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Polens Oppositionsführerin Malgorzata Kidawa-Blonska ruft zum Boykott der Präsidentenwahl am 10. Mai auf.

© Aleksandra Szmigiel/REUTERS

Streit um Polens Präsidentenwahl: Opposition fordert Boykott der Wahl am 10. Mai

Oppositionsführerin Kidawa-Blonska stellt den Wahlkampf ein. Die Regierung besteht auf den Termin, doch Präsident Duda hält sich eine Verschiebung offen.

Kann man in Zeiten des Coronavirus Wahlen abhalten? Nein, sagt Polens Oppositionsführerin Małgorzata Kidawa-Błońska, die Kandidatin des Parteienbündnisses Bürgerkoalition. „Es gibt jetzt in Polen keine andere Aufgabe als den Kampf gegen die Epidemie und ihre Folgen. In diesen Umständen wäre es kriminell, die Präsidentschaftswahl abzuhalten“, betont sie, stellt ihren Wahlkampf ein und ruft zum Boykott auf.

Die Wahl kann „nach heutigem Stand“ wie geplant am 10. Mai stattfinden, entgegnet der Chef der Regierungspartei PiS, Jaroslaw Kaczynski. „Wer das bestreitet, folgt engen persönlichen Interessen und verstößt damit im Kern gegen die Verfassung.“

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Gesundheitsexperten warnen vor einer explosionsartigen Ausbreitung des Coronavirus, wenn viele Bürger an einem Tag in die Wahllokale strömen, um die Stimme abzugeben. Sie verweisen auf entsprechende Erfahrungen bei der Kommunalwahl in Frankreich. Polens Beauftragter für Menschenrechte Adam Bodnar sagt: „Wer Bürger, die wählen gehen, und Mitglieder der Wahlkommissionen ernsten Gesundheitsrisiken oder gar der Lebensgefahr aussetzt, muss mit zivilrechtlichen und strafrechtlichen Konsequenzen rechnen.“

Doch Kaczynskis Gegenangriff, dass der Boykottaufruf mit Kidawa-Blonskas Lage zu tun habe, findet bei vielen offene Ohren. Amtsinhaber Andrzej Duda von der PiS müsste nach einer neuen Umfrage erst gar nicht in eine Stichwahl zwischen den zwei Führenden, sondern würde bereits die erste Runde mit 65 Prozent gewinnen. Das liegt freilich auch daran, dass angesichts der Gefahr des Coronavirus nur 31 Prozent an der Wahl teilnehmen wollen. Würde später abgestimmt, änderte sich das Meinungsbild. Dann würden mehr Polen zur Wahl gehen und Duda läge in der ersten Runde unter 50 Prozent, müsste also in die Stichwahl.

Opposition und Regierungspartei sind gespalten

Die beiden Lager, Regierung und Opposition, sind sich intern nicht einig, ob die Wahl am 10. Mai stattfinden oder ob man sie boykottieren solle. Mitte-Links-Kandidat Robert Biedron spottet, Kidawa-Blonska habe sich mit dem Boykott-Aufruf selbst in den „politischen Ruhestand“ geschickt. Krzysztof Bosak, ein ultrakonservativer Bewerber, nennt ihren Schritt „eine Dummheit“. In der PiS wiederum stehen nicht alle geschlossen hinter Kaczynski, was selten vorkommt. Amtsinhaber Duda hält sich beide Wege offen. Einerseits sagt er: „Wenn die Epidemie weiter tobt und wir dann noch dieselben Beschränkungen der Bewegungsfreiheit haben, können wir, glaube ich, den Wahltermin nicht beibehalten.“ Er fügt aber hinzu: „Ich setze darauf, dass wir die Wahl dann in aller Ruhe abhalten können.“

Darüber hinaus erhebt die Opposition rechtliche Bedenken. Die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit, die der Sejm beschlossen hat, kämen der Verhängung des Ausnahmezustands bei, argumentiert sie. Und Wahlen dürfen nach polnischem Recht erst 60 Tage nach Ende des Ausnahmezustands abgehalten werden. Allerdings hat die Regierung den Ausnahmezustand gar nicht verhängt, sondern sich wie andere Länder mit Kontaktsperren begnügt.

Fragwürdige Änderung des Wahlrechts

Im Rahmen der Corona-Gesetzgebung hat die Regierungspartei PiS zudem das Wahlrecht geändert. Sie hat die Möglichkeiten der Briefwahl erweitert, allerdings vor allem für Wähler über 60: eine Gruppe, in der sie hohe Zustimmung genießt. Und sie hat im Ausland lebende Polen von der Briefwahl ausgeschlossen, möglicherweise auch in der Erwägung, dass die Mehrheit dort Sympathien für die Opposition hat. Die Opposition zögert, diese Maßnahmen zum Streitpunkt zu erheben aus Sorge, die PiS werde ihr dann vorwerfen, mit der Ablehnung des Maßnahmenpakets behindere sie den Kampf gegen die Pandemie.

Polen hat nach wie vor geringe Corona-Zahlen im europäischen Vergleich. Am Dienstagmorgen waren es 2055 Fälle, das entspricht einer Quote von 5,41 pro 100.000 Einwohner - nicht mal ein Zehntel der Ausbreitung in Deutschland (80,65 pro 100.000 Einwohner). 31 Menschen sind an Corona gestorben (Deutschland: 645). Polen führt das darauf zurück, dass es den Reiseverkehr früher und radikaler eingeschränkt hat.

EU-Kommission gibt Leitlinien für Grenzgänger vor

Die PiS-Regierung hält an dieser aus ihrer Sicht erfolgreichen Strategie fest und scheut dabei auch nicht Konflikte mit Deutschland und der EU. Ebenso wie die Tschechische Republik hat Warschau zeitweise Pendler, darunter auch Gesundheits- und Pflegekräfte sowie Erntehelfer, daran gehindert, nach Deutschland zu reisen. Auch die Drohung, wer aus Deutschland zurückkehre, müsse erst einmal für zwei Wochen in häusliche Quarantäne, wirkt abschreckend.

Die EU-Kommission hat am Montag eingegriffen und Leitlinien vorgegeben. Zu den „systemrelevanten Kräften“, die nicht daran gehindert werden dürfen, an ihren Arbeitsplatz in einem anderen EU-Staat zu pendeln, gehören „Beschäftigte im Gesundheitssektor und in der Lebensmittelbranche sowie in der Kinderbetreuung oder Altenpflege, aber auch das Personal in Versorgungsunternehmen“ sowie Polizisten und Feuerwehrleute.

„Saisonarbeitskräfte, insbesondere in der Landwirtschaft“, also auch Erntehelfer, gehören nicht automatisch zu dieser Gruppe unverzichtbarer Arbeitskräfte. Mit Blick auf sie sollen EU-Staaten Informationen austauschen und zu reibungslosen Abläufen kommen.

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