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Legal oder illegal? Die Suche nach brauchbaren Lebensmitteln im Abfall eines Supermarkts

© imago/Sabine Gudath

Straffreiheit für Containern?: Ein Verbrechen oder eine Frage der Nachhaltigkeit

Die Linke will, dass Menschen straffrei Lebensmittel aus Müllcontainern von Supermärkten sammeln dürfen. Das Thema ist im Bundestag sehr umstritten.

Der Tatort liegt in Olching, etwa 20 Kilometer westlich von München. In der Nacht öffnen Caro und Franzi das Schloss eines Müllcontainers, der dem örtlichen Supermarkt gehört. Die Beute der Studentinnen: Joghurt, Obst, Gemüse. Lebensmittel, die in der Tonne landen sollten. Eine Polizeistreife entdeckt sie. Sie sagen, sie wollten das Essen retten. Das Amtsgericht in Fürstenfeldbruck spricht sie Ende Januar wegen gemeinschaftlichen Diebstahls schuldig, sie sollen jeweils 225 Euro zahlen, wenn sie in den nächsten zwei Jahren sich nochmal etwas zu schulden lassen kommen und jeweils acht Stunden Sozialarbeit bei einer Lebensmitteltafel.

Draußen vor dem Gericht wird an dem Tag der Urteilsverkündung  mit Botschaften wie  "Kein Essen in die Tonne" und "Containern ist kein Verbrechen" demonstriert. Es geht um Grundsätzliches. 18 Millionen Tonnen Lebensmittel landen in Deutschland jedes Jahr im Abfall – auch direkt aus den Verkaufsregalen der Supermärkte. Berechnet hat den Wert das Institut für nachhaltige Ernährung der Fachhochschule Münster für die Umweltorganisation WWF.

Bis 2030 soll der Lebensmittelmüll in Deutschland halbiert werden. So sieht es die nationale Strategie zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung vor, die das Kabinett im Februar beschlossen hat. Wer containert kämpft gegen die Lebensmittelverschwendung, findet die Linke. Müssen Staatsanwaltschaften diese Menschen verfolgen?

Kaum Aussicht auf Erfolg

Der Fall in Fürstenfeldbruck sei skandalös, findet die Bundestagsfraktion der Linken. Deren Abgeordneter Niema Movassat will die Debatte um Lebensmittel aus Müllcontainern nun im  Parlament debattieren. Movassat sagt, den Menschen gehe es nicht darum, Supermärkte zu bestehlen. Sondern um Nachhaltigkeit. „Diesen Motiven mit dem ‚scharfen Schwert des Strafrechts‘ als letztes Mittel staatlichen Zwanges zu begegnen, ist ungerecht und unnötig“, heißt in dem Antrag seiner Fraktion.

Der Vorstoß hat aber kaum eine Chance – auch wenn sich alle Parteien von Grünen bis zur AfD einig sind, dass der Lebensmittelmüll reduziert werden muss. Aus dem Landwirtschaftsministerium heißt es, neben dem Verstoß gegen das Eigentumsrecht sei aus gesundheitlichen Gründen ohnehin davon abzuraten, Lebensmittel aus Müllcontainern zu verzehren. Das Ziel des Ministeriums: Lebensmittelabfälle reduzieren,  bis das Containern überflüssig wird.

Die durchaus empörende Praxis, noch für den Verzehr geeignete Lebensmittel zu entsorgen, muss vom Gesetzgeber, für Gewerbebetriebe verpflichtend, verboten werden.

schreibt NutzerIn Lanarkon

Auch der Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels lehnt es ab, das zu legalisieren. Die Lebensmittelabfälle seien Eigentum der Supermärkte. Genau da will Linken-Politiker Movassat ansetzen. Im Antrag schlägt seine Partei vor, den Müll rechtlich als herrenlos einzuordnen. Was niemandem gehört, kann nicht geklaut werden.

Für Gero Hocker klingt das nach Enteignung. Der agrarpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion geht mit dem Antrag der Linken scharf ins Gericht: „Ob bei der Wohnungsfrage, bei Dieselfahrzeugen, Stalleinbrüchen oder jetzt bei beim sogenannten Containern von Lebensmitteln: Überall sollen Eigentumsrechte auf dem Altar der vermeintlich guten Sache geopfert werden“, sagt er. Die FDP lehne das ab.

Grüne Künast empört über Urteil

Zarte Zustimmung zeigen hingegen Teile der SPD und der Grünen. Bereits unmittelbar nach dem Prozess gegen die Studentinnen aus Bayern hatte es deutliche Reaktionen aus beiden Parteien gegeben. Der SPD-Abgeordnete Florian Post war entsetzt über das Urteil gegen Caro und Franzi. „Dieses Urteil ist eine große Sauerei!“, schrieb er auf Facebook und kündigte an, die Gesetze ändern zu wollen. Und nun? Ursula Schulte, bei der SPD-Fraktion für ernährungspolitische Fragen zuständig, sagt, man sei dabei, die Praxis des Containerns rechtlich prüfen zu lassen. Der Antrag der Linken greife jedoch zu kurz, was die Haftungsrisiken für den Einzelhandel angehe.

Auch Renate Künast von den Grünen hatte sich schon unmittelbar nach dem Prozess in Fürstenfeldbrück über das Urteil empört. Sie fordert einen angemessenen Umgang der Staatsanwaltschaften, was das Containern angehe. „Das muss in der Regel Einstellung heißen“, sagt Künast. Grundsätzlich müsse man aber an die Ursachsen der Lebensmittelverschwendung ran, nicht an deren Folgen. „Wo am Anfang Überproduktion und die Ideologie allzeitigen Überflusses herrschen, steht am Ende Verschwendung", sagt Künast.

Caro und Franzi haben gegen das Urteil des Amtsgerichts Fürstenfeldbruck vor wenigen Tagen Revision beim Oberlandesgericht München eingelegt. Doch die Rechtslage wird sich für die beiden Studentinnen in absehbarer Zeit nicht ändern.

Jonas Mielke

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