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Ein Landarzt nimmt sein Stethoskop aus dem Koffer.

© Oliver Berg/dpa

Streit über Medizinstudium in Polen: Deutsche Bürokratie verschärft Ärztemangel auf dem Land

Gerade in Brandenburg werden Ärzte gesucht - doch deutsche Medizin-Absolventen aus Polen erhalten die Approbation nicht. Grund ist eine EU-Richtlinie.

In keinem Bundesland fehlen Ärzte so akut wie in Brandenburg. Auf einen märkischen Mediziner kommen 250 potenzielle Patienten; ein Arzt in Berlin versorgt statistisch gesehen 156 Einwohner. Die Brandenburger Regierungen der vergangenen 20 Jahre warnten immer wieder vor dem „Ärztemangel“ – auch die neue Brandenburger Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) kennt die Zahlen.

Deshalb ärgert Mediziner und Landespolitiker die behördliche Zulassungspraxis. Vorwurf: Gut ausgebildete, junge Ärzte erhalten trotz der Not keine Approbation.

"Wir könnten sofort fünf Mediziner einstellen"

„Wir könnten sofort fünf Mediziner einstellen, die bei uns arbeiten wollen und die wir dringend brauchen“, sagte Rüdiger Heicappell, Ärztlicher Direktor der Asklepios-Klinik in Schwedt. „Die Bundesregierung müsste polnische Abschlüsse so umstandslos anerkennen wie das in den anderen Ländern Europas geschieht.“

Seit Jahren ist es üblich, dass deutsche Studenten an polnischen Hochschulen nicht nur die englischen Vorlesungen besuchen, sondern ihr Medizinstudium abschließen. Studenten wurden, wenn sie nach Deutschland zurückkehrten, meist umgehend approbiert. In Brandenburg ist das Landesamt für Arbeitsschutz, Verbraucherschutz und Gesundheit (LAVG) zuständig, Basis die EU-Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen. Ärzteverbände, Kliniken und Fachpolitiker stufen das polnische und das deutsche Medizinstudium als gleichwertig ein. Tausende Polen und Bundesbürger, die in Polen studiert haben, arbeiten in Deutschlands Kliniken und Praxen.

Wie soll EU-Richtlinie 2005/36/EG ausgelegt werden?

Doch im April wurde die EU-Richtlinie modifiziert: Nun wird gestritten, wie „2005/36/EG“ auszulegen sei. Das Brandenburger LAVG sagt, Deutsche, die in Polen studierten, benötigten die polnischen Qualifikationen „Lek“ und „Stasz“, wenn sie in der Bundesrepublik approbiert werden wollen.

Das „Lek“ ist ein nach dem absolvierten Studium abzulegendes Examen, das zur Berufsausübung in Polen berechtigt; „Stasz“ bescheinigt 13 Monate erfolgreiches Praktikum – beides sind Titel, die bislang nur im polnischen Gesundheitswesen gebraucht wurden. In einem Schreiben des Gesundheitsministeriums aus Warschau an deutsche Zulassungsbehörden, das dem Tagesspiegel vorliegt, heißt es: „Lek“ und „Stasz“ seien keine Voraussetzung für die Berufsbezeichnung „Arzt“ – sondern nur für die Berufspraxis in Polen nötig.

Das Gesundheitsministerium in Potsdam teilte mit, man wolle das Problem zügig lösen und stehe „im intensiven Austausch“ mit allen Beteiligten – dem Bundesgesundheitsministerium und den polnischen Amtskollegen. Alle Bundesländer legten die EU-Richtlinie derzeit so wie Brandenburg aus.

Polnisches und deutsches Studium gleichwertig

„Wir brauchen Ärzte“, sagte Mike Bischoff, SPD-Landtagsabgeordneter aus Schwedt. „Ich fordere Landes- und Bundesregierung auf, die Auslegungsfrage in diesem bürokratischen Dickicht umgehend zu klären.“

Der Asklepios-Konzern – der Kliniken in Schwedt, Pasewalk, Lübben und Brandenburg (Havel) betreibt – kooperiert seit 2013 mit der Pommerschen Medizinischen Universität im polnischen Stettin. Dort werden pro Jahr 100 Studenten im englischsprachigen Studiengang ausgebildet: Deutsche, Briten, Schweden. „Wir beschäftigen in Schwedt seit langem Ärzte, die in Stettin ausgebildet worden sind“, sagte Heicappell. „Die dortige Ausbildung ist der an einer deutschen Hochschule absolut gleichwertig.“

Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (vierte von links) beim Vorstellen der Brandenburger Landesregierung im November.
Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (vierte von links) beim Vorstellen der Brandenburger Landesregierung im November.

© Monika Skolimowska/dpa

Der Berliner Anwalt Jörg Heynemann ist Vater eines betroffenen Studenten. Sein Sohn habe im Juni dieses Jahres seine Abschlussprüfung in Stettin bestanden, das vorgeschriebene „praktische Jahr“ in der Schwedter Klinik und einem Berliner Krankenhaus absolviert – und sei nun trotzdem nicht als Arzt zugelassen. Heynemann, der auf Medizinrecht spezialisiert ist, sagte: Sollte sich die Zulassungsstelle nicht bewegen, erwäge er Verwaltungsklage einzureichen. Denn die polnischen Abschlüsse würden in den EU-Ländern Großbritannien und Schweden nach wie vor anerkannt.

Brandenburger Landesregierungen hatten auf vielerlei Wegen versucht, Ärzte anzulocken. Insbesondere in den Dörfern drohen Praxen zu schließen, schon heute sind zahlreiche Niedergelassene im Rentenalter. Während im Bundesschnitt auf einen Praxisarzt 680 Einwohner kommen, sind es in Brandenburg 733.

Unter der noch im Oktober regierenden Gesundheitsministerin Susanna Karawanskij (Linke) wurde ein Landärztestipendium eingeführt. Bis 2021 können pro Semester 25 Studenten ein monatliches Stipendium in Höhe von 1000 Euro erhalten, wenn sie sich verpflichten, nach ihrer Ausbildung fünf Jahre lang als Landärzte in Brandenburg zu bleiben.

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