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Streit ums Betreuungsgeld: Kohle oder Kita?

Von Anfang an hatten es die Erfinder des Betreuungsgeldes schwer, ihre Idee zu vermitteln. Eine Studie scheint den Gegnern nun recht zu geben. Was haben die Wissenschaftler an der Leistung auszusetzen?

Von
  • Robert Birnbaum
  • Matthias Schlegel

Das Betreuungsgeld gehört seit langem zu den umstrittensten Maßnahmen der Familienpolitik. Die CSU hatte kaum die Forderung erhoben, dass im Gegenzug zum Ausbau der Kita-Betreuung auch daheim erziehende Eltern eine staatliche Unterstützung bekommen sollten, da war das böse Wort von der „Herdprämie“ in der Welt. Die Befürworter schwingen derweil die Flagge mit der Aufschrift „Wahlfreiheit“. Jetzt hat eine Studie im Auftrag des Sozialministeriums untersucht, wer von dieser Wahlmöglichkeit tatsächlich Gebrauch macht. Die Autoren sehen ebenso wie die Auftraggeberin, Ministerin Manuela Schwesig (SPD), alle Zweifel an dem Betreuungsgeld-Konzept bestätigt.

Zu welchen Ergebnissen kommen die Wissenschaftler?

Das Betreuungsgeld lasse sich „als besonderer Anreiz für sozial eher benachteiligte Familien identifizieren, kein Angebot an frühkindlicher Bildung, Betreuung und Erziehung zu nutzen“, schreibt die Autorin der Studie, die die Universität Dortmund gemeinsam mit dem Deutschen Jugendinstitut erstellt hat. Das Betreuungsgeld erweise sich als besonders attraktiv für Familien, „die eine geringe Erwerbsbeteiligung aufweisen, durch eine gewisse Bildungsferne gekennzeichnet sind und einen Migrationshintergrund haben“. Das Betreuungsgeld stelle sich als Mittel zur Förderung von Chancengerechtigkeit also als „kontraindiziert“ heraus, zu deutsch: Dafür taugt es nicht, sondern schadet.

Die Statistik scheint die Befunde der Wissenschaftler zu bestätigen. So ist der Anteil der Migranten, die Betreuungsgeld beziehen, in allen Bundesländern deutlich höher als ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung. In Bayern etwa sind 16 Prozent der Bezieher von Betreuungsgeld nicht Deutsche – deren Anteil an der Bevölkerung mit 8,2 Prozent aber nur halb so groß. Bei der Antwort auf die Frage, ob das Betreuungsgeld für sie den Ausschlag gegeben hat, Kinder nicht in eine Kita zu geben, ist zugleich ein klares soziales Gefälle zu beobachten: Je geringer der Bildungsgrad der Eltern, desto öfter nannten sie die Daheimbleibe-Prämie als Grund für die Entscheidung gegen die Kita. Wenn die Mutter, der Vater oder beide arbeitslos oder nur teilzeitbeschäftigt sind, nehmen sie ebenfalls lieber gleich das Geld als ein Betreuungsangebot zu suchen.

Sind die Befunde korrekt?

Wie oft in der Sozialforschung: Ja – aber. Entkleidet man die Studie ihres wissenschaftlichen Beiwerks, erweist sich vieles als Binsenweisheit. Niedriger Bildungsabschluss, prekäre Jobs und Migrationshintergrund lassen sich auf einen schlichten Nenner bringen: Solche Eltern sind selten reich. Für ihre Haushaltskasse sind 150 Euro pro Kind viel. Für Bessergestellte liefert die gleiche Summe naturgemäß nicht das Hauptmotiv, ihr Kleinkind daheim zu behalten – oder sie geben es nur sehr ungern zu.

Außerdem tut sich Statistik oft schwer mit der klaren Unterscheidung von Ursache und Wirkung. Die gleiche Elterngruppe, die in der Dortmunder Studie auf das Betreuungsgeld schwört, findet nach dieser aber auch schwerer einen Betreuungsplatz. Ob zuerst der Frust kam oder sofort der Blick aufs Konto, ist aus den Daten aber nicht ablesbar. Insgesamt nannten 13 Prozent aller Befragten das Geld als Motiv gegen die Kita – was mit den 87 Prozent anderen war, bleibt in den vorliegenden Tabellen ebenfalls unklar.

