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Eine Sexarbeiterin im Berliner Club Artemis.

© Doris Spiekermann-Klaas

Streit um Prostitutionsgesetz: SPD-Frauen wollen Kauf von Sex komplett verbieten

Sex gegen Geld, das soll es nicht mehr geben, wenn es nach führenden SPD-Frauen geht. Sie wollen ein Verbot nach schwedischem Vorbild.

Das lange umkämpfte Prostitutionsgesetz ist noch keine zwei Jahre in Kraft, doch die SPD, deren Ministerin es seinerzeit schrieb, will es schon ersetzen. Einige hochrangige Sozialdemokratinnen dringen darauf, dass der Kauf sexueller Dienstleistungen ganz verboten wird.

Ziel ist das so genannte nordische Modell auch für Deutschland, wie es nach schwedischem Vorbild bereits in Frankreich eingeführt wurde: "Entkriminalisierung der Frauen, aber Bestrafung der Freier und Hilfen für Prostituierte, die aussteigen wollen", sagt Leni Breymaier, Bundestagsabgeordnete aus Baden-Württemberg.

Ihren eigenen Landesverband – Breymaier war früher SPD-Landeschefin in Baden-Württemberg – weiß sie dabei ebenso an ihrer Seite wie die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (AsF), Maria Noichl. Deren Vorgängerin hatte sich noch hatte sich gegen ein Kaufverbot eingesetzt, weil es den Frauen schade.

Genossin Breymaier hält dagegen: "Das ist eine Frage der Haltung." Die gebe es ja auch zu Diebstahl, den es weiter gebe, der aber bestraft werde. "Es sollte nicht mehr jeder 18-jährige Abiturient denken dürfen, er könne mit einer Frau machen, was er will." Dabei gehe es ihr aber "nicht um Moral, sondern um Menschenrechte".

Noch will keine deutsche Partei ein Komplettverbot. Das Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG), das seit 1. Juli 2017 gilt, sollte die Prostitution stärker regulieren. Die jetzige Koalitionspartnerin CDU wäre noch die wahrscheinlichste Bündnispartnerin für ein Sexkaufverbot.

Grüne und Linke lehnen schon bisheriges Gesetz ab

Grüne und Linke sind strikt dagegen und lehnten bereits das stark repressive jetzige Gesetz ab. Es zwingt Sexarbeiterinnen unter anderem dazu, sich registrieren zu lassen, den Beleg dafür mit persönlichen Daten stets bei sich zu tragen und regelmäßig auf dem Gesundheitsamt zu erscheinen.

Doch Breymaier und ihre Mitstreiterinnen denken langfristig: "Für mich ist das nicht etwas, was im Moment aktuell ist. Mein erster Ansatz ist nicht, mit wem ich das durchsetze", sagt Breymaier. Im Augenblick verändere sich etwas, sie verweist unter anderem auf den "Weltkongress gegen Prostitution" kürzlich in Mainz. "Ich hoffe, dass wir ein gesellschaftliches Klima schaffen, das auf die Politik Druck ausübt."

Theorie und Praxis des schwedischen Modells

Das allerdings ist nur ein Teil der Klimas. Auch das Unbehagen gegen die Rückkehr zur Kriminalisierung von Prostitution wächst. Nicht nur Hurenselbstorganisationen wenden sich weltweit gegen Verbote, vor vier Jahren sprach sich sogar die Menschenrechtsorganisation Amnesty International dagegen aus. Zuvor hatte es auch in der Organisation heftige Debatten gegeben und von außen Appelle Prominenter gegen die Amnesty-Position.

Man habe sich dennoch so entschieden, erklärte Amnesty-Generalsekretär Shetty, denn Prostituierte gehörten "einer der am stärksten an den Rand gedrängten Gruppen der Welt an", sie seien "ständig dem Risiko von Diskriminierung, Gewalt und Missbrauch ausgesetzt". Der beste Weg, ihre Menschenrechte zu schützen, sei, sie von staatlicher und gesellschaftlicher Repression zu befreien. Diese Haltung stütze man auf Informationen von Sexworker-Organisationen, Feministinnen wie auch Abschaffungsbefürworterinnen, die Amnesty zwei Jahre lang gesammelt und ausgewertet habe.

