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Henkerstrunk. Das Betäubungsmittel Natrium-Pentobarbital und ein Glas Wasser in einem Zimmer der Zürcher Dignitas.

© DPA

Streit um assistierten Suizid: Wie heilig ist das Leben?

Die evangelische Kirche öffnet sich für die Selbstbestimmung von Sterbewilligen. Damit überrumpelt sie auch die Katholiken. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Als hätten die Kirchen nicht schon genügend Probleme. Da diskutieren die Protestanten und die Katholiken untereinander und miteinander durchaus streitig, wie offen die Kirchen in der Coronakrise sein können, wie viel Präsenz – nicht nur des Göttlichen – angesichts der Infektionszahlen erlaubt ist. Jetzt geht es auch noch um den sogenannten assistierten Suizid, ein Thema, das die ganze Gesellschaft aufwühlen kann.

Nach dem Verfassungsgerichtsurteil vor einiger Zeit gibt es in der evangelischen Kirche Bestrebungen, Menschen, die aus dem Leben scheiden wollen, Begleitung in den Einrichtungen anzubieten, die von Protestanten getragen werden. Der jüngster Vorstoß: ein gemeinsamer Essay des Vorsitzenden der Kammer für öffentliche Verantwortung der EKD, dem Ethikprofessor Rainer Anselm, und dem Präsidenten des Sozialwerks der Evangelischen Kirchen, der Diakonie, Pfarrer Ulrich Lilie. Unterschrieben ist das Stück mit dem Titel „Den assistierten Suizid ermöglichen“ unter anderen vom Hannoverschen Landesbischof Ralf Meister.

Die Katholiken voran sind von diesem Vorstoß überrascht worden – und entsprechend der Stoßrichtung höchst beunruhigt. Dass kirchliche Einrichtungen aus Respekt vor der Selbstbestimmung eines Sterbewilligen den Suizid begleiten, also unterstützen sollen, erfüllt sie mit Sorge, bestürzt sie sogar. Zumal sich die katholische Bischofskonferenz bisher darin einige wusste mit dem Vorsitzenden des Rates der EKD, Bischof Heinrich Bedford-Strohm.

Verfassungsgerichtt gegen kirchliches Lehramt

Nun droht sowohl eine Auseinandersetzung unter den Protestanten als auch mit den Katholiken. Denn hier wie dort sind etliche unverändert strikt dagegen, dass der Autonomiebegriff des Verfassungsgerichts gleichsam zu einem lehramtlichen Dokument der Kirchen wird.

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Der Streit wird bald in aller Schärfe darum gehen: Ist der Mensch von Gott aufgerufen, auch sein eigenes Leben zu heiligen, muss Kirche ihm helfen, so es irgend geht, Lebensmüdigkeit zu überwinden. Kann Beratung da ergebnisoffen sein? Kann Selbsttötung ein quasi „normaler“ Vorgang für ein Lebensende werden, mit Hilfe der Kirche?

In der evangelischen zumal rumort es. Es wird politisch werden: Im Mittelmeer und in der Coronakrise soll jedes Leben gerettet werden, ist jedes heilig, aber das des Lebensmüden nicht? EKD-Chef Bedford-Strohm steht zum Ende seiner Amtszeit vor einer großen Herausforderung.

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