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Wie hilft man Menschen auf ihrem letzten Weg?

© dpa

Sterbehilfe-Debatte: Wer seinen Suizidwunsch äußert, kann ihn auch umsetzen

Der Präsident der Bundesärztekammer, spricht diffamierend von "Euthanasie", wo es um assistierten Suizid geht - und kanzelt 40 Prozent der Ärzte als ethisch minderwertig ab. Ein Gastkommentar

Ein Kommentar von Gian Domenico Borasio

Die Äußerungen vom Bundesärztekammer-Präsidenten Frank Ulrich Montgomery im Tagesspiegel-Interview vom 4. Oktober 2015 können nicht unwidersprochen bleiben. Sie enthalten mehrere nachweislich unrichtige Aussagen, die geeignet sind, das Vertrauen der Bevölkerung in die Spitze der deutschen Ärzteschaft zu erschüttern. Hier eine Auswahl, samt den dazugehörigen Fakten.

Der Gesetzentwurf (zur ärztlichen Suizidhilfe) von Lauterbach/Hintze zielt ganz klar auf Euthanasie.“ Das ist eine in der Sache falsche, in der Wortwahl diffamierende Unterstellung. In seriösen Diskussionen wird nicht von „Euthanasie“ geredet, sondern von Tötung auf Verlangen. Das Wort „Euthanasie“ ist in Deutschland schwer durch das grauenhafte Massenmord-Programm an wehrlosen Kranken während der Nazi-Diktatur belastet.

In der Sache ist klar: Die Tötung auf Verlangen will in Deutschland niemand, es geht nur um die Frage, ob Ärzte schwerstkranken Patienten beim Suizid assistieren dürfen. Die Behauptung Montgomerys, der Arzt könne kein Glas mit Pentobarbital hinstellen, sondern müsse das dann „richtig machen“ und den Patienten direkt umbringen, liegt fernab jeder Realität. In Oregon und der Schweiz wird seit Langem Suizidhilfe praktiziert, ohne dass je die Einführung der Tötung auf Verlangen für notwendig befunden worden wäre.

Besonders irreführend ist diese Unterstellung vor allem deshalb, weil wissenschaftliche Daten nahelegen, dass eine klare Regelung der ärztlichen Suizidhilfe der beste Schutz vor der Einführung der Tötung auf Verlangen sein könnte.

Wer einen Suizidwunsch äußern kann, kann ihn auch umsetzen

Auch die Behauptung Montgomerys, viele der betroffenen Patienten seien gar nicht mehr in der Lage, sich selbst zu töten, ist nachweislich unrichtig. Jeder Mensch, der einen eigenverantwortlichen Suizidwunsch äußern kann, ist auch in der Lage, die Tatherrschaft bis zum Ende zu behalten – und sei es, indem ein vollständig gelähmter Patient einen Computer mithilfe seiner Augenbewegungen steuert, der eine Infusion mit dem tödlichen Mittel in Gang setzt.

Die Aussage Montgomerys, bei Onkologen oder Palliativmedizinern seien „weniger als neun Prozent“ für assistierten Suizid, ist falsch. Nach den Umfragen der jeweiligen Fachgesellschaften sprechen sich 34 Prozent der Onkologen und 29 der Palliativmediziner für Suizidhilfe aus.

Weist den Beitrag des Ärztekammer-Präsidenten zur Sterbehilfe-Debatte zurück: der Schweizer Palliativmediziner Gian Domenico Borasio.
Weist den Beitrag des Ärztekammer-Präsidenten zur Sterbehilfe-Debatte zurück: der Palliativmediziner Gian Domenico Borasio.

© picture alliance

Und dulcis in fundo: Herr Montgomery behauptet allen Ernstes, er könne aufgrund seiner Erfahrung als Radiologe sagen, dass bei einer „vernünftigen Therapie“ Suizidwünsche nach 24 Stunden verschwinden. Dabei zeigen alle Studien zum Thema sowie die klinische Erfahrung in der Sterbebegleitung, dass es auch bei bester Palliativbetreuung immer Menschen geben wird, die sagen: „Das, was mir noch bevorsteht, möchte ich nicht erleben.“

Montgomery will Meinungen "gleichschalten" statt zu moderieren

In einer Debatte, die existenzielle Grundfragen berührt und in der sich ein breites Meinungsspektrum auch innerhalb der Ärzteschaft zeigt, wäre die eigentliche Rolle des BÄK-Präsidenten die eines Moderators, der den Dialog zwischen allen Meinungsrichtungen fördert und mit dem gebotenen Respekt für alle Beteiligten versucht, einen rationalen Diskurs zu ermöglichen und vernünftige Kompromisslösungen auszuloten.

Herr Montgomery macht aber das Gegenteil: Er kanzelt durch seine Äußerungen fast 40 Prozent der deutschen Ärzte als ethisch minderwertig ab, nur weil sie seine – für sich genommen völlig honorige – ablehnende Haltung zur Suizidhilfe nicht teilen. Und er versucht mit fachlich indiskutablen Aussagen die Meinung zu diesem Thema in der Ärzteschaft gleichzuschalten. Da denkt man als Arzt wehmütig an die Zeit zurück, in welcher der leider verstorbene Professor Hoppe sein Vorgänger im Amt war.

Gian Domenico Borasio ist Professor für Palliativmedizin an der Universität Lausanne. Weitere Debattenbeiträge zum Thema Sterbehilfe können Sie hier lesen.

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