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Fabrikarbeiterinnen in Bangladesh.

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Streit um Lieferkettengesetz: Kann sich die deutsche Wirtschaft Menschenrechte noch leisten?

Die Groko will gegen deutsche Firmen vorgehen, die im Ausland von Kinderarbeit und „moderner Sklaverei“ profitieren. Doch in Coronazeiten wackelt das Vorhaben.

Bei manchen in der SPD-Bundestagsfraktion scheint die Geduld mit dem Koalitionspartner bald am Ende zu sein. „Die spielen auf Zeit“, sagt ein Genosse genervt über die Union. „Die haben vergessen, was in unserem Koalitionsvertrag steht.“

Denn eigentlich war aus SPD-Sicht die Sache schon geklärt: Bis zum Ende der Legislaturperiode sollte es kommen, das „Lieferkettengesetz“ – eine Regelung, die deutsche Firmen auch im Ausland zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet. Ausbeutung im Namen deutscher Verbraucher, zum Beispiel Kinderarbeit in asiatischen Nähwerkstätten, soll damit der Vergangenheit angehören; die „moderne Sklaverei“, wie Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) es nennt, entschieden bekämpft werden.

Doch mit der Corona-Krise scheint das Vorhaben der Groko wieder auf der Kippe zu stehen.

Im Wirtschaftsflügel der Union verweist man auf die neue Lage in der Pandemie, in der viele Unternehmern ums Überleben kämpfen – „nicht der richtige Zeitpunkt“ für strenge Regulierung, heißt es. Eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums betont, „dass wir uns angesichts der Corona-Krise aktuell in einer Rezession befinden und zwar mit Einbrüchen, die die größten in der Geschichte der Bundesrepublik darstellen und viele Unternehmen deutlich belasten“.

Kann sich die deutsche Wirtschaft in der Krise also keine Menschenrechte mehr leisten?

SPD-Mann Raabe: „Wir werden darauf bestehen“

Die Sozialdemokraten wollen das Gesetz „jetzt erst recht“, wie es in der SPD-Fraktion heißt. Gerade die Krise zeige doch, wie wichtig Nachhaltigkeit im Handel sei. „Wir Sozialdemokraten wollen den ehrbaren Kaufmann schützen und Ausbeutern das Handwerk legen, damit Kinder in die Schule gehen können anstatt auf Plantagen und in Bergwerken schuften zu müssen“, sagt Sascha Raabe, entwicklungspolitischer Sprecher der SPD im Bundestag. „Wir werden darauf bestehen, dass der Koalitionsvertrag eingehalten wird und das Lieferkettengesetz kommt!“

Im Koalitionsvertrag hatten Union und SPD zunächst auf die „freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen“ gesetzt. Sollte das nicht ausreichen, wolle man „national gesetzlich tätig werden“ – und auch auf EU-Ebene für eine verpflichtende Regelung trommeln. Dass viele Unternehmen die Einhaltung sozialer Mindeststandards bei der Produktion im Ausland nicht garantieren können, das hat zuletzt eine Untersuchung der Bundesregierung ergeben: Demnach kommen „deutlich weniger als 50 Prozent“ der Firmen „ihrer unternehmerischen Sorgfaltspflicht“ nach. Bedeutet: Sie können nicht ausschließen, dass ihre Produkte von Kinderhänden oder in Zwangsarbeit hergestellt werden.

Sascha Raabe (52) sitzt seit 2002 im Deutschen Bundestag.
Sascha Raabe (52) sitzt seit 2002 im Deutschen Bundestag.

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Die Sozialdemokraten fühlen sich bestätigt von dem Ergebnis der Befragung, das Entwicklungsminister Müller als „enttäuschend“ bezeichnete. Zusammen mit Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) wollte Müller vergangenen Mittwoch die ersten „Eckpunkte“ für das Lieferkettengesetz ins Kabinett einbringen. Die Sache wurde jedoch auf 9. September vertagt. „Die Gespräche laufen noch“, heißt es im Wirtschaftsministerium. Das Ganze zieht sich also, während die Legislaturperiode langsam ihrem Ende zugeht.

