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Stoßgebete an die Börsen. Das Rettungspaket in den USA lässt die Kurse steigen.

© Bryan R. Smith/AFP

Streit um Rettungspaket für Wirtschaft: Die Coronavirus-Krise zeigt die Krankheit des US-Systems

Trotz der existenziellen Lage leistet sich Washington einen quälend langen Streit. Drei unbequeme Wahrheiten zur Politik in den USA. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

In den USA haben sich der Kongress und das Weiße Haus auf das größte staatliche Rettungspaket für die Wirtschaft in der Geschichte der Vereinigten Staaten geeinigt. Mit zwei Billionen Dollar – in Zahlen: 2.000.000.000.000 Dollar – wollen Regierung und Parlament die ökonomischen Folgen der Coronavirus-Krise mildern und eine tiefe, langanhaltende Rezession verhindern.

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Der Einigung ging allerdings ein tagelanger parteipolitischer Streit voraus, der die Börsen erst weltweit auf Talfahrt schickte. Und der dann wiederum ein signifikanter Sprung nach oben folgte, als sich ein Kompromiss zwischen den Republikanern um Präsident Donald Trump und den Demokraten abzeichnete. Ohne deren Zustimmung konnte das Parlament die Hilfe nicht beschließen. Die Abläufe führen zu unangenehmen Fragen und Erkenntnissen.

Die USA gelten, erstens, in weltwirtschaftlichen Fragen offenbar immer noch als die globale Führungsnation. Daran hat sich augenscheinlich wenig geändert, auch wenn China und die Europäische Union von ihrem BIP her ähnlich große Wirtschaftsblöcke sind. Weder der Ausbruch der Pandemie in China und ihr Verlauf dort haben solche Kurssprünge ausgelöst, noch der Schock, als das Virus nach Europa übersprang und mehrere EU-Staaten die Liste der am härtesten getroffenen Staaten anführten.

Zweitens stellt sich erneut die Frage nach der Krankheit des politischen Systems der USA mit aller Schärfe. Warum waren die politisch Verantwortlichen selbst in einer so existenziellen Bedrohung nicht in der Lage, ihre Lagerspaltung und ihre ideologischen Grabenkämpfe rascher zu überwinden? In vielen anderen Demokratien können und konnten sich Regierungs- und Oppositionsparteien zügiger auf einen gemeinsamen Kurs einigen.

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Das hat gewiss auch mit dem irrlichternden Präsidenten zu tun, aber nicht allein. Die Unversöhnlichkeit war auch schon erschreckend, bevor Trump ins Weiße Haus einzog. Schon unter seinen Vorgängern wurden immer wieder Staatsausgaben blockiert, gab es Zwangsschließungen von Behörden und öffentlichen Einrichtungen, weil der Haushalt nicht rechtzeitig verabschiedet oder die Schuldengrenze nicht früh genug angehoben wurde.

Eine Differenzierung ist im aktuellen Streit freilich wichtig. Republikaner und Demokraten stritten diesmal nicht darum, ob das Rettungspaket richtig sei. Da waren sie sich einig. Das war in der globalen Finanzkrise noch anders, als es um die Rettung von Banken und Autokonzernen ging.

US-Präsident Donald Trump reagierte beim Coronavirus spät.
US-Präsident Donald Trump reagierte beim Coronavirus spät.

© imago images/MediaPunch/Oliver Contreas

Sie stritten um das Wie: Wem soll die Hilfe in erster Linie zugute kommen? Und wer entscheidet über die Verteilung der Gelder? Drei bis vier Millionen Amerikaner haben bereits ihre Jobs verloren. Viele Millionen mehr werden ihre Arbeit in den kommenden Wochen verlieren.

Die Republikaner wollten den Schwerpunkt bei der Hilfe für die Airlines und andere Wirtschaftskonzerne setzen, wohl auch in der Hoffnung, dass die dann weniger Menschen entlassen. Die Demokraten forderten mehr Direkthilfe an Privathaushalte und an die Stellen und Firmen, die das Gesundheitssystem am Laufen halten.

Hintergrund über das Coronavirus:

Da zeigt sich erneut der tiefe ideologische Graben. In Europa besteht weitgehender Konsens über das Gesellschaftsmodell, die soziale Marktwirtschaft. Die wird rundum unterstützt, egal ob die Parteien sich konservativ, progressiv oder liberal nennen. In den USA wird der Streit um die Weltanschauung bis heute in aller Härte ausgetragen.

Die Demokraten wollen eher einen fürsorgenden Staat, wenn auch nicht so fürsorgend wie in Europa; das geht auch ihnen zu weit. Die meisten Republikaner setzen mehr auf die Eigenverantwortung der Bürger und einen kaum gebremsten Kapitalismus.

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Der andere Streitpunkt betraf die simple Machtfrage. Wer entscheidet über die Verteilung der Staatsgelder: die Regierung oder das Parlament, dessen wichtigstes Instrument der Budgetvorbehalt ist, also die Bewilligung von Staatsausgaben? Die Regierung Trump wollte weitgehende Handlungsfreiheit. Das wäre aber wohl auch nicht anders gewesen, wenn jetzt ein Demokrat Präsident wäre.

Der Teil des Parlaments, der nicht zur Regierungsfraktion gehört, wollte der Exekutive enge Vorgaben machen. Derzeit sind das die Demokraten; doch auch dies wäre unter umgekehrten Vorzeichen wohl ganz ähnlich gewesen.

Wird die Therapie des Coronavirus schädlicher als die Krankheit?

Die beiden Lager haben sich am Ende geeinigt. Dazu hat, drittens, auch beigetragen, dass sich die Wahrnehmung der Gefahren durch die Coronavirus-Krise verändert. Anfangs ging es vor allem um ein Ziel: eine exponentielle und damit nicht mehr beherrschbare Ausbreitung des Virus zu verhindern. Daher die Kontaktsperre.

Inzwischen warnen viele, dass die wirtschaftlichen Schäden mindestens so gravierend, wenn nicht größer seien als die medizinischen. Die Therapie – Herunterfahren der Wirtschaft durch Kontaktsperre – darf nicht schlimmer sein als die Krankheit selbst. Und dagegen helfen vorerst nur Rettungspakete. In den USA hat jedoch quälend lange gedauert bis zur Einigung auf das Hilfsprogramm Kein gutes Vorzeichen für den weiteren Umgang mit der Coronavirus-Krise. Und in deren Zentrum könnten die USA schon in den nächsten Wochen rücken, warnt die Weltgesundheitsorganisation WHO.

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