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Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts bei der Urteilsverkündung am Dienstag.

© Uli Deck/dpa

Streit um Platz im Bundestagspräsidium: Warum auch die Karlsruher Richter die AfD durchfallen ließen

Bei Wahlen gibt es keinen Anspruch auf ein bestimmtes Ergebnis, das gilt auch bei der zum Bundestagsvizepräsidenten. Und trotzdem hatte das Gericht Spielraum.

Die AfD ist nach ihren Versuchen im Bundestag auch mit ihrem Versuch vor Gericht gescheitert, die Wahl eines Bundestagsvizepräsidenten aus ihren Reihen durchzusetzen. Das Bundesverfassungsgericht wies am Dienstag Klagen der Fraktion sowie eines ihrer Abgeordneten zurück (Az.: 2 BvE 9/20, Az.: 2 BvE 2/20).

Die Partei ist seit Jahren bemüht, Politiker aus ihren Reihen in das Präsidium des hohen Hauses zu entsenden. Doch die Parlamentsmehrheit lässt ihre Kandidaten regelmäßig durchfallen. In der vergangenen Legislaturperiode betraf das sechs Vorschläge. Zuletzt wurde ein AfD-Mann im vergangenen Dezember abgelehnt.

Der Posten ist nicht einflussreich, dafür aber von großer symbolischer Bedeutung. Die Parlamentspräsidenten stehen weit oben in der Hierarchie der Staatsleitung. In erster Linie ist ihr Job ein organisatorischer. Sie und ihre Stellvertreter leiten die Sitzungen des hohen Hauses und sind zuerst mit Gesetzentwürfen befasst. Hier forderte die AfD Teilhabe.

Von vornherein von der Hand zu weisen war dieser Anspruch nicht. Im Mittelpunkt der beiden Verfahren in Karlsruhe stand die Frage, welche Beteiligungsrechte das Grundgesetz den Parlamentariern bei solchen Wahlen verleiht.

Grundlegend ist dafür Artikel 38, der Mandatsträger als „Vertreter des ganzen Volkes“ definiert. Zugleich bestimmt die Geschäftsordnung des Bundestags, dass jede Fraktion im Präsidium durch einen Vizepräsidenten oder eine Vizepräsidentin vertreten ist. Offen war, welche Bindungen die Vorschriften im konkreten Fall entfalten.

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Im ersten Organstreitverfahren hatte die AfD-Fraktion deshalb verlangt, der Bundestag müsse prozedurale Vorkehrungen treffen, um für sie negative Ergebnisse bei Präsidiumswahlen auszuschließen. Eine solche Pflicht besteht jedoch nicht, entschied jetzt der Zweite Senat unter Vorsitz von Gerichtsvizepräsidentin Doris König per Beschluss. Die Klage sei „offensichtlich unbegründet“.

Zwar hätte Fraktionen als Zusammenschlüsse von Abgeordneten über Artikel 38 ein Recht, an der parlamentarischen Willensbildung mitzuwirken. Dieses Mitwirkungsrecht werde aber durch die in der Verfassung ebenfalls festgeschriebene Wahl des Bundestagspräsidiums wirksam begrenzt.

Der „legitimatorische Mehrwert“ könne anders nicht erreicht werden, so das Gericht

Im Ergebnis stehe das prinzipiell gewährleistete Mitwirkungsrecht unter dem Vorbehalt, dass sich für den vorgeschlagenen Kandidaten tatsächlich eine Mehrheit im Bundestag finde. Das Grundgesetz sehe „ausdrücklich eine Wahl und gerade kein von einer Wahl losgelöstes Besetzungsrecht vor“. Der mit einer Wahl einhergehende „legitimatorische Mehrwert“ könne nicht erreicht werden, wenn es eine „Pflicht zur Wahl eines bestimmten Kandidaten oder einer bestimmten Kandidatin gäbe“.

Die Vorschriften der Bundestags-Geschäftsordnung stehen nach Ansicht des Gerichts damit im Einklang: Bezweckt sei die Repräsentation aller Fraktionen in den Leitungsstrukturen des Parlaments. Allerdings stehe auch diese Vorschrift unter dem Vorbehalt einer tatsächlichen Wahl durch die Abgeordneten. Das so genannte Grundmandat sei nicht als „Anspruch jeder Fraktion auf Stellung eines Vizepräsidenten ausgestaltet, sondern als Recht, einen Abgeordneten zur Wahl zu stellen“.  

Im zweiten Organstreitverfahren hatte der AfD-Abgeordnete Fabian Jacobi geklagt. Er ist der Ansicht, auch als einzelner Mandatsträger losgelöst von seiner Fraktion ein eigenes Vorschlagsrecht zur Wahl eines Bundestagsvizepräsidenten zu haben. Dies hatte ihm das Bundestagspräsidium jedoch verweigert. Auch seine Klage lehnte das Gericht mit einem am Dienstag verkündeten Urteil ab: Zwar erstrecke sich die Mandatsfreiheit aus Artikel 38 auf sämtliche Gegenstände der parlamentarischen Willensbildung, prinzipiell also auch auf die Präsidentenwahl. Es sei aber gerechtfertigt, das Vorschlagsrecht in der Binnenorganisation des Bundestags nur auf die Fraktionen selbst zu beschränken.

Abgeordneten steht es frei, ihre Fraktion zu überzeugen

Die Senatsvorsitzende König begründete dies mit der Geschäftsordnungsautonomie des Bundestags, die gerichtlich nur eingeschränkt zu kontrollieren sei. Zudem sei die Funktionsfähigkeit des Parlaments ein gegenüber den individuellen Beteiligungsrechten gleichwertiges Rechtsgut von Verfassungsrang, das geeignet sei, diese Rechte einzuschränken. Die Betroffenen seien dadurch nicht unangemessen benachteiligt. Einzelnen Abgeordneten stehe es schließlich frei, ihre Fraktion von ihrem eigenen Wahlvorschlag zu überzeugen und ihn dann als Fraktionsvorschlag zu präsentieren.

Der Bundestag habe bei seiner verfassungsmäßig geschützten Selbstorganisation einen weiten Spielraum, hieß es weiter. Das Bundesverfassungsgericht dürfe hier nur eingreifen, wenn dessen Ausgestaltung evident sachwidrig sei.

Im Fall Jacobi lagen dafür keine Anhaltspunkte vor. Die Geschäftsordnung sei zulässigerweise so interpretiert worden, dass Kandidatenvorschläge einzelner Abgeordneter zurückgewiesen werden dürften. Der Eingriff in Jacobis prinzipiell bestehende Beteiligungsrechte sei auch verhältnismäßig, weil die Beschränkung auf ein Vorschlagsrecht für die Fraktionen „interfraktionelle Verständigungs- und Kompromisspotentiale“ erschließen könne.

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