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In der SPD kritisiert man vor allem Altmaier als „Bremser“. Ähnlich sehen das Vertreter von Organisationen wie dem Bündnis „Initiative Lieferkettengesetz“. Sie befürchten, Altmaier könnte die geplante Regelung auf Druck der Wirtschaftsverbände verwässern – mit großzügigen Ausnahmeregelungen für Unternehmer oder so geringen Strafen, dass sie wirkungslos bleiben. „Das Gesetz muss klare Sanktionen vorsehen für Unternehmen, die die Regeln missachten“, fordert Cornelia Füllkrug-Weitzel, die Präsidentin von „Brot für die Welt“.

Die Union ist gespalten

Wirtschaftsverbände betonen hingegen, dass eine lückenlose Transparenz der Lieferketten, etwa bei Kaffeebohnen von der kenianischen Plantage bis zum Café in Berlin-Mitte, kaum machbar sei. So argumentiert auch der Chef der „Wirtschaftsweisen“, Lars Feld, der in dem „Lieferkettengesetz“ eine Gefahr für den Wirtschaftsstandort Deutschland sieht. Mit „großem Entsetzen“ blicke er auf das Vorhaben, sagte er kürzlich.

Dem steht ein Bündnis von mehr als 60 Firmen entgegen, darunter Konzerne wie Tchibo und Nestlé, die das Gesetz ausdrücklich fordern – und damit werben, dass ihre Produkte schon jetzt „fair“ gehandelt seien.

Die Union ist in der Sache gespalten. Auf EU-Ebene können sich viele ein „Lieferkettengesetz“ vorstellen, als nationale Regelung nach französischem oder niederländischen Vorbild hingegen weniger.

Volkmar Klein, entwicklungspolitischer Sprecher der Unionsfraktion, zählt zu den Skeptikern: Ein „falsch gemachtes Lieferkettengesetz“ könne deutsche Firmen davon abhalten, im Ausland zu investieren – vor allem in den ärmeren Staaten, wo das Geld dringend gebraucht werde. „Auch besteht die Gefahr, dass ein solches Gesetz es Firmen aus dem Süden erschwert, in den deutschen Markt vorzudringen“, sagt Klein.

Volkmar Klein (60) ist seit 2009 Mitglied des Deutschen Bundestags.
Volkmar Klein (60) ist seit 2009 Mitglied des Deutschen Bundestags.

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Sein FDP-Kollege Christoph Hoffmann sieht das ähnlich: „Es ist zu befürchten, dass durch einen nationalen Alleingang Investitionen in Dritt- und Schwellenländer zurückgehen und sich die dortige wirtschaftliche Lage noch verschärft.“

Entwicklungsminister Müller will das Gesetz trotz der Bedenken von Wirtschaftsleuten und Parteikollegen – wie so oft liegt der CSU-Politiker hier auf einer Linie mit SPD und Grünen. Doch auch andere Unionsleute wie Hermann Gröhe, Vize-Chef der CDU/CSU-Fraktion, sprechen sich dafür aus.

Inzwischen, so heißt es aus Parlamentskreisen, habe auch das Kanzleramt signalisiert, dass Angela Merkel das Gesetz befürworte. Sobald die Ressortabstimmung abgeschlossen sei, komme es ins Kabinett, sagte zuletzt eine Regierungssprecherin.

In der SPD hofft man nun auf eine schnelle Einigung – und will Druck machen. Ansonsten, so sagt einer aus der SPD-Fraktion, könnte man das Thema Kinderarbeit und Menschenrechte ja auch in den Wahlkampf einbringen. Ob das Problem mit den Lieferketten in Corona-Zeiten zum Wahlkampfschlager taugt, ist zwar fraglich. Dass es ein öffentliches Interesse daran gibt, ist allerdings offensichtlich. Die Petition der „Initiative Lieferkettengesetz“ haben jedenfalls mehr als 220.000 Menschen unterschrieben.  

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