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Das Schild, bei dem Deutschland regelmäßig in Wallungen gerät. Was wiederum unsere Kolumnistin aufregt.

© picture alliance / Patrick Seege

Streit ums Tempolimit: Rasen hat mit Freiheit nichts zu tun!

Seit ich denken kann, diskutieren wir in Deutschland über ein Tempolimit. Und die Performance der Gegner wird immer armseliger. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Hatice Akyün

Herzlichen Glückwunsch, Deutschland! Wir haben eine große Gemeinsamkeit mit Afghanistan, Nordkorea und Mauretanien: kein Tempolimit. Nun kann man meinen, dass in den anderen Ländern allein schon der Zustand der Straßen dafür sorgt, dass man nicht rasen kann.

In Deutschland leistet man es sich immer noch, das Auto als Waffe zu benutzen. Nein, es ist keine Freiheit, mit einem Geschoss auf vier Rädern andere Menschen in Gefahr zu bringen. Die Freiheit des Einzelnen endet nämlich genau dort, wo das Leben von Anderen in Gefahr ist.

Es war der ADAC, der 1974 mit dem Slogan „Freie Fahrt für freie Bürger“, eine Kampagne für das bedingungslose Rasen startete. Kurz vorher gab es wegen der Ölkrise autofreie Sonntage in Deutschland. Seit ich denken kann, diskutieren wir über ein Tempolimit. Wenn sich mittlerweile sogar Polizei und Rettungskräfte für eine Geschwindigkeitsbegrenzung aussprechen, gibt es keine ernst zu nehmenden Argumente mehr dagegen.

Tempolimit? Was Freiheit wirklich einschränkt

Wer glaubt, dass Rasen etwas mit Freiheit zu tun hat, sollte sich mal mit Menschen aus Nordkorea und Afghanistan unterhalten, um zu erfahren, was Freiheit für einen Menschen wirklich einschränkt. Ein Tempolimit gehört sicher nicht dazu.

Und – verzeihen Sie mir meine Ausdrucksweise – wie bescheuert muss man sein, Fahren nach Lust und Laune mit einem Autobahnfoto aus der Schweiz abzufeiern? Verkehrsminister Andreas Scheuer am ersten Weihnachtstag: „Wir haben weit herausragendere Aufgaben, als dieses hochemotionale Thema wieder und immer wieder ins Schaufenster zu stellen – für das es gar keine Mehrheiten gibt.“ Der Bundestag habe ein Tempolimit mit großer Mehrheit abgelehnt.

Sein Ministerium twitterte dazu ein Bild, auf dem das Ausfahrtschild von Thalwill zu sehen ist, ein Ort im Kanton Zürich, in dem es wie in der ganzen Schweiz ein Tempolimit von 120 gibt.

Apropos Schweiz: Schon bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 5 km/h ist ein Bußgeld von 35 Euro fällig. Bei 11 km/h sind es 230 Euro, ab 25 km/h über dem Limit kommen Anzeige und Fahrverbot dazu, und jeder weitere Kilometer kann zu Freiheitsstrafe und Beschlagnahmung des Autos führen.

[Mehr zum Thema: Umweltministerin Schulze geht beim Tempolimit auf Konfrontationskurs zur Union]

Diese Erfahrung mussten schon einige deutsche Autofahrer machen. Zum Beispiel jener, der mit Tempo 215 über eine Schweizer Autobahn raste. Sein Auto wurde an Ort und Stelle wegen „grober Verkehrsregelverletzung in skrupelloser Weise“ beschlagnahmt.

Auch für Kutschen galt ein Tempolimit

Und dabei blieb es nicht: Bei solchen massiven Überschreitungen der Höchstgeschwindigkeit drohen neben dem Verlust des Führerscheins auch Gefängnis. Und wer wiederholt beim Rasen erwischt wird, verliert seine Fahrerlaubnis für immer. Der Autofahrer, so der Schweizer Gesetzgeber, nehme ein hohes Risiko für einen Unfall mit Schwerverletzten oder Toten in Kauf.

Geschwindigkeitsbegrenzungen gibt es übrigens nicht erst seit der Erfindung des Autos. Im 18. Jahrhundert führte man in Deutschland zum Schutz der Fußgänger eine Schritt- und Trabgeschwindigkeit für Pferdekutschen ein. 2007 haben die Gesundheitsminister der Länder beschlossen, Passivraucher zu schützen, indem sie das Nichtraucherschutzgesetz erlassen haben. Alle öffentlichen Einrichtungen und Behörden, Kindertagesstätten, Schulen, Universitäten, Krankenhäuser, Sportstätten und die Gastronomie wurden so über Nacht rauchfrei. Man weiß also, wie es geht, jahrzehntelange Diskussionen in Gesetze umzuwandeln. Man muss es einfach nur tun. Machen ist wie Wollen, nur überzeugender.

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