Wissenschaftliche Studien, die in den Ländern mit Sexverboten deren Auswirkungen untersuchten, stützen Amnestys Haltung. In einer im Mai erschienenen Untersuchung der Sozialwissenschaftler Calogero Giametta und Hélène Le Bail für Frankreich stellen die Forscher fest, dass die Angst vor Festnahmen und Strafen schon vor Inkrafttreten des Gesetzes 2016 vor allem respektvolle Freier in die Flucht getrieben und die Preise für Sex drastisch gesenkt hatten – mit dem Effekt, dass das Überleben der Prostitutierten selbst heikler und ihre Gesundheit in Gefahr war, weil sie aus Geldnot eher schlechte Kunden akzeptieren mussten.

"Neue Möglichkeiten, Sexarbeiterinnen auszubeuten"

Gleichzeitig waren die Hürden vor den Ausstiegshilfsprogrammen für die meisten zu hoch. Im Muster- und Mutterland des Sexkaufverbots, in Schweden, ist es bereits seit fast zwei Jahrzehnten in Kraft und hat, so resümierte die schwedische Forscherin Susanne Dodillet nach dem ersten Jahrzehnt, weder den Menschenhandel reduziert noch die Prostitution – die finde seitdem im Verborgenen und damit gefährlicher statt.

Eine erste Evaluation des geltenden deutschen Gesetzes durch das Land Nordrhein-Westfalen war kürzlich ernüchternd – und die jetzige schwarz-gelbe Regierung zeigte sich ähnlich kritisch wie zuvor ihre rot-grüne Vorgängerin: Man beobachte "die Auswirkungen des Gesetzes bezogen auf die Pflicht für Prostituierte zur Anmeldung und gesundheitlichen Beratung sowie auf die Kondompflicht sehr kritisch. Es bestehen sogar begründete Zweifel, ob das Gesetz in der Praxis seinem ursprünglichen Schutzgedanken jemals gerecht werden kann."

Im Gegenteil, findet die Beratungsstelle "Kober" beim Sozialdienst katholischer Frauen , die im Auftrag der CDU-geführten Düsseldorfer Regierung die Szene in NRW unter dem ProstSchG untersuchte: "Durch die Gefahr des Abrutschens in die Illegalität oder die Angst davor, als Prostituierte ‚enttarnt‘ zu werden, (wurden) neue Möglichkeiten geschaffen, Sexarbeiterinnen zu erpressen und auszubeuten."

War einst unehelicher Sex verboten, so ist es heute der bezahlte

Claudia Zimmermann-Schwartz fürchtet, dass die Möglichkeiten noch größer würden, wäre Sexkauf komplett verboten: "Wo schon das Prostituiertenschutzgesetz mit seiner Anmelde-und Beratungspflicht scheitert, wird sich eine Freierbestrafung noch  dramatischer auswirken", sagt die frühere Abteilungsleiterin Frauenpolitik im Düsseldorfer Gleichstellungsministerium.

Von 2011 bis 2014 leitete sie zugleich den Runden Tisch Prostitution des Landes: "Menschen in der Prostitution werden illegal arbeiten, damit für Beratung und  Hilfe nicht mehr zugänglich und ungeschützt Gewalt ausgesetzt sein.“ Allen Menschen in der Prostitution von vornherein "einen Opferstatus zuzuweisen", das mache sie zu Objekten und entmündige sie. Aber, so sagt die Juristin, "der Kreuzzug für eine 'Welt ohne Prostitution' passt in eine Zeit, in der die Sehnsucht nach einfachen Lösungen groß ist."

Die Historikerin Sonja Dolinsek, die über die Geschichte der Prostitution promoviert, warnt, dass ein Sexkaufverbot "auch ein Verbot der Regulierung von Prostitution" wäre. Auf Verbotenes habe der Staat keinen Einfluss mehr. Dolinsek sieht aber auch das Rad der Zeit durch ein derartiges Vorhaben zurückgedreht: In den vergangenen Jahrzehnten sei es in Deutschland Konsens gewesen, "dass Strafrecht Selbstbestimmung schützen und keine Partikularmoral aufdrücken, also kein Moralstrafrecht sein soll.

Immerhin handelt es sich bei Prostitution um einvernehmliche Sexualität zwischen Erwachsenen." Ein Verbot für käuflichen Sex würde erneut strafrechtlich bestimmen, sagt Dolinsek, "was akzeptable und was nicht akzeptable Sexualität" sei. Wobei einst die Grenze zwischen ehelichem und nichtehelichem Sex gezogen wurde. "Jetzt würde sie zwischen bezahlt und nicht bezahlt gezogen."

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