Macron wünscht sich das gemeinsame Budget, um Mitgliedsländer im Fall eines Wirtschaftsabschwungs zu stützen. Auch soll damit Staaten wie Griechenland geholfen werden, wirtschaftlich wieder zu den stärkeren Euro-Ländern aufzuschließen. Als Macron diesen Plan 2017 erstmals vorstellte, kam aus Berlin lautstark Kritik. In Deutschland hielt man schlicht nichts davon, neben dem EU-Haushalt einen zweiten Etat aufzustellen – mit dem dann EU-Haushaltsregeln umgangen werden könnten.

Nun hat sich Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) mit seinem französischen Kollegen Bruno Le Maire auf einen Kompromiss verständigt. Der sieht ein Eurozonenbudget vor, das jedoch Teil des EU-Haushalts sein soll. Auch in der Frage, wie die Mittel verwendet werden sollen, haben sich Scholz und Le Maire geeinigt. Deutschland wollte die Gelder nur freigeben, wenn die Staaten die von der EU geforderten Reformen einhalten – Frankreich sah das lockerer. Ihr gemeinsamer Vorschlag sieht nun auch die Finanzierung von Projekten vor, die "bevorzugt" in Verbindung mit Reformen stehen.

Frankreich geht es um Effektivität und Schlagkraft, Deutschland geht es um Inklusion, also um das Überreden der restlichen 25, teils sehr unwilligen EU Mitglieder, doch bitte mehr Zusammenhalt zu zeigen. Das zeigt schon das ganze Dilemma.

schreibt NutzerIn Gophi

Unterschiedliche Interessen im Handelsstreit mit den USA

Autos gegen Soja, Weizen und Chlorhühnchen? So ungefähr wird in der deutschen Autoindustrie die aktuelle Lage auf Seiten der EU eingeschätzt: Trump werde keine Strafzölle auf deutsche Autos verhängen, wenn US-Farmer ihre Erzeugnisse leichter in die EU exportieren dürfen. Vom Verzicht auf Zölle profitieren die Deutschen, denn kein anderes Land liefert so viele Autos ins Ausland, der Exportanteil liegt bei rund 75 Prozent. Unter höheren Einfuhren amerikanischer Lebensmittel leiden die Länder mit einem starken Agrarsektor, zum Beispiel Frankreich. Französische Bauern sind schon häufiger mit Traktoren auf den Champs-Élysées aufgetaucht und lassen gern viel Mist dort liegen.

Nach den Gelbwesten auch noch die Bauern – das will Macron unbedingt verhindern. In der deutschen Autobranche hat man dafür Verständnis und spricht „von zwei Märkten“, also Auto und Agrar, die EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström in den Gesprächen mit den USA im Blick haben müsse. Im Brüssel kursierten jedenfalls schon länger Listen der USA mit allen möglichen Agrarprodukten.

Die Autoindustrie selbst nutzt derweil unter anderem die deutsch-amerikanische Handelskammer und den amerikanischen Herstellerverband, um ihre starke Bedeutung in den USA deutlich zu machen:  Allein die deutschen Hersteller und ihre Lieferanten haben demnach in den letzten Jahren in rund 300 Fabriken mehr als 113.000 Arbeitsplätze geschaffen und dabei die weltweit hochgelobte duale Ausbildung eingeführt. VW und Mercedes, Audi, Porsche und BMW exportieren nicht nur aus Deutschland, sondern sie sind auch der größte Exporteur aus den USA. Das spielt indes für Trump keine Rolle, wenn er Autos als Druckmittel einsetzen will für höhere Agrarexporte.

Gemeinsame europäische Verteidigungspolitik

Bei fast allen Projekten einer vertieften Kooperation in der europäischen Sicherheitspolitik tritt ein Interessenunterschied zwischen Frankreich und Deutschland zutage. Deutschland möchte sie benutzen, um den politischen Zusammenhalt der EU voranzutreiben. Frankreich hingegen, um die militärische Einsetzbarkeit und Effizienz zu erhöhen. Bei der vertieften permanenten Rüstungskooperation unter dem Kürzel Pesco ging es Deutschland um „Inklusivität“: Möglichst viele EU-Staaten sollen sich beteiligen.

