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Streit um den Tempelberg: Israel lenkt ein - Muslime wollen dennoch protestieren

Israel baut die Metalldetektoren auf dem Jerusalemer Tempelberg nun doch ab und will sie durch neue Überwachungsmethoden ersetzen. Doch die Proteste gehen weiter.

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Wieder ist sie an diesem Dienstagmittag an das Löwentor vor dem Tempelberg gekommen. Der Kampf sei schließlich noch nicht zuende, sagt Maham Junis. Die 40-Jährige gehört zu den etwa 80 Frauen mit Kopftüchern und langen Gewändern, die in der Mittagssonne stehen und über Israels geplante neue Sicherheitsvorkehrungen schimpfen: „Jetzt haben sie diese Kameras, mit denen sie uns nackt sehen können. Das hier ist kein Flughafen, kein Einkaufszentrum, sondern ein heiliger Ort. Deshalb werden wir weiter hier protestieren, bis alles verschwunden ist, was uns erniedrigt.“

Mahan, eine Englischlehrerin aus einem Dorf nahe Haifa, ist seit vergangener Woche fast jeden Tag nach Jerusalem gefahren. Sie hat Frauen aus den Nachbardörfern zusammengetrommelt und einen Bus organisiert. 40 sind heute mit ihr angereist, um aus Protest vor dem Tempelberg zu beten. „Mit unserem Blut und mit unserer Seele werden wir Al Aksa befreien“, rufen die Frauen. Diese Worte sind rund um das Heiligtum schon seit mehr als einer Woche zu hören. Sie machen deutlich: Die Wut der Muslime hat sich längst noch nicht gelegt.

"Raffinierte Technologien"

Dabei hatte es am Abend zuvor noch so ausgesehen, als könnten sich die Spannungen legen. Nachdem Israel zunächst die diplomatische Krise mit Jordanien gelöst hatte und den in Amman festsitzenden Wachmann sowie die restlichen Diplomaten zurück nach Israel bringen konnte, folgte in der Nacht zu Dienstag die Entscheidung des Sicherheitskabinetts: Israel wird die Metalldetektoren entfernen, die zu Krawallen und blutigen Angriffen geführt hatten. „Raffiniertere Technologien“ sollen sie in Zukunft ersetzen.

Der Inlandsgeheimdienst Schin Bet und die Armee hatten schon vergangene Woche vor einer Eskalation gewarnt, sollten die Metalldetektoren unverändert stehen bleiben. Diese hatte Israel aufgestellt, nachdem zuvor zwei israelische Polizisten auf dem Tempelberg von muslimischen Angreifern getötet worden waren. Nach den Freitagsgebeten gab es dann schwere Zusammenstöße mit israelischen Polizisten. Fünf Palästinenser kamen dabei ums Leben. Ein arabischer Attentäter wiederum erstach drei Israelis in einer jüdischen Siedlung, am Montag verletzte ein Palästinenser mit einem Messer einen Israeli nahe Tel Aviv.

Kurze Freude

Nach der Entscheidung des Sicherheitskabinetts begann Israel noch in der Nacht zum Dienstag, die Metalldetektoren abzubauen, ebenso die Sicherheitskameras, die in den vergangenen Tagen zusätzlich an den Eingängen aufgebaut worden waren. Als Kinan Abbasi davon erfuhr, zögerte er nicht lange und kam mit seinen Brüdern und Cousins sofort an das Löwentor, um zu feiern. „Wir kamen gegen ein Uhr und blieben bis um vier.“ Wenig geschlafen habe er. Auch seiner Arbeit als Physiotherapeut gehe er derzeit nur noch begrenzt nach. „Es ist für Al Aksa, darum ist es okay“, sagt der junge Jerusalemer mit hellrotem T-Shirt.

