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Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) am Montag in München.

© Sven Hoppe/dpa

Update

Streit um Unkrautvernichter: Seehofer wusste wohl vorab von Schmidts Glyphosat-Votum

Der Alleingang des CSU-Ministers belastet die Gespräche zwischen Union und SPD. Die Kanzlerin rügt ihn dafür. Doch wie einsam war die Entscheidung?

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CSU-Chef Horst Seehofer war nach Angaben aus bayerischen Regierungskreisen vorab über das Ja von Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) zur weiteren Verwendung des Unkrautvernichters Glyphosat in der EU informiert. Seehofer habe in einer Sitzung des bayerischen Kabinetts am Dienstag deutlich gemacht, dass er schon vorab von Schmidts geplanter Zustimmung wusste, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur in München am Dienstag übereinstimmend von mehreren Teilnehmern der Sitzung.

"Die CSU spricht Christian Schmidt ihre Rückendeckung aus", sagte der bayerische Ministerpräsident der "Süddeutschen Zeitung" (Mittwochausgabe) über seinen Parteifreund. Er könne nicht verstehen, dass der Minister so abgekanzelt werde, sagte Seehofer laut Vorabbericht.

Die angeblich einsame Entscheidung von Schmidt ändert nichts an der Tatsache, dass die EU mit oder ohne oder mit Enthaltung Deutschlands den Glyphosat-Einsatz für weitere fünf Jahre zugelassen hat. Während 18 Mitgliedsländer, darunter auch Deutschland, dem Vorschlag der EU-Kommission zustimmten, stimmten nur 9 Länder dagegen.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht das anders. Nach ihren Worten hat Schmidt mit seinem Ja zur Weiterverwendung von Glyphosat gegen die Geschäftsordnung der Regierung verstoßen. „Das entsprach nicht der Weisungslage, die von der Bundesregierung ausgearbeitet war“, sagte Merkel am Dienstag in Berlin. Damit hat Merkel nun auch Stellung zu dem umstrittenen deutschen Votum für eine fünfjährige Verlängerung des Einsatzes des Pflanzengiftes in Brüssel bezogen. Zuvor hatten Politiker von SPD und Grünen eine Erklärung der Kanzlerin gefordert.

So hatte der stellvertretende SPD-Vorsitzende Thorsten Schäfer-Gümbel dem Tagesspiegel gesagt: "Die Kanzlerin muss sich erklären, ob sie davon wusste und ob sie dem Vorgehen zugestimmt hat." Sollte dies der Fall gewesen sein, dann "wäre das eine echte Hypothek für jede Form von Gesprächen", fügte Schäfer-Gümbel mit Blick auf mögliche Verhandlungen mit der Union über eine Regierungsbildung hinzu.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht mit Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) am Dienstag in Berlin.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht mit Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) am Dienstag in Berlin.

© Michael Kappeler/dpa

Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) hatte ebenfalls eine deutliche Reaktion der Bundeskanzlerin gefordert. Die Zustimmung Schmidts zu einer fünfjährigen Verlängerung des Einsatzes des Pflanzengifts entgegen ihrer ausdrücklichen Ablehnung im zuständigen Ausschuss sei ein klarer Verstoß gegen die Geschäftsordnung der Bundesregierung und ein eklatanter Vertrauensbruch, sagte Hendricks am Dienstag im Deutschlandfunk. "Ich glaube, die Kanzlerin ist am Zuge. Sie muss etwas unternehmen, um diesen Vertrauensverlust zu heilen. Man kann so nicht regieren. Das geht einfach nicht", sagte Hendricks.

Die Ministerin wollte sich nicht auf eine konkrete Maßnahme festlegen, etwa die Entlassung Schmidts. "Ich finde, die Kanzlerin sollte in eigener Verantwortung entscheiden, wie Vertrauen zurückgewonnen werden kann", sagte sie.

Christian Schmidt verteidigt Entscheidung

Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) verteidigte indes sein Votum auf EU-Ebene für die Verlängerung der Zulassung des Unkrautvernichters Glyphosat und betonte, er habe die Entscheidung allein getroffen: "Ich habe die Entscheidung für mich getroffen und in meiner Ressortverantwortung", sagte Schmidt im ARD-"Morgenmagazin".