Frankreichs Ziel hingegen war „Effektivität“: nicht zu viele Teilnehmer, sondern wenige, die handeln wollen. Als Pesco auf 26 Teilnehmerstaaten anwuchs, machte Paris einen neuen Vorschlag, die „Europäische Intervention-Initiative“ (EII). Nur die großen EU-Staaten, die militärisch etwas anzubieten haben, sollen daran teilnehmen. Sie sollen Einheiten zur militärischen Intervention aufbauen.

Ärger bei der Rüstungszusammenarbeit

Ähnlich verlaufen die Trennlinien zwischen Paris und Berlin bei gemeinsamen Rüstungsprojekten. Deutschland strebt europäische Projekte für den politischen Zusammenhalt an, Frankreich geht es um Schlagkraft. Europa baut viel zu viele unterschiedliche Modelle von Kampfflugzeugen, Hubschraubern, Panzern, gepanzerten Transportern, Kriegsschiffen usw. Deshalb wird das vorhandene Geld ineffizient ausgegeben. Bei der notwendigen Zusammenlegung von Rüstungsbetrieben kämpft jedes Land jedoch um die eigenen Standorte und die Jobs der dort Beschäftigten. Man müsste sich einigen, wie die Aufträge auch auf andere EU-Staaten verteilt werden. Polen hat eine starke Rüstungsindustrie.

Spannungen zwischen Frankreich und Deutschland ergeben sich zudem aus dem Zusammenspiel von Produktion, Finanzierung und Export gemeinsamer Rüstungsgüter. Sie wollen ein neues Kampfflugzeug und einen neuen Kampfpanzer gemeinsam entwickeln und bauen. Deutschland hat die dafür notwendigen Gelder aber noch nicht in der Finanzplanung berücksichtigt. Dort stehen Beträge, die für die Einleitung der Entwicklung reichen. Der Finanzbedarf unterscheidet sich zudem beträchtlich, je nachdem, ob man nur für den Eigenbedarf baut oder den Jet und den Panzer auch in größeren Mengen exportiert. Dann sinkt der Preis pro Stück erheblich. Doch dafür müssten sich Deutschland und Frankreich auf gemeinsame Exportrichtlinien einigen. Auch das gelingt bisher nicht.

In der Summe wächst die Verärgerung über die Deutschen in Paris. Manche Franzosen überlegen bereits, ob es nicht besser sei „German-free“ zu planen: ohne den schwierigen Partner. Die politische Hürde, mit dieser Alternativen nicht nur im Stillen zu drohen, sondern sie in die Tat umzusetzen, ist allerdings hoch.

Unterschiedliche Wege in der China-Politik

Zwar nimmt auch Deutschland mittlerweile in seiner China-Politik eine deutlich kritischere Haltung ein und nimmt Abstand von einer Politik, die lange fast ausschließlich auf einen verbesserten Marktzugang für deutsche Unternehmen in China fokussiert war. Nach wie vor aber ist Frankreichs China-Politik deutlich konfrontativer als die deutsche. Immer wieder wählte Emmanuel Macron scharfe Worte, er begründete seinen Ruf nach einer europäischen Armee auch mit der Verteidigung gegen China und sprach in Zusammenhang mit der Seidenstraßen-Initiative davon, es dürften keine „Vasallenstaaten“ entstehen. Der unterschiedliche Ansatz zeigt sich auch im Umgang mit dem chinesischen Telekommunikationsanbieter Huawei. Deutschland ist noch unentschlossen, wie es mit einer Beteiligung von Huawei an der Ausschreibung für das 5G-Netzwerk umgehen will. Die französische Regierung will nachträgliche Anti-Spionage-Kontrollen für die verbaute Technik gesetzlich festlegen – und scheiterte damit nur vorerst am französischen Senat. Ein weiteres Beispiel für die härtere Haltung Frankreichs: Frankreich und Großbritannien haben Kampfschiffe in das Südchinesische Meer entsandt und unterstützen dort die US-Mission, die chinesische Gebietsansprüche kontern soll.

