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Steinmeier und Caputova besuchen den Standort des Patriot-Flugabwehrraketensystems der NATO in Sliac.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Steinmeiers neue Mission: Wie der Bundespräsident an der Nato-Ostflanke Putins Gefahr spürt

Scharfschützen in den Domgiebeln und andere Töne als zuletzt daheim – in der Slowakei ist Frank-Walter Steinmeier willkommen. Die Stimmung trübt ein anderer.

So nah ist Frank-Walter Steinmeier dem Krieg bisher nicht gekommen, knapp 90 Kilometer ist die Ukraine hier im slowakischen Košice entfernt. Der Bundespräsident hat aber dieses Mal nicht die Absicht, in das von Wladimir Putin überfallene Land zu fahren. Es wirkt nach bei ihm, dass er während des Polen-Besuchs die Botschaft bekam, der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj möchte ihn nicht empfangen – und die Präsidenten Polens und der drei baltischen Staaten alleine mit dem Zug nach Kiew reisten.

Die Musiker des Karpatendeutschen Vereins treffen nicht jeden Ton, im Hof des Historischen Rathauses von Košice, als sie für den Bundespräsidenten und seine slowakische Amtskollegin Zuzana Caputová aufspielen. Es ist aber ein herzlicher Empfang, im Schatten des Doms der Heiligen Elisabeth, der größten Kirche der Slowakei und der östlichsten gotischen Kathedrale Europas – in deren Dachgiebeln sich für den hohen Besuch ein Scharfschütze postiert hat.

In der ehemaligen EU-Kulturhauptstadt wächst die gefühlte Bedrohung

In den Straßen flanieren die Menschen, es kommen aktuell nur noch wenige Flüchtlinge an, die über Transkarpatien die Ukraine verlassen. Die Slowakei hat bei 5,4 Millionen Einwohnern mit 300.000 Menschen fast so viele Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine wie Deutschland zu verzeichnen gehabt; rund 70.000 wollen dauerhaft hier bleiben, viele sind aber auch erst einmal wieder in die Ukraine zurückgegangen.

Steinmeier kann nach seinem Fehlerbekenntnis, den Attacken des ukrainischen Botschafters Andrij Melnyk und der Demütigung in Warschau, hier erfahren, dass er in der Slowakei weniger kritisch gesehen wird, sondern als willkommener Freund. Er war vor acht Monaten das letzte Mal in dem Land.

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Beim Stadtrundgang winken ihm die Menschen zu, er zurück, er will neue Brücken des Vertrauens und des Beistands bauen. „In der Not kannst Du erkennen, wer dein Freund ist“, betont Präsidentin Caputová, die ihn mit „lieber Frank“ anredet. Sie bezieht das vor allem auf die militärische Hilfe.

In Sliac wird aufgerüstet - mit Hilfe der Bundeswehr

Beide fliegen später auf den Luftwaffenstützpunkt Sliac, ein Kernelement der Nato-Ostflanke, auch hier wird nun aufgerüstet, wegen Wladimir Putin. Es sind Bilder des Jahres 2022, die diese neue Zeitrechnung symbolisieren. Kriegsgefahr.

Hunderte Soldaten aus Deutschland, den Niederlanden und der Slowakei haben hier seit März in Rekordgeschwindigkeit einen neuen Nato-Stützpunkt aufgebaut, die Patriot-Anlagen, hochmoderne Flugabwehr-Raketensysteme, stehen in der Abenddämmerung Richtung Osten ausgerichtet. Die Soldaten haben sich daneben aufgereiht.

Steinmeier und Caputová danken den Soldaten, die hier auch Europas Freiheit verteidigen wollen. Steinmeier spricht von der wehrhaften Demokratie, vom Zusammenstehen Europas, das sich hier manifestiere.

"Dieser Besuch hier lag mir ganz besonders am Herzen, weil ich danke sagen will. Danke den Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, aber auch den niederländischen und slowakischen Truppen."

Durch die Anbindung an alle anderen Nato-Gefechtsstände, kann der Luftraum über tausende Kilometer überwacht werden, die Patriots haben eine Reichweite von 68 Kilometern, um Angriffe abzufangen.

Steinmeier spricht in Sliac mit dort stationierten Soldaten.
Steinmeier spricht in Sliac mit dort stationierten Soldaten.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

„Werden jeden Zentimeter verteidigen“

Hier ist die Gefahr für den Frieden durch Wladimir Putins Krieg beklemmend greifbar. Caputová hat am Ende Tränen in den Augen, als sie Steinmeier erneut für die deutsche Unterstützung dankt, Steinmeier isst auf dem Stützpunkt noch mit Bundeswehrsoldaten zu Abend, scherzt mit ihnen, es wird über Alltägliches geplaudert. Momente der Aufmunterung, immer wieder ist Steinmeiers lautes Lachen rauszuhören.

„Unsere Bündnistreue ist kein Lippenbekenntnis“, betont Steinmeier. In Sliac sind bisher 370 Soldaten, darunter 250 deutsche, dies soll auf 700 anwachsen, wenn das slowakische Parlament grünes Licht gibt, könnten es auch 1200 werden.