Fast wie früher. Muslime können jetzt wieder den Jerusalemer Tempelberg besuchen, ohne Metalldetektoren passieren zu müssen.
Fast wie früher. Muslime können jetzt wieder den Jerusalemer Tempelberg besuchen, ohne Metalldetektoren passieren zu müssen.

© Ronen Zvulun/Reuters

Doch die Freude währte nur kurz. Kinan Abbasi ist an diesem Dienstag um halb zwölf Uhr schon wieder an den heiligen Ort geeilt – dieses Mal, um wieder aus Protest vor dem Tempelberg zu beten. Seinen grünen Gebetsteppich hat er über die linke Schulter geworfen, darauf ist der Felsendom abgebildet, wie er wenige hundert Meter von hier mit seiner goldenen Kuppel auf dem Tempelberg steht.

Wie die anderen Muslime ist Kinan Abbasi verärgert. „Mit den neuen Kameras werden sie uns nackt sehen können, das ist aber ein heiliger Ort.“ Muslime werden nackt zu sehen sein – so lautet ein Gerücht, das unter den Muslimen kursiert. Wie die neuen Sicherheitsmaßnahmen tatsächlich aussehen werden, ist von offizieller israelischer Seite bisher allerdings noch gar nicht bekannt gegeben worden.

Israelische Medien berichteten von speziellen Sicherheitskameras, die Passanten durchleuchten und mit denen festgestellt werden kann, ob jemand eine Waffe bei sich trägt. Nacktscanner? So sehen es zumindest die Muslime auf der Straße. Die Waqf, jene Organisation, die den Tempelberg verwaltet, teilte mit, eine Entscheidung über die Fortführung des Boykotts hänge von einer Begutachtung der geplanten israelischen Maßnahmen ab.

Im Alleingang

Nur: Israels Sicherheitskabinett hat offenbar die Entscheidung über „kluge Methoden“ der Überwachung im Alleingang getroffen – also ohne Absprache mit der Waqf. Der Status quo sieht vor, dass die islamische Behörde den Tempelberg verwaltet und Israel für die Sicherheit zuständig ist. Veränderungen sollten folglich abgesprochen werden. Wenn dies nicht geschieht, sehen Muslime darin eine Verletzung des Status quo. Wie die Waqf entscheidet, wird sich in den kommenden Tagen zeigen. Die Menschen auf der Straße aber sagen schon heute, sie wollen überhaupt keine neuen Maßnahmen akzeptieren.

Nach Shimon Steins Einschätzung hätte es zu dem Konflikt ohnehin überhaupt nicht kommen müssen. Der Polizei und den Sicherheitsdiensten sei zwar kein Vorwurf zu machen. „Aber der Regierung Netanjahu. Denn die aktuelle Krise am Tempelberg ist eine Krise mit Ankündigung“, sagte der Nahostexperte und frühere israelische Botschafter dem Tagesspiegel.

Experte Stein: Chance für Dialog

„Ohne über mögliche Auswirkungen nachzudenken, sind falsche Entscheidungen getroffen worden. Das war ein Armutszeugnis.“ So habe man es auf israelischer Seite versäumt, sich mit der Waqf-Behörde, die das heilige Gelände beaufsichtigt, auszutauschen. Auch Jordanien als für das islamische Heiligtum verantwortliche Land sei nicht konsultiert worden. „Dass die Metalldetektoren aus Sicht der Muslime den Status quo ändern, lag auf der Hand. Der Konflikt war damit vermeidbar, ja, überflüssig."

Dass nun die Metalldetektoren abgebaut werden, wertet Stein denn auch als richtigen und wichtigen Schritt, der die Gemüter beruhigen könnte. Überhaupt berge die derzeitige Situation die Chance für einen Dialog. „Denn im Hintergrund haben arabische Staaten wie Jordanien, Ägypten und Saudi-Arabien versucht, die Krise zu entschärfen. Darauf kann Israel aufbauen, um auch andere Fragen möglichst einvernehmlich zu klären.“

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