Keine Einigkeit bei den Rüstungsexportkontrollen

Im Vertrag von Aachen haben sich Deutschland und Frankreich darauf geeinigt, „eine gemeinsamen Ansatz für Rüstungsexporte zu entwickeln“. Wie der "Spiegel" berichtet, hätten sich die beiden Staaten darüber hinaus geeinigt, Exporte in Drittländer „nicht zu verhindern“. Im konkreten Fall aber dürfte das schwierig werden, wie die Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien zeigen. Nach der Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi in der saudischen Botschaft in der Türkei hatte Deutschland im Oktober 2018 seine Exporte nach Saudi-Arabien ausgesetzt. Frankreich verkauft weiter Rüstungsgüter an Saudi-Arabien. Riad ist der zweitgrößte Abnehmer französischer Rüstungsgüter.

Der deutsche Exportstopp allerdings verhindert auch den Export von einzelnen Komponenten, die in gemeinsamen europäischen Rüstungsgütern verbaut werden, etwa in Raketen, mit denen saudische Eurofighter ausgerüstet werden und die von einem gemeinsamen Subunternehmen von Airbus, dem britischen Rüstungsunternehmen BAE Systems und dem italienischen Unternehmen Leonardo hergestellt werden. Die deutsche Exportpolitik schlägt also auf die Exporte anderer europäischer Länder durch. Airbus-Chef Tom Enders hatte Deutschland deshalb erst kürzlich öffentlich angeprangert.

Deutschland wiederum ist durch den Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD gebunden, mit dem sich die beiden Partner geeinigt haben, keine Rüstungsgüter mehr „in Krisenregionen“ zu exportieren. Der Export nach Saudi-Arabien ist daher ohnehin umstritten, da Saudi-Arabien am Jemen-Krieg beteiligt ist.

Gegner im Europawahlkampf

Im Mai wählen die Europäer ein neues Parlament – und im Wahlkampf werden sich Emmanuel Macron und Angela Merkel indirekt gegenüberstehen. Angela Merkel unterstützt den Spitzenkandidaten der konservativen EVP-Fraktion, den CSU-Politiker Manfred Weber – und mit ihm das ganze System der „Spitzenkandidaten“ bei europäischen Wahlen. Die Spitzenkandidaten sind gleichzeitig Anwärter auf den Posten des Kommissionschefs, Manfred Weber wäre der erste Deutsche an der Spitze der Kommission seit Walter Hallstein, der von 1958 bis 1967 amtierte.

Emmanuel Macrons neue Bewegungspartei „La République En Marche“ (LREM) hingegen liebäugelt weiter damit, sich der der Fraktion der Liberalen im Europäischen Parlament, der ALDE-Fraktion, anzuschließen. Die europäischen Liberalen aber sind gegen das Spitzenkandidaten-System und werden wohl nicht mit einen Spitzenkandidaten (und damit einem Anwärter auf den Posten des Kommissionschefs) antreten, sondern mit einem „Team“, das im März vorgestellt werden soll. Macrons neue Bewegungspartei tritt zum ersten Mal bei den Europawahlen an. Parteichef Stanislas Guerini nannte die ALDE-Fraktion zuletzt seinen „natürlichen Verbündeten“.

Digitalsteuer

Dass Konzerne wie Google, Facebook oder Amazon in Europa nicht genügend Steuern zahlen, ist kein neues Problem, aber eines, das schwer zu lösen ist. Das Signal der deutsch-französischen Regierungskonsultationen in Meseberg im Sommer 2018 sollte lauten: Deutschland und Frankreich einigen sich bis Ende des Jahres auf ein Konzept für die Besteuerung von Digitalkonzernen, dann kann auf EU-Ebene ein Kompromiss gefunden werden. Doch daraus wurde nichts. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) befürchtete offenbar, die von Frankreich und dem französischen EU-Kommissar Pierre Moscovici maßgeblich vorangetriebenen Pläne könnten der exportstarken deutschen Wirtschaft schaden. Lieber will Scholz die Werbeeinnahmen von Plattformen besteuern, als eine so genannte virtuelle Betriebsstätte.

Was von den Zusagen von Meseberg übrig blieb: Statt einer Lösung auf EU-Ebene hat der französische Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire entschieden, die Steuer zum Jahreswechsel im Alleingang einzuführen. Auf EU-Ebene sieht es nicht so aus, als könnte noch vor den Europawahlen im Mai eine Lösung gefunden werden. Scholz spricht dieser Tage auch nur noch von einem Besteuerungsmodell auf Ebene der OECD-Staaten – bis 2020.

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