„Was wir brauchen nach dem brutalen Überfall auf die Ukraine, ist Geschlossenheit und Entschlossenheit“, betont der Bundespräsident, der als erster führender Politiker aus Deutschland hier vorbeischaut.

Und zuvor schon hat er in Košice klargemacht: „Wir sind bereit und in der Lage, jeden Zentimeter unseres Bündnisgebiets zu verteidigen.“

Bundespräsident Steinmeier und Zuzana Caputova, Präsidentin der Slowakei, auf dem Luftwaffenstützpunkt Sliac.
Bundespräsident Steinmeier und Zuzana Caputova, Präsidentin der Slowakei, auf dem Luftwaffenstützpunkt Sliac.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Im Flugzeug begleitet den Präsidenten eine neue Sorge

Steinmeier nutzt die Gelegenheit in der Slowakei zugleich, die teils harsche Kritik am Kurs von Kanzler Olaf Scholz (SPD) in der Waffenfrage zurückzuweisen. Der Bundespräsident macht keinen Hehl daraus, dass er, der immer an die Diplomatie glaubt und deshalb bei Russland vielleicht lange Zeit das wahre Gesicht Putins nicht sehen wollte, die Debatte um Panzerlieferungen an die Ukraine etwas aus dem Ruder gelaufen empfindet. Er stellt sich auch hinter die Lieferung von Gepard-Panzern durch die deutsche Industrie, betont aber auch: „Ich gehöre nicht zu denjenigen, die der Bundesregierung vorwerfen, dass sie Chancen und Risiken bei Entscheidungen, die von großer Tragweite sein können, abwägt.“

Im Flugzeug von Berlin in die Slowakei hat ihn eine neue Sorge begleitet, die wieder indirekt an seine Vergangenheit erinnert. Der russische Gaslieferstopp für Polen und die Bulgarien ist ein Bruch einer Zusicherung, die auch Steinmeier immer als Argument für den Ausbau der Energiebeziehungen mit Moskau ins Feld geliefert hat: Dass das Land selbst im Kalten Krieg immer verlässlicher Lieferant war, der Gas niemals als Waffe einsetzen werde.

Früher setzte er auf „Wandel durch Verflechtung“

Als Kanzleramtschef und zweimaliger Außenminister setzte Steinmeier im Geiste Gerhard Schröders auf den „Wandel durch Verflechtung“ und ignorierte, wie so viele, all die Signale, dass Putin kein verlässlicher Partner sein könnte – trotz der der Krim-Annexion und der blutigen Kriege in Tschetschenien, Georgien, Syrien und im Donbass.

Er ist sicher, dass es keine Rückkehr zum Status Quo Ante geben kann, solange Putin und seine Clique an der Macht sind. Die slowakische Präsidentin Zuzana Caputová räumt in Sachen Gasabhängigkeit ein, dass sich letztlich doch fast alle geirrt haben. „Wir müssen uns die Situation vorwerfen lassen“, sagt sie auf ihr Land bezogen. Die Slowakei sei sogar zu 80 Prozent von russischem Gas abhängig – aber man werde weiter in Euro zahlen, nicht in Rubel und habe so vorgesorgt, dass man bis zum nächsten Winter einen Lieferstopp durchstehen könne.

Steinmeier kritisiert scharf einen rechtswidrigen Erpressungsversuch Moskaus, der nicht hinnehmbar sei. Der frühere Kanzler Gerhard Schröder hat der „New York Times“ gesagt, die rote Linie sei für ihn ein einseitiger russischer Gaslieferstopp, dann werde er seine Aufsichtsratsmandate bei russischen Konzernen niederlegen. Ist diese rote Linie nun selbst für Schröder überschritten?

Schröder ist seinen Ruf los, Steinmeier will ihn reparieren

Schröder hat seinen Ruf verloren, Steinmeier will seinen reparieren. Seine Mission ist, sich noch intensiver um die zu kümmern, die man früher hätte ernster nehmen sollen. Er war nach Beginn der zweiten Amtszeit auch schon im Baltikum, in Polen, dann in Finnland, das auch rasch in die Nato will. Nach der Slowakei geht es als nächstes nach Rumänien.

Und er verzichtet erstmals am Freitag auch auf auf den Bundespresseball. Sonst ein Pflichttermin für einen Bundespräsidenten.

Nicht, wie kolportiert wurde, um seiner früheren Rolle und Kritik daran - oder um dem streitbaren Botschafter der Ukraine auszuweichen. Sondern weil er es unangemessen findet, wenn ein Bundespräsident im Krieg den traditionellen Eröffnungstanz tanzt. 

Einen unangenehmen Moment gibt es dann aber doch in der Slowakei, er muss erstmal über die Antwort nachdenken. Eine slowakische Journalistin fragt nach dem unerwünschten Besuch in Kiew, will er einen neuen Versuch wagen? „Die Ausladung ist eine ukrainische Entscheidung, die ich zur Kenntnis genommen habe.“ Das ändere aber rein gar nichts daran, dass er mit „ganzem Herzen“ und voller Kraft für die Ukraine sich einsetze. Ihr gelte die volle Solidarität. Zu den Kriegsbildern sagt er - analog zu Außenministerin Annalena Baerbock: „Das zerreißt uns das Herz.“

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