Auf welche Reaktionen stoßen die Ergebnisse des Projekts?

Auf die zu erwartenden. Die Verfechter des Betreuungsgeldes weisen die Schlussfolgerungen der Wissenschaftler zurück, die Kritiker fühlen sich bestätigt nach dem Motto: Das haben wir doch immer schon gesagt! Der Chefin der bayerischen Staatskanzlei, Christine Haderthauer, stellt die Grundannahme der Studie in Frage: „Bei Ein- und Zweijährigen eine Besser-/Schlechter-Diskussion zwischen Elternzuwendung und Kita anzuzetteln, ist ein ideologischer Tiefschlag sondersgleichen gegen alle Eltern von Kleinkindern“, poltert die CSU-Politikerin. Dass der Kita-Besuch automatisch die späteren Chancen von Kleinkindern verbessere, ist schließlich genau das, was die CSU von Anfang an bestritten hat.

Haderthauers Kollegin Emilia Müller, Sozialministerin in Bayern, wählt einen anderen Weg, das Betreuungsgeld als „Erfolgsgeschichte“ zu preisen. Es gebe keine Indizien dafür, dass hauptsächlich arme Einwandererfamilien das Geld beantragten – in Bayern werde das Betreuungsgeld von allen Einkommensschichten bezogen, von deutschen wie von nichtdeutschen Eltern. Das stimmt, geht allerdings am Kern der Studie vorbei, die ja nach Motiven gefragt hat.

Bestätigt in seiner Kritik hingegen sieht sich, wie sollte es anders sein, Hamburgs Sozialsenator Detlef Scheele (SPD). Sein Senat klagt schließlich vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Betreuungsgeld, mit der Entscheidung wird im nächsten Jahr gerechnet. Kindern aus bildungsfernen Elternhäusern und von Migranten werde der Zugang zu frühkindlicher Bildung verwehrt, sagt Scheele denn auch: „Gerade bei der Sprachförderung zeigt sich, wie wertvoll die Betreuung und Bildung in einer Kita ist.“ Auch die rot-grüneRegierungskoalition in Nordrhein-Westfalen erneuert ihre Kritik. „Wir haben von Anfang an gesagt, dass das Betreuungsgeld am Bedarf der Familien vorbeigeht“, sagt Landtags- Fraktionsvize Britta Altenkamp (SPD).

Wie ist das Betreuungsgeld denn eigentlich ins Gesetzblatt geraten?

So wie vieles dort hineingerät: durch koalitionäre Kompromisse. Schon in der schwarz-gelben Regierung war die Sozialleistung heftig umstritten. Auch in der CSU hatte es nicht nur Freunde. Aber weil CSU-Chef Horst Seehofer das Betreuungsgeld zum Knackpunkt erhob und von der eigenen Partei Gefolgschaft einforderte, weil es in auch der CDU durchaus Anhänger hatte und die damals schon stark angeschlagene FDP sich ihren Widerstand zuletzt gegen die Abschaffung der Praxisgebühr abkaufen ließ, wurde das Gesetz 2012 verabschiedet. Ab August 2013 konnte jeder, der sein unter dreijähriges Kleinkind zu Hause erzog, Anspruch auf 100 Euro im Monat anmelden, vom 1. August an wird die Summe auf 150 Euro steigen.

Die SPD versprach im Wahlkampf, das Betreuungsgeld sofort wieder abzuschaffen, das Kanzlerkandidat Peer Steinbrück noch in der Schlussdebatte des Bundestages als „schwachsinnig“ verworfen hatte. Doch die Sozialdemokraten verloren bekanntlich die Wahl. In den Verhandlungen über eine große Koalition erklärte Seehofer das Betreuungsgeld sofort zum nicht verhandelbaren Tabu. Da die Christsozialen außer der Pkw-Maut und dem Verzicht auf Steuererhöhungen sonst keine größeren Wünsche mit in die Gespräche nahmen, war klar, dass die SPD nachgeben musste. Denn dass in solchen Runden jeder Partner ein paar Herzenswünsche erfüllt bekommt, gehört zum Grundprinzip der Koalitionsdemokratie. (mit dpa)

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