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Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron kämpft um seine Rentenreform.

© Christian Hartmann/dpa

Streit um Frankreichs Rentenreform: Macron benutzt die Guillotine - weil er keine andere Wahl hat

Frankreichs Staatschef Macron will seine Rentenreform per Dekret durchsetzen. Die Opposition hat sich das selbst zuzuschreiben. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Albrecht Meier

Emmanuel Macron geht bis zum Äußersten. Während am Dienstag Tausende in Frankreich gegen den französischen Präsidenten und seine Rentenreform auf die Straße gingen, zieht der Hausherr im Elysée-Palast das Gesetzesprojekt per Dekret durch. Die Opposition tobt und wirft ihm in polemischer Zuspitzung vor, totalitäre Methoden anzuwenden. Selbst im eigenen Lager, bei der Regierungspartei „La République en Marche“, hat Macrons Griff zum Dekret Irritationen ausgelöst. Aber der Vorwurf, dass der Staatschef zu diktatorischen Mitteln greife, führt dennoch in die Irre.

Zugegeben: In Deutschland wäre es undenkbar, dass eine Regierung das Parlament umgeht, wie es Premierminister Edouard Philippe gerade tut. Aber in Frankreich hat eine Regierung durchaus die Möglichkeit, ein umstrittenes Vorhaben mithilfe des Verfassungsartikels 49.3 ohne Parlamentsbeschluss in Kraft zu setzen. Dass Philippe nun zur parlamentarischen Guillotine greift, hat sich die Opposition selbst zuzuschreiben. Vor allem die Parlamentsabgeordneten der Linkspartei „Unbeugsames Frankreich“ haben die Rentenreform seit dem Beginn der Beratungen vor gut zwei Wochen in der Nationalversammlung torpediert.

Mehr als 40.000 Änderungsanträge im Parlament - das war zu viel

Mehr als 40.000 Änderungsanträge lagen in der Nationalversammlung zur Rentenreform vor. Der Zweck der allermeisten Anträge bestand allerdings nicht darin, den Gesetzestext zu verbessern. Vielmehr ging es Macrons Gegnern darum, die Beratungen monate- oder sogar jahrelang hinauszuzögern. Deshalb ist es verständlich, dass die Regierung diese Obstruktion jetzt beendet.

Macron setzt nun alles daran, die umstrittene Reform vor der Sommerpause unter Dach und Fach zu bringen. Gegen Kritik am beschleunigten Parlamentsverfahren ist er allein schon deshalb gefeit, weil er aus seinem festen Willen nie einen Hehl gemacht hat, das französische System zur Alterssicherung mit den 42 verschiedenen Spezialregimen für einzelne Berufsgruppen zu reformieren. Alle, die Macron vor knapp drei Jahren zum Präsidenten wählten, konnten wissen, dass er es mit dem Vorhaben ernst meint. Anders als sein Amtsvorgänger Nicolas Sarkozy, der 2010 das Renteneintrittsalter von 60 auf 62 Jahre heraufsetzte und damit seine Landsleute kalt erwischte, hat Macron seinerzeit im Wahlkampf seine Reformagenda klar benannt.

Das bestehende Rentensystem ist nicht mehr haltbar

Wenn sich die Regierung einen Vorwurf gefallen lassen muss, dann den, die Bürger im Einzelfall über die konkreten Folgen der geplanten Umstellung auf ein Punktesystem im Unklaren zu lassen. Nach wie vor ist eine Mehrheit der Franzosen gegen die Reform. Kein Wunder: Wer nicht genau weiß, wie sich eine Reform im eigenen Geldbeutel auswirkt, hält man im Zweifel am Bekannten fest. Dabei ist das alte System – und da hat Macron völlig Recht – nicht mehr haltbar. Die bestehende Regelung ist aus vielerlei Gründen ungerecht. Dazu zählt die Tatsache, dass im öffentlichen Dienst und im Privatsektor bisher völlig unterschiedliche Grundlagen für die Rentenberechnung gelten. Das Punktesystem für alle soll dies nun ändern.

Das Parlament in Frankreich hat versagt

Doch derartige Argumente gehen in der aufgeheizten Diskussion in Frankreich derzeit unter. Normalerweise sollte das Parlament der Ort sein, wo sich unterschiedliche Interessen bündeln und am Ende sachorientierte Entscheidungen gefällt werden. Im Fall der Rentenreform hat die Nationalversammlung in Paris versagt.

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