Schmidt verteidigte zugleich seine Entscheidung, trotz eines Einspruchs von Hendricks für die weitere Freigabe des möglicherweise krebserregenden Mittels zu stimmen, als "rein sachorientiert". Er wies darauf hin, dass ansonsten die EU-Kommission die Zulassungsverlängerung beschlossen hätte. So habe er erreicht, den Glyphosat-Einsatz "für privaten Gebrauch und für andere Gebräuche zu reduzieren". Generell solle in Deutschland der Glyphosat-Einsatz stark reglementiert werden.

Angesichts der Meinungsverschiedenheiten in der Bundesregierung hätte deren Geschäftsordnung eigentlich eine Stimmenthaltung im zuständigen EU-Ausschuss vorgeschrieben. Darüber hatte sich Schmidt am Montag hinweggesetzt, was in der SPD Empörung auslöste. Führende SPD-Politiker sprachen von einem Vertrauensbruch und einer schweren Belastung für die anstehenden Gespräche über eine mögliche weitere Zusammenarbeit mit der Union. Parteivize Ralf Stegner nannte die Entscheidung eine "ziemliche Unverfrorenheit" und zweifelte an der Koalitionsbereitschaft der Union. "Es ist dringend an der Zeit, dass sich die Unionsseite überlegt, was sie eigentlich erreichen möchte", sagte Stegner. "Das sind Dinge, die ich auf meine Kappe nehmen muss", sagte Schmidt.

FDP will wissen: Was wusste Merkel?

Die FDP verlangt Informationen darüber, welche Kenntnisse Merkel und das Kanzleramt vom Abstimmungsverhalten des Agrarministers hatten. Das kündigte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Liberalen, Marco Buschmann, im Gespräch mit dem Tagesspiegel an. Zwar finde er die Entscheidung richtig, sagte Buschmann. Allerdings sei das Vorgehen des Ministers „ein offenkundiger Vertrauensbruch“. Die Äußerungen Merkels zum Verhalten des Ministers bezeichnete Buschmann als „erwartbar“.

Es bleibe die Frage, ob das Abstimmungsverhalten Deutschlands „in Wirklichkeit gar kein Alleingang des Agrarministers war, sondern möglicherweise ein Vorgang, von dem die Kanzlerin selbst oder aber ihr Kanzleramtsminister und sein Amt wussten“, sagte Buschmann weiter. Durch eine Anfrage an die Regierung wolle die FDP offenlegen, „welche Kenntnisse das Kanzleramt und die geschäftsführende Regierungschefin hatten“.

Nach Recherchen von WDR, NDR und "Süddeutscher Zeitung" kam Schmidts Entscheidung jedenfalls nicht spontan. Demnach soll das zuständige Referat in seinem Hause schon am 7. Juli erwogen haben, "eigenverantwortlich" für die Glyphosat-Zulassung zu stimmen. Die Leitungsebene soll auch darum gebeten worden sein, eine Weisung der Bundeskanzlerin zu erwirken. Ob es dazu Korrespondenz mit dem Kanzleramt gab, ist aus den Unterlagen, die den Medien vorliegen, nicht ersichtlich.

Renate Künast fordert Entlassung Schmidts

Die Grünen fordern nun ebenfalls Aufklärung über das Zustandekommen des deutschen Votums. Die frühere Ressortchefin Renate Künast nannte es einen „ungeheuren Vorgang“, dass Agrarminister Schmidt ungeachtet der üblichen Ressortabstimmung in der Regierung zugestimmt habe. „Ich möchte wissen, ob das mit Wissen von Kanzlerin Angela Merkel passiert ist.“ Ansonsten müsse sie den Minister entlassen, sagte Künast der Deutschen Presse-Agentur. Grünen-Fraktionsgeschäftsführerin Britta Haßelmann richtete eine schriftliche Frage an die Regierung, um zu klären, wer welche Weisung an den deutschen Vertreter im zuständigen EU-Gremium erteilt habe.

Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) der Weltgesundheitsorganisation WHO hatte Glyphosat 2015 als "wahrscheinlich krebserregend" eingestuft. Andere Experten kamen allerdings zu anderen Ergebnissen. Unabhängig davon gilt Glyphosat nach Einschätzung von Umweltexperten allerdings auch als Gefahr für die Artenvielfalt, besonders für Bienen und andere Insekten sowie für Vögel. (mit AFP, dpa, Reuters)

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