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Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

© Odd Andersen/AFP

Steinmeier warnt zum 30. Jahrestag des Mauerfalls: „Die liberale Demokratie ist angefochten und infrage gestellt“

Mahnende Worte des Bundespräsidenten: Angesichts der Differenzen in Europa hat Steinmeier dazu aufgerufen, für die gemeinsamen Werte einzustehen.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Menschen in Europa aufgerufen, für Freiheit und Demokratie in Europa und den Zusammenanhalt der europäischen Staaten zu kämpfen. Lange Zeit sei der 9. November 1989 als der Meilenstein des Epochenwechsels betrachtet worden, sagte Steinmeier in Berlin in einer Rede zum 30. Jahrestag des Mauerfalls dem vorab veröffentlichen Manuskript zufolge. Heute aber sei die Zukunft "offener, ungewisser denn je", warnte der Bundespräsident. "Die liberale Demokratie ist angefochten und infrage gestellt."

Die Mutigen von 1989 hätten damals die Freiheit und Einheit Europas ermöglicht. "Es ist einzigartig in der Geschichte dieses Kontinents: Es ist ein friedliches Europa, ein Europa, in dem wir uns aus freien Stücken zusammengefunden haben, ein Europa, in dem Ost und West, Nord und Süd, große Staaten und kleine Staaten eine gleichberechtigte Stimme haben und alle einen Teil der Verantwortung tragen", sagte Steinmeier während eines Mittagessens mit den Staatsoberhäuptern Polens, der Slowakei, Tschechiens und Ungarns.

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Angesichts der Spannungen und Differenzen in der EU sagte Steinmeier: "Es gibt kein Europa von Brüssel, kein Europa von Berlin und Paris, kein Europa von Budapest, Warschau, Prag und Bratislava. Sondern: Unser Europa ist euer Europa – euer Europa ist unser Europa. Wir haben nur das eine, das gemeinsame!"

Der Bundespräsident appellierte an seine Kollegen Andrzej Duda (Polen), Miloš Zeman (Tschechien), János Áder (Ungarn) und seine Kollegin Zuzana Čaputová (Slowakei): "Lasst uns Sorge dafür tragen. Lasst uns den Zusammenhalt bewahren und dafür sorgen, dass die Differenzen, die wir haben, nicht unüberwindlich werden."

Der Mauerfall "trennte eine Vergangenheit der Unterdrückung von einer Zukunft in Freiheit, die Irrwege der Diktaturen vom kommenden Siegeszug der liberalen Demokratie", sagte Steinmeier, der den Ungarn, Polen, Tschechen und Slowaken Respekt zollte und dankte: "Die Berliner Mauer wäre nicht gefallen ohne die Aufstände in Budapest und Posen, in Warschau, Danzig und Krakau, ohne den Frühling von Prag und Bratislava, ohne die Unruhen in Stettin und schließlich wieder in Danzig. Die Berliner Mauer fiel nach einem langen, oft verzweifelten und deshalb umso mutigeren Kampf."

Der Bundespräsident verwies zwar auch auf die Hilfe aus den USA und die "die mutigen und menschlichen Entscheidungen von Michail Gorbatschow in Moskau", ohne die die Geschichte nicht so glücklich und nicht so friedlich verlaufen wäre. "Aber wahr ist auch: Ungarn, Polen, Tschechen und Slowaken nahmen sich die Freiheit. Sie nahmen sich die Freiheit für Europa und beendeten die Teilung unseres Kontinents. Die Freiheit Europas ist ihr Verdienst. Was wir heute sind und werden können, verdanken wir der Freiheit, die sie erkämpft haben!"

Bundespräsident Steinmeier wünscht sich, dass die Neugier bewahrt wird

Durch den 9. November habe vor allen Menschen in Europa eine neue alte Welt gelegen. "Der Eiserne Vorhang, hinter dem die Mitte Europas über Jahrzehnte verschwunden war, verschwunden auch aus Bewusstsein und Gedächtnis vieler Westeuropäer, dieser Vorhang hatte sich endlich gehoben", sagte Steinmeier. "Ich erinnere mich gut an den Aufbruch von damals, das Staunen, die Neugier aufeinander, an die Wiederentdeckung des 'Herzen Europas'." Heute wünsche er sich, "dass wir uns diese Neugier aufeinander bewahren", sagte Steinmeier.

Und heute, 30 Jahre später, sei die Neugier noch da – "vor allem unter den Jungen", die noch immer "nach Prag reisen, nach Budapest, Krakau und Bratislava". Und die Neugier spiegele sich auch in der Literatur wider. Die erfolgreichen Autoren kämen aus Polen, Tschechien, Ungarn und Österreich, sagte Steinmeier. "Ich finde, all diesen Neugierigen, den Forschenden, Studierenden, den Kulturschaffenden sollten wir es leichter machen, wir sollten unsere Verkehrswege ausbauen und vernetzen, ebenso wie unsere Universitäten."

Der Beitritt Ungarns, Polens, Tschechiens und der Slowakei zur Europäischen Union 2004 sei "noch ein großer und glücklicher Moment unserer Geschichte, der uns in vielem noch viel enger zusammengeführt hat". Fest stehe aber auch, es hätten sich nicht alle Hoffnungen erfüllt, es sei noch nicht alles erreicht, sagte Steinmeier: "Freiheit und Demokratie, Wohlstand und Zusammenhalt in Europa bleiben große und anspruchsvolle Ziele. Sie fordern uns. Sie verlangen unseren Mut und unseren Gestaltungswillen. Sie verlangen Ausdauer und Geduld." Wer zurückblicke auf das Jahr 1989, der wisse, dass Ungarn, Polen, Tschechen, Slowaken und Deutsche all das schon einmal bewiesen hätten. "Lasst uns den Traum von damals, den Traum von Freiheit, Frieden und Einheit Stück um Stück gemeinsam verwirklichen."

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