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Ab 2021 soll es die Grundrente geben.

© dpa

Streit um die Grundrente: Warum die Einkommensprüfung fallen muss

Die Grundrente ist nicht perfekt, aber ein Startpunkt für weitere Reformen. Sie muss kommen, aber ohne die Einkommensprüfung. Ein Gastbeitrag.

Inmitten sehr spät und sehr leise aufkommender Zwischenrufe von Müttern, die Politik möge sich in Zeiten von Corona doch endlich auch um sie und ihre Kinder kümmern, neue Konzepte für die Kinderbetreuung und die Beschulung von Kindern erarbeiten und den Eltern damit etwas Raum, Luft und Freiheit geben, platzte neuer politischer Disput um die Grundrente. Dafür, so hieß es in vielen politischen Kreisen, fehle doch nun wirklich das Geld.

Wichtigeres stünde auf der Agenda: Die Rettung der Deutschen Bahn, der Lufthansa, ja der Wirtschaft Deutschlands und Europas. Alle finanzielle Kraft müsse nun den nationalen und europäischen Wirtschaftshilfen und Konjunkturpaketen gelten.

Das war und ist bitter, für viele Mütter aber auch nachgerade zynisch. Wiederholt sich die Geschichte? Waren ihre Mütter und Großmütter nicht ebenso über Jahrzehnte erwerbstätig gewesen, aufgrund hoher Belastungen durch die Erziehung von Kindern, die Pflege von Angehörigen, das Ordnen des Haushaltes allerdings selten in Vollzeit, noch seltener in gut bezahlten Berufen und leitenden Positionen?

Wurden und werden sie nicht auch übersehen, mit Bruttoaltersrenten, die nach mehr als 35 Jahren sozialversicherungspflichtiger Erwerbstätigkeit oft unter dem Grundsicherungsbedarf von 897 Euro im Monat liegen? Die Sorge der heutigen Mütter ist berechtigt: Ähnliches kann durchaus auch ihrer Generation widerfahren.

Ein Leben lang gearbeitet, aber die Rente bleibt klein

Fakt ist, dass immer mehr Menschen, die Jahrzehnte lang eingezahlt, Kinder betreut und Angehörige gepflegt haben, eine Rente erhalten, welche nicht wesentlich höher ist – oder sogar geringer ausfällt – als die Grundsicherung. Sie bekommen somit im Alter nicht mehr Geld, als wenn sie überhaupt nicht in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt hätten.

Nach hartem Ringen hatte sich die Koalition vergangenes Jahr schließlich darauf geeinigt, all jenen eine Grundrente zu gewähren, die mindestens 33 Versicherungsjahre gesammelt haben und im Alter trotzdem eine geringe Rente erhalten. Die Grundrente soll die Bruttoaltersrenten mindestens 10 Prozent über den Grundsicherungsbedarf heben. Das hierfür veranschlagte Budget ist im Vergleich zu anderen Ausgaben moderat.

Bis 2025 geht es um ein Volumen von jährlich zwischen 1,3 und 1,6 Milliarden Euro, das sind gerade einmal 0,4 Prozent der Rentenausgaben. Zum Vergleich: Die Zahlungen liegen bei weniger als einem Fünftel der Staatshilfen für die Lufthansa.

Die Einkommensprüfung würde viel kosten

Streit gab es dennoch um die Frage, welche Bedingungen über die Wartezeit hinaus an die Auszahlung der Grundrente geknüpft werden sollten. Das Bild der Zahnarztgattin machte die Runde, deren eigene Altersrente aufgestockt werden solle. Bis heute wissen wir nicht, ob es diese Zahnarztgattin überhaupt gibt. Wahrscheinlich ist sie eine Chimäre.

Auf Druck der CDU/CSU-Fraktion einigte man sich dennoch auf eine Einkommensprüfung. Die Kosten dieser Prüfung sind erheblich und machen mit knapp 186 Millionen Euro jährlich fast 94 Prozent der gesamten Verwaltungskosten für die Grundrente aus. Es ist somit alles andere als unwahrscheinlich, dass der Aufwand der Einkommensprüfung am Ende über ihrem Ertrag liegen könnte. Die Grundrente mit Einkommensprüfung würde den Steuerzahler also zusätzlich belasten.

