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Der türkische Kunstmäzen und Bürgerrechtler Osman Kavala.

© dpa

Streit um den Kunstmäzen Osman Kavala: Tag der Entscheidung

Wenn die Türkei den Regimekritiker Kavala nicht freilässt, droht der Rausschmiss aus dem Europarat.

Die Türkei steht vor einer Entscheidung von historischer Tragweite. An diesem Freitag geht es bei einer Gerichtsverhandlung in Istanbul um die Freilassung des Kulturförderers Osman Kavala, der seit vier Jahren ohne Urteil im Gefängnis sitzt. Wenn Kavala dort bleiben muss, will der Europarat kommende Woche ein Ausschlussverfahren gegen Ankara anstoßen.

Die Türkei könnte dann als erstes Land in der mehr als 70-jährigen Geschichte des Europarats aus der Organisation geworfen werden. Entscheidend wird sein, ob Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan der türkischen Justiz grünes Licht für die Freilassung von Kavala gibt.

Einige Beobachter erwarten, dass er nachgibt. Sicher ist das nicht: Erst im Oktober wollte der Präsident zehn westliche Botschafter aus dem Land werfen, weil sie sich für Kavala eingesetzt hatten.

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Als Zusammenschluss von 47 Staaten wacht der Europarat über die Einhaltung der Menschenrechte in einem Gebiet mit mehr als 800 Millionen Menschen. Mitgliedstaaten wie die Türkei sind verpflichtet, Urteile des Menschenrechtsgerichtshofes in Straßburg umzusetzen.

Die Türkei weigert sich aber, Kavala freizulassen, obwohl das Straßburger Gericht schon 2019 dessen Entlassung aus der Haftangeordnet hatte.

Erdogan nennt Kavala den „roten Soros“. Als Statthalter des Milliardärs und Demokratie-Aktivisten George Soros habe Kavala in der Türkei am Sturz der Regierung gearbeitet. Der Präsident wirft Kavala vor, die Gezi-Unruhen von 2013 gelenkt zu haben und am Putschversuch von 2016 beteiligt gewesen zu sein.

Erdogan versucht, das Gesicht zu wahren

Weil die türkische Justiz bei politischen Prozessen den Weisungen der Regierung unterliegt, finden Richter und Staatsanwälte trotz des Straßburger Urteils immer neue Vorwände, um Kavala in Haft zu halten. Nachdem Erdogan ihn kürzlich erneut beschimpfte, kündigte Kavala an, künftig nicht mehr am Verfahren gegen ihn teilzunehmen.

Es sei sinnlos für ihn, vor Gericht zu erscheinen, weil es wegen der Vorverurteilung durch den Präsidenten keine Chance auf ein faires Verfahren gebe.

Bisher lässt Erdogan keine Kompromissbereitschaft erkennen. Ob er für den Rauswurf der Türkei aus dem Europarat verantwortlich sein will, ist allerdings offen. Die Türkei ist erst das zweite Land, dem der Europarat mit Ausschluss droht; Aserbaidschan entging der Suspendierung vor zwei Jahren, weil das Regime in Baku einen Regierungskritiker freiließ.

Der Wirtschaftsexperte und Kolumnist Evren Devrim Zelyut rechnet damit, dass Erdogan im Fall Kavala aus wirtschaftlichen Gründen einlenken wird. In der Zeitung „Yeni Cag“ erinnerte Zelyut an den Fall des US-Pastors Andrew Brunson, der 2018 auf Druck der USA in der Türkei aus der Haft entlassen wurde.

Damals habe die türkische Regierung mit der Freilassung des Geistlichen eine Währungskrise entschärft: „Jetzt werden sie dasselbe machen“, sagte Zelyut mit Blick auf den Fall Kavala voraus. Auch derzeit ist die Lira gegenüber Dollar und Euro im Sinkflug.

Für Erdogan wäre eine Freilassung des Bürgerrechtlers auf Druck aus Europa eine persönliche Niederlage. Deshalb hat Devlet Bahceli, der rechtsgerichtete Partner von Erdogan im Parlament von Ankara, einen Ausweg ins Spiel gebracht, mit dem der Präsident das Gesicht wahren könnte: Bahceli schlägt vor, Kavala aus dem Gefängnis zu holen, auszubürgern und aus dem Land zu werfen.

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