zum Hauptinhalt
Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg.

© Christoph Schmidt/dpa

Streit um Grundgesetz und Digitalpakt: Winfried Kretschmann ist sein eigener Guru

Wie der baden-württembergische Ministerpräsident es im Föderalismusstreit schaffte, aus einer verlorenen Position Gewinn zu schlagen. Eine Analyse.

Winfried Kretschmann ist jetzt wieder der grüne Solitär im Kreis der Ministerpräsidenten. Zur Sitzung des Vermittlungsausschusses am Mittwoch hin haben andere die Regie übernommen. Am Abend treffen sich die Vertreter der Länder mit denen des Bundestags, um über die endgültige Form der Grundgesetzänderungen zu beraten, die der Bund mit dem Digitalpakt für die Schulen verknüpft hat.

Kretschmann dürfte der Runde mit einer Mischung aus Anspannung und Gelassenheit entgegensehen. Ohne sein Drängen hätte es dieses Vermittlungsverfahren wohl gar nicht gegeben. Ohne ihn wäre es zu einer Grundgesetzreform mit deutlicheren Veränderungen zu Gunsten des Bundes gekommen. Am liebsten sähe er es natürlich, wenn es gar keine Herumschrauberei an der Verfassung gäbe. Was am Mittwoch herauskommt, wird dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten daher in keinem Fall schmecken. Stimmt er am Ende dennoch zu? Oder stellt er sich konsequent bis zum Ende dagegen?

Kretschmann hat so oder so gewonnen

Die Chance, sich über die Föderalismusdebatte der vergangenen Monate zu profilieren, hat er in jedem Fall genutzt. Als einziger grüner Regierungschef in den Ländern ist er zwar kein geringer Machtfaktor. Aber am Ende ist er immer mit zwei Tatsachen konfrontiert: zum einen der üblichen schwarz-roten Bund-Länder-Blase mit ihren Bund-Länder-Deals, zum anderen mit seinen Grünen im Bund und auch in den anderen Ländern, die deutlich unitarischer gesinnt sind als der nach Wahlergebnissen beste Landespolitiker, den die Partei je hatte.

Eigentlich kann man in dieser doppelt feindlichen Umgebung nur verlieren. Aber Kretschmann ist es gelungen, die Umstände zu nutzen und mit seinem beträchtlichen Eigensinn die Dinge seit dem Sommer zumindest in die Richtung zu lenken, die er für richtig hält. Und die lautet: Starke Länder und möglichst wenig kooperative Bund-Länder-Fummelei. Da mag er keine Kompromisse. Da steht er aber auch ziemlich alleine da. Doch verfassungspolitisch ist Kretschmann sein eigener Guru. Schon in der Föderalismusreform Mitte der Nullerjahre kämpfte er gegen die weitere Aushöhlung der Länderautonomie.

Wutrede im Bundesrat

Der Feldzug des 70-Jährigen gegen alle und jeden in Sachen Verfassungsänderung begann einsam mit einer Wutrede im Bundesrat im vorigen Juli. Da wetterte er ganz grundsätzlich dagegen, dass das Mitfinanzieren von Länder- und Kommunalaufgaben durch den Bund wieder erweitert werden sollte – bei der Bildungsinfrastruktur, dem sozialen Wohnungsbau, beim Regionalverkehr.

Die Kollegen waren leicht irritiert. Einige von ihnen hatten das ja immerhin im Koalitionsvertrag mitunterschrieben. Wo Kretschmann unanständige Einflussnahme und Lenkungsversuche des Bundes wittert, gerade in der Schulpolitik, sehen sie willkommene Geldflüsse aus dem Bundesetat, für die man halt ein bisschen Mitsprache und Kontrolle aus Berlin hinnimmt.

Aber über den Sommer hinweg gelang es Kretschmann, Konsorten zu finden. Der ansonsten eher pragmatische Volker Bouffier in Hessen klinkte sich in die Widerstandsaktion ein, Markus Söder in München machte mit, auch der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer.

Und dann kam noch der Bundestag zu Hilfe

Die wichtigste Beute aber war Armin Laschet, der Düsseldorfer Regierungschef – mit Nordrhein-Westfalen an der Seite hatte die von Kretschmann zusammengeholte Ländergruppe eine Sperrminorität in der Länderkammer. Und dann kam noch der Bundestag zu Hilfe. Zum einen dickte der Haushaltsausschuss, voran der mächtige CDU-Abgeordnete Eckhardt Rehberg, das Paket mit der Pflicht zur hälftigen Kofinanzierung von Bundesprogrammen durch die Länder an. Auch mehr Kontrollmöglichkeiten wurden eingefügt.

Und um Grüne und FDP ins Boot zu bekommen, schließlich ist eine Zweidrittelmehrheit nötig, durften deren Fraktionen – still unterstützt von der SPD - die Finanzhilfen an die Förderung der Qualität und Leistungsfähigkeit des Bildungswesens knüpfen. Für Kretschmann ein Horror.

Nasenring für die Länder

Der Stuttgarter Regierungschef sah darin endgültig den Willen der Bundesseite verwirklicht, den Ländern einen Nasenring zu verpassen, um sie auch schulpolitisch herumführen zu können. Auch hier schlossen sich die Kollegen in der Ministerpräsidentenkonferenz zwar nicht unbedingt seiner dramatischen Auslegung an, aber es reichte im Dezember im Bundesrat für eine Anrufung des Vermittlungsausschusses mit den 69 Stimmen aller Länder. Sechzehn zu null – es war auch Kretschmanns kleiner Triumph.

Im Bundestag hatte man, wie schon bei den Gesprächen für einen neuen Finanzausgleich zwei Jahre zuvor, die Bereitschaft zur Einigkeit in den Ländern unterschätzt. Zudem hatte Kretschmann eine Argumentation etabliert, die sich so leicht nicht aushebeln lässt. Mit dem Digitalpakt für die Schulen stellt der Bund fünf Milliarden Euro für W-Lan, Tablets und anderes zur Verfügung, um die Digitalisierung des Unterrichts voranzubringen.

Indem er aber eine Finanzlücke der Länder proklamiere, die der Bund decken müsse, gestehe er gleichzeitig die Unterfinanzierung der Länder und Kommunen im Bildungssektor ein, so Kretschmanns Logik. Wozu sonst sei eine Finanzhilfe nötig? Eine Unterfinanzierung aber gleiche man nicht über befristete Programme aus, sondern über eine andere Steuerverteilung. Kretschmann pochte auf das Grundgesetz, Artikel 106. Er wolle keine Programmmittel, sondern Steuermittel, lautete seine Losung. Letztere gibt es ohne Bundeseinfluss, erstere eben nicht.

Einsame Linie

Aber diese Linie Kretschmanns hat sich im Vermittlungsverfahren nicht durchgesetzt. Es wird am Mittwoch zu Grundgesetzänderungen kommen, die dem Bund wieder mehr Möglichkeiten der Programmfinanzierung geben. Die Weiterungen, die sich der Bundestag im November ausgedacht hat und die über die Vereinbarungen im schwarz-roten Koalitionsvertrag hinausgingen, werden zwar weitgehend zurückgenommen. Aber der Bund kann, so wie es im schwarz-roten Koalitionsvertrag vorgesehen war, wieder mehr mitbestimmen und darf mehr kontrollieren. Das hat der grüne Solitär nicht beseitigen können.

Ist er nun ein Verlierer? Kretschmann ist Landespolitiker. Seine Bühne ist nicht der Berliner Politikbetrieb, sondern der Südwesten. Und dort hat er gepunktet. Ein halbes Jahr lang hat er die bundesweite Föderalismusdebatte geprägt. In Berlin war und ist sie kein Thema für die großen Schlagzeilen.

Baden-Württemberg schaut etwas anders hin, davon profitierten schon Ministerpräsidenten wie Lothar Späth und Erwin Teufel. Der Südwesten versteht sich als funktionierender Teil Deutschlands. Und den hat Kretschmann verteidigt. Seine Umfragewerte waren zuletzt phänomenal. Bei einer Direktwahl würden sich 59 Prozent der Bürger für ihn entscheiden. CDU-Chef Thomas Strobl, Koalitionspartner und Innenminister, bekäme fünf Prozent. Mit Kretschmann liegen auch die Grünen ungefährdet vorn.

 Aber jetzt kommt Söder

Doch seine Zeit als gefühlter Fähnleinführer zumindest der stärkeren Länder neigt sich dem Ende zu. Die Rolle konnte er auch spielen, weil die natürliche Besetzung verhindert war. Markus Söder musste in München erst einmal seine Position festigen und den Machtkampf in der CSU im vorigen Jahr überstehen, samt Koalitionskrise in Berlin.

Nun kann Söder aber antreten. Vom Herbst an wird er Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz sein. In der Funktion will er ein größeres Rad drehen als bisher. Ein Punkt dabei: Reform des Föderalismus mit dem Ziel, die Eigenständigkeit der Länder zu erhöhen. Jedenfalls der Länder, die autonomer agieren wollen. Söder macht den Kretschmann, sozusagen.

Der weiß, was das heißt. Aber ganz von der Bühne drängen lassen will er sich nicht. „Ich habe in ihm einen großen Verbündeten bekommen, worüber ich sehr froh bin. Da ziehen wir an einem Strang“, sagt Kretschmann mit Blick auf Söders Haltung im Vermittlungsverfahren. Nun will er für künftige Abenteuer die „Südschiene“ aufleben lassen. Dass die Musik dann aber von Stuttgart nach München wandert, kann Kretschmann nicht verhindern. (mit dpa)

Zur Startseite