Arbeitsminister Hubertus Heil. Die Grundrente ist sein Projekt.
Arbeitsminister Hubertus Heil. Die Grundrente ist sein Projekt.

© imago images/Christian Spicker

Zudem ist zu bedenken, dass bei der Mütterrente, die seit März 2019 allen Frauen zukommt, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, auf die Einkommensprüfung verzichtet wurde. Dies gilt auch für die abschlagsfreie Rente mit 63 Lebensjahren, welche Versicherten zusteht, die 45 Versicherungsjahre aufweisen. Beide Renten zusammen kosten jährlich knapp das Zehnfache der Grundrente.

Fehlende Fachkräfte im öffentlichen Dienst

Doch es spricht noch mehr gegen die Prüfung der Einkommen, denn für sie braucht es Fachkräfte, die wir eigentlich gar nicht haben. Die demografische Entwicklung zeigt: Mehr als jede oder jeder vierte Beschäftigte im öffentlichen Dienst ist älter als 55 Jahre, sodass in den nächsten Jahren mit einer Vielzahl von Pensionierungen und Rentenzugängen zu rechnen ist.

Zudem benötigen wir gerade in diesen Zeiten stark gestiegener Anforderungen an unseren Sozialstaat ausgebildete Fachkräfte an vielen anderen Stellen, für die Bearbeitung von Arbeitslosengeld, Kurzarbeitergeld, Zuschüssen, Finanzhilfen. An allen Ecken und Enden muss es schnell gehen. Die Menschen brauchen die sozialen Transfers für ihr Überleben.

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Die Einkommensprüfung sollte fallen, an der Grundrente aber darf nicht gerüttelt werden. Sie erfüllt eine gerade in diesen Zeiten wichtige soziale Komponente, schließt ein wenig den riesigen Abstand zwischen dem Unten und Oben im Alterseinkommen.

Sie flaggt, dass man sich auf unsere Regierung verlassen kann, diese nicht hinter getroffene Kompromisse zurückfällt. Und zeigt Respekt vor den Leistungen insbesondere der Mütter, die aus vielen Gründen dem Arbeitsmarkt nicht in dem Maße zur Verfügung stehen können wie die Väter. Das war früher so, in diesen Monaten sehen wir, dass sich daran wenig geändert hat.

Grundsätzliche Überarbeitung der Rentenversicherung bleibt unerlässlich

Statt langer weiterer Querelen sollten wir uns zügig an die großen Zukunftsaufgaben machen. Es muss bei der gesetzlichen Rentenversicherung darum gehen, die Armutsfestigkeit der Rente zu erhöhen, die finanzielle Stabilität zu gewährleisten und die Umverteilung zwischen den Generationen zu minimieren.

Eine grundsätzliche Überarbeitung unserer gesetzlichen Rentenversicherung, welche die Interessen aller Generationen gleichermaßen berücksichtigt, ist angesichts des demografischen Umbruchs unerlässlich.

Die Grundrente könnte ein erster Schritt in diese Richtung sein. Durch sie fallen die Beitragszahlungen gegenüber den steuerfinanzierten Bundeszuschüssen weiter zurück. Rentenentgeltpunkte werden unterschiedlich gewichtet.

Diese Entwicklung könnte in einer progressiven Gewichtung der Rentenentgeltpunkte münden und die Sinnhaftigkeit einer Beitragsbemessungsgrenze innerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung weiter hinterfragen.

Nein, die Grundrente ist bei weitem nicht perfekt. Sie kann aber als Startpunkt für weitere Reformen gelten und war nach langem Ringen der Minimalkonsens der großen Koalition. Viele Menschen brauchen sie und vertrauen darauf, dass sie nun wie geplant kommt.

Über die Autoren: Prof. Dr. h.c. Jutta Allmendinger, Ph.D. ist Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB). Joshua Perleberg ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsgruppe der Präsidentin